Veronika

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Kapitel 13


Luna hatte es sich gerade auf der Couch bequem gemacht und schaufelte sich eine unfassbar große Menge an Schokoladeneis in sich hinein, als sie die Zimmertür von Veronica hörte und eine wirklich sehr durcheinander wirkende junge Frau den Flur entlang kam um dann etwas planlos vor der Wohnstube stehen zu bleiben.„Wie sind wir nach Hause gekommen?", fragte Veronika und Luna betrachtete ihre Mitbewohnerin etwas merkwürdig. Vielleicht lag es daran, dass sie Veronika selten ungeschminkt sah, aber es war wirklich erstaunlich wie Kleider Leute machten. Anstatt irgendetwas aufreizendes trug sie einen viel zu großen Oversizepullover und eine flauschige, aber kurze, Hose mit kitschigen Herzchen. Ihre blonden Haare waren zu einem unordentlichen Berg auf ihrem Kopf aufgetürmt und zum ersten Mal bemerkt Luna die tausenden kleinen Sommersprossen auf ihrem Gesicht und, bei genaueren hinsehen, den roten Haaransatz. Sie war eine Rothaarige und dazu eigentlich eine ganz Hübsche, wenn sie aufhören würde sich so freizügig zu kleiden. Aber es stand ihr kaum zu Veronika vorzuschreiben, wie sie sich anzuziehen hatte.
„Keine Ahnung", entfuhr es Luna und Veronika nickte etwas verschlafen und rieb sich die Augen.
„Gibt es Kaffee?", fragte sie weiter und Luna deute mit dem Löffel zur Küchenzeile.
„Küche." Veronika nickte und ging an Luna vorbei und blieb dann plötzlich vor ihr stehen.
„Wow, du siehst ziemlich gefickt aus", sagte sie ohne den Hauch von Sarkasmus, Gehässigkeit oder sonst etwas. Nur das anerkennende Glitzern ließ darauf schließen, was sie von der Vorstellung hielt, das Luna Sex gehabt hatte. Sie waren sich nie nahe genug gekommen, als das sie über private Dinge geredet hätten, aber nach diesem Abend teilten sie wohl ein kleines dreckiges Geheimnis. Veronika hatte mit einer Frau Sex gehabt und Luna ... nun überhaupt. Vielleicht war das für ihre Mitbewohnerin ja gar nichts Besonderes. Luna wusste nicht, ob es das erste Mal für sie gewesen war, deswegen lächelte sie lediglich und nickte wieder.
„Mit zwei Typen, jap", verkündete sie fröhlich und in Veronikas Blick erwachte der Schalk. Keine Vorurteile, keine Herablassend, gar nichts. Nichts von dem was normalerweise bei so einer Offenbarung bei Menschen zu erkennen war. Wie es aussah stand Veronika nicht nur sehr zügellos ihrem eigenen Sexleben gegenüber, sondern verurteilte auch niemanden der es ihr gleich tat. Eine wahre Offenbarung, war es Luna doch von ihrem Umfeld gewohnt, dass sie Wasser predigten und Wein tranken.
„Wow, hat es dir gefallen?" Okay, langsam wurde es unheimlich. Luna hätte nie gedacht das Veronika noch mehr Sympathiepunkte bei ihr sammeln könnte, l aber sie tat es. Denn diese Frage offenbarte mehr über ihren Charakter als sie wahrscheinlich wusste. Für sie schien alles in Ordnung zu sein, solange man sich damit wohlfühlte. Während Luna noch daran zu knabbern hatte überhaupt Sex gehabt zu haben, stellte Veronika die eine Frage, die sie sich eigentlich stellen sollte, wenn sie es endlich einmal geschafft hatte, sich von der Meinung der Gesellschaft zu distanzieren. Und die Antwort kam erstaunlich schnell.  

„Ja. Hat es. Sehr sogar." Es auszusprechen, war merkwürdig. Sie sollte sich schämen, sich als Schlampe betiteln lassen und Besserung geloben. So war sie erzogen worden, so wollte die Gesellschaft sie haben und alle anderen um sie herum. Alle außer Veronika. Ihre merkwürdige Mitbewohnerin, die in dieser Minute mehr Freundin war, als sie es jemals für möglich gehalten hatte.
„Dann ist es doch okay. Was machst du wegen deinem Phil? Du weißt, dass du ihm das nicht sagen solltest, es sei den, du willst den Looser loswerden, oder?", fragte sie, holte sich einen großen Kaffee und setzte sich neben Luna auf die Couch. Ganz so als würden sie nicht erst wenige Woche zusammen wohnen. Das sie Phil als Loser bezeichnete, ärgerte sie weniger, als es sollte.
„Hab's ihm schon gesagt", gestand Luna wieder und Veronika sah sie wieder ohne Tadel an. Wie konnte man nur so unvoreingenommen sein? Neben dieser Frau fühlte sich Luna geradezu schlechte. Sie hatte nie wirklich gut von Veronika gedacht, hatte von Äußerlichkeiten auf ihren Charakter geschlossen, ohne sie zu kennen.
„Und?"
„Er hat gelacht und gemeint, ich hätte da mit dem zusammen sein etwas falsch verstanden. Ich bin ja nur eine Waise und seine Familie so toll." Das war der Moment, als sich dann doch endlich mal eine Regung in ihrem Gesicht abzeichnete und das war alles andere als eine positive.
„Oh. Wow. Echt? Er hat gelacht? Was für ein riesen Arschloch! Gut dass du ihn los bist", sagte sie und Luna überdachte ihre Meinung über ihr Verhältnis zu Veronika ernsthaft.
„Nein, ich gehe am Montag mit ihm essen."
„Das ist ein beschissener Plan! Der Kerl ist Gift, wenn er dir sowas sagt, glaub mir. Ich hab genug Scheißtypen hinter mir, um zu wissen, mit wem man sich abgeben sollte und mit wem nicht."
Das glaubte Luna ihr sofort und wenn sie ehrlich war, hatte sie vermutlich recht. Warum verabredete sie sich mit dem Typen zum Essen, wenn er ihr gerade erst am Telefon klar gemacht hatte, dass er sie für minderwertig hielt. Dennoch machte es sie wütend, dass Veronika schlecht von ihm sprach. Das war zwar mindestens genauso unlogisch, aber so war sie nun einmal. Veronika erhob sich um sich noch einen Kaffee zu holen und reichte ihr auch einen. Sie konnte auch aufmerksam sein und das bescherte ihr ein noch schlechteres Gewissen. Vielleicht war sie doch ein wenig engstirnig gewesen was ihre neue Mitbewohnerin betraf.
„Ich wusste nicht, dass du auf Frauen stehst", murmelte sie, nahm einen weiteren Becher Schockoeis und trank danach einen Schluck Kaffee.
„Danke", murmelte sie und zeigte ihr demonstrativ einen zweiten Löffel. Luna grinste und schob den Becher in ihre Richtung.
„Kein Ding, Danke. Und zum Thema Frauen: Ich auch nicht, aber diese Charlie hat mich einfach umgehauen und um das Mal deutlich zu sagen: Es war geil. Keine Angst, von dir will ich dennoch nichts, aber es ist schön zu sehen, dass du etwas auftaust." Wow, war sie so frostig rübergekommen? Zugegeben, Luna hatte von sich aus nie ein Wort mit ihr gewechselt und es war einzig und alleine Veronika gewesen, die sie dazu angehalten hatte mit ihr weg zu gehen. Hatte sie ernsthaft versucht sich mit ihr anzufreunden und sie hatte es nicht gemerkt? War sie so sehr daran gewöhnt eine Lückenbüßerin zu sein? Sie hatte in ihrem Leben nie viele Freunde gehabt und wenn waren sie ebenso ein Geißel in ihrer Weltanschauung wie sie selbst gewesen.
„Da bin ich aber dankbar, ich dachte schon, ab jetzt könnte ich nie wieder ohne BH durch die Wohnung laufen", scherzte sie und Veronika lachte ehrlich und nahm selbst einen großen Löffel von dem Eis.
„Vergiss diesen Arsch und lass uns lieber am Montag was Essen gehen, ich muss eh in die Stadt und noch Utensilien zum Zeichen besorgen, dabei werde ich dir über dein Menarge-a-Trois ausquetschen, ich brauch Inspiration!", verkündete sie und Luna stutzte
„Zeichenutensilien?"
„Ich studiere Kunst, hab ich dir das nie gesagt?" Sie hatten nie viel geredet und wenn war Luna wenig interessiert gewesen an diesem merkwürdigen, aufgedrehten Mädchen, das sich mit ihr plötzlich eine Wohnung teilte und der man das nuttige Verhalten quasi ansah. Und wieder hasste sie sich selbst für diesen Gedanken. So viel zu Engstirnigkeit. Aber zumindest war sie nicht verlogen, denn ein Teil ihrer Selbst verabscheute sich selbst für ihr Zügeloses Verhalten, genauso wie es Veronika verurteilte.
„Nein", sagte Luna fast nebensächlich bis sie sich kurz verschluckte und ihr fast die Augen herausfielen.
„Moment. Du hast es geschafft an einen Studienplatz in Kunst zu kommen?" Das war nicht ihr Ernst. Die Universität, auf die sie beide gingen, war berühmt für ihre Kunststudenten. Es war fast unmöglich an einen dieser begehrten Plätze zu kommen. Wenn Veronika das geschafft hatte, musste sie wahnsinnig talentiert sein. Sie hätte eher geglaubt, dass sie wie viele andere einfach irgendetwas Halbherzig dahin studierte. Aber diese Kunstfakultät war hart.
„Ja. Schon vor zwei Jahren, ich musste, aber warten bis ich meinen Abschluss hatte. Deswegen lassen meine Eltern es mir auch durchgehen, wenn ich so viel Nachts unterwegs bin. Künstler brauchen ihre Freiheit", meinte sie ganz ohne Selbstgefälligkeit, aber mit einem gewissen Maß an Stolz, der wohl mehr als angebracht war. Luna konnte es nicht fassen, Veronika war eine Künstlerin und dennoch...
„Wow. Wie. Warum...ach vergiss es!", begann Luna erst ihren abgebrochenen Gedanken in Wort zu fassen, ließ es dann aber gleich wieder sein. Sie wollte nicht urteilen und auch nicht bewerten vor allem nicht, da Veronika selbst es anscheinend überhaupt nicht tat. Im Moment schien sie sogar etwas naive zu sein – was zu ihrem süßen ungeschminkten morgendlichen Look zu passen schien.
„Was?", fragte sie aber nach und Luna konnte es sich dann doch nicht mehr verkneifen.
„Du studierst Kunst und bist offensichtlich Mega talentiert. Warum dann diese furchtbaren Haare und das ganze Makeup im Gesicht? Du bist wahnsinnig hübsch, du solltest dich nicht so verkünsteln und..."„Natürlich sollte ich es. Ich bin Künstlerin und ich liebe es." Okay, damit hatte sie nicht gerechnet. Veronika wirkte weder beleidigt noch schien ihr diese Ansicht neu zu sein.
„Was?"
„Ich liebe es. Kaum zu fassen, oder? Du bist eher natürlich und niedlich. Ich erfinde mich jedes Mal neu!", meinte sie vollständig davon überzeugt, dass das etwas Gutes ist. Es gab Leute die brauchten Jahre um ihr eigenes Selbst zu entdeckten aber Veronika liebte es sich neu zu erfinden? Tausende Fragen brannten in Lunas Kopf. Wie oft tat sie das? Würde sie morgen aus dem Zimmer kommen und grüne Haare haben?
„Das macht mir irgendwie Angst", gestand sie, aber Veronika grinste breit und verfiel in einen total fröhlichen Monolog
„Bei mir hat alles seine Phase. Vor drei Jahren war es noch Rock, aber dann habe ich diesen Kerl kennengelernt und naja: Ich liebe Sex. Er hat mir Welten eröffnet. Ich bin besessen davon und alles was damit zu tun hat. Aber ich bin noch so jung und will mich nicht festlegen. Und es ist mir egal wie sehr alle anderen darüber ihre Nase rümpfen. Solche Leute mag ich nicht, ich war so froh, dass ich hier eingezogen bin. Ich wusste gleich, dass wir uns gut verstehen würden, auch wenn ich dich am Anfang für etwas zugeknöpft gehalten habe. Ich will die Ferien nutzen um mich auszuleben und dann das Semester über ein Bild nach dem anderen malen. Also sammle ich gerade Inspiration und damit ich mir nicht Ausversehen ein Klotz ans Bein binde, zeige ich jedem, dass ich nur was für eine Nacht will. So einfach ist das!"Okay, so ergab das billige Gehabe tatsächlich einen Sinn, aber Luna musste sich jeden Kommentar darüber verkneifen wie gefährlich ihr Verhalten war. Sie sah nicht nur in diesem Moment ziemlich naive aus, sie war es tatsächlich. Veronika lebte den Moment und das ohne groß nachzudenken. Irgendwie war ihre Unbeschwertheit beneidenswert und doch wieder beängstigend.
„Du bist wirklich etwas exzentrisch, oder? Ich meine, von Rock direkt in die Sex-Phase?", fragte sie zweifelnd. Aber Veronika zuckte nur mit den Schultern.
„Ein bisschen vielleicht. Besser als die Zicken-Phase davor, die kann ich immer noch nicht ganz loslassen, glaub mir! Willst du auch noch einen Kaffee? Heute habe ich den Drang darin zu baden!", meinte sie und erhob sich schwungvoll. Luna nickte und sie flitzte sofort los.
„Veronica?", rief Luna ihr nach und gab auch vor sich selbst zu, dass sie nun von ihrer Neugierde getrieben wurde.
„Ja?"
„Kann ich ein paar deiner Bilder sehen?", fragte sie. Sie wollte wirklich wissen welche Bilder ein Künstler in eine Sex-Phase so fabrizierte. Veronika warf ihr einen verschwörerischen Blick zu.
„Klar, aber nur wenn du mir schwörst nicht gleich rot zu werden!"
„Okay, ich jetzt hab wieder etwas Angst", wisperte Luna, ließ aber zu, dass Veronika ihren Arm packte als sie zurück zu Couch kam und sie mit sich in ihr Zimmer zog.
„Solltest du auch", witzelte sie und als sie Luna in ihr Zimmer mitnahm, erkannte sie, dass es definitiv kein Scherz gewesen war. Weder das mit dem rot anlaufen, noch das sie angst bekommen sollte. Die Staffelei in der Ecke war zwar nicht weiß, aber an einen dieser verstellbaren Künstlertischen und an den Wänden hingen Kohlezeichnungen von Männern und Frauen in unterschiedlichen, ziemlich anzüglichen Posen. Sie war wirklich begnadet
„Wow die sind..."
„Freizügig, Ekelerregend, unverschämt, Pornographisch...kannst es ruhig sagen, ich habe alles schon gehört", murmelte Veronika, aber Luna schüttelte den Kopf. Nichts davon hatte sie gedacht.
„Sie sind wahnsinnig sinnlich. Sowas habe ich noch nie gesehen. Man sieht sofort, wie sehr du den Sex genießt. Die sind toll. Seit wann zeichnest du?", fragte Luna ernsthaft interessiert und ging auch zu der Wand, wo schon fertige Gemälde in der Ecke standen, die Rock-Phase sah man den Bildern definitiv auch an.
„Seit ich fünfzehn bin. Nicht sowas versteht sich, das erst seit zwei Jahren. Ich hatte eine Affäre mit einem Lehrer und eines Tages habe ich einfach angefangen sowas zu malen. Meine Eltern waren schockiert, aber dann habe ich an einem Wettbewerb teilgenommen und ein großes Kunsthaus ist auf mich aufmerksam geworden. Als ich achtzehn war hatte ich meine erste Ausstellung und am selben Tag so viel Geld verdient, dass meine Eltern ganz blass geworden sind. Da habe ich beschlossen ernst zu machen." Okay. Das war wirklich eine Offenbarung. Sie war also quasi bereits berühmt.
„Wenn du genügend Geld hast, warum wohnst du dann mit mir in einer Wohnung?"
„Keine Ahnung. Alle haben das erwartet und ich hasse es Erwartungen zu erfüllen. Meine Mutter erwartet, dass ich ein Snob werde und mein Vater erwartet, dass ich mich von einem Kerl ausnehmen lasse und dann in der Gosse ende. Erwartungen. Erwartungen. Erwartungen. Das ist einer meiner schlimmsten Albträume, irgendwann berechenbar zu sein. Immer gleich, unverändert. Einfach Langweilig. Abgesehen davon neige ich dazu mich einzugraben wenn ich am Malen bin, ich will nicht das man meine Leiche drei Jahre später findet. Du wirktest seriös und verantwortungsbewusst. Ich glaube, du würdest mir die Leviten lesen wenn ich alles um mich herum ignoriere und vergesse den WG-Plan einzuhalten. Das beruhigt mich irgendwie. Manchmal habe ich angst vor mir selbst."
„Oh. Ich passe schon auf, dass du den Flur putz, verlass dich darauf!", versprach Luna und Veronika lächelte sie dankbar an.
„Kein Ding, wirklich. Also? Gehen wir Montag Essen? Scheiß auf Phil." Sie war wirklich merkwürdig und Luna würde sicher eine Weile brauchen um all diese Informationen zu verarbeiten. Sie hatte eine Affäre mit einem Lehrer, aber das war okay, denn es schien ihr gefallen zu haben und Luna versuchte auch an den Rest mit weniger Erwartungen und Vorurteilen heranzugehen.
„Ja, gerne. Scheiß auf Phil!", stimmte sie deshalb zu und glaubte tatsächlich, dass sie und Veronika, so unterschiedlich sie auch sein mögen, Freundinnen werden konnten.  

Beta: Geany

Take it Deep, Babygirl - Seven SinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt