Sunray's Kopf brauchte eine Weile, um zu begreifen, was Mina gerade gesagt hatte.
Wie konnte sie von dem Sternkönigreich in die Dunkelschluchten verbannt worden sein, wo es doch schon vor mehr als tausend Jahren untergegangen war? Bei all den äußerlichen Merkwürdigkeiten, sah Mina trotzdem nicht so alt aus.
Sunray und Mina setzten sich wieder an den Tisch und Mina goss sich eine weitere Tasse Tee ein. Nachdem sie sich gesetzt und einen tiefen Schluck genommen hatte, fragte Sunray nach: „Also, das Sternkönigreich hat dich hierher verbannt?"
Er stellte die Frage sehr vorsichtig. Er wollte auf keinen Fall, dass Mina ein weiteres Mal einen Wutausbruch bekam.
Mina rümpfte schnaubend die Nase. „Oh ja, das haben sie."
„Dann..." Sunray fragte sich wie er das am besten formulieren sollte. „Wie alt bist du?"
Mina ließ ihre Tasse sinken. „Also Sunray, du solltest wissen, dass man solche Sachen eine Dame nicht fragt."
„Ich meine nur", setzte Sunray schnell hinzu, „das Sternkönigreich ist schon längst untergegangen. Schon vor tausenden von Jahren. Es ist schon so lange weg, dass die meisten Leute gar nicht mehr daran glauben. Es ist nur noch ein Mythos."
Mina starrte ihn an. „Ein Mythos?", wiederholte sie langsam.
Sunray nickte. Mina schien einen Moment lang nicht zu atmen, dann lehnte sie ganz langsam den Kopf zurück, schaute zur Decke und seufzte. „So lange schon?", sagte sie leise zu sich selbst und verfiel in Schweigen.
Sunray konnte sich nur schwer vorstellen, dass Mina wirklich so alt sein sollte, dass sie zur Zeit des Sternkönigreichs gelebt haben sollte. Aber den Baumvater hatte es damals ja auch schon gegeben, warum also nicht auch riesige Minotauren?
„Wieso haben sie dich verbannt?", fragte Sunray. „Das Sternkönigreich, meine ich."
Mina richtete seinen Blick wieder auf ihn.
„Damals", sagte sie mit belegter Stimme. „Das war damals eine ganz andere Zeit, Sunray. Und ich war eine andere Mina. Ich war nicht die Minotaurin, die ich heute bin. Ich war so..." Sie schaute auf die Überreste des Stuhls den sie zertrümmert hatte.
„So wie gerade eben", führte Sunray fort.
Mina nickte traurig.
„Die Jahrtausende haben mich ruhiger werden lassen. Trotzdem hasse ich das Sternkönigreich dafür, dass es mich hier eingesperrt hat", sagte sie bitter. „Jahrzehnte lang haben sie sich einen Spaß daraus gemacht, mich zu jagen. Verbrecher wurden in die Dunkelschluchten gebracht um mich zu erschlagen und sich so ihre Freiheit zu erkaufen. Und es waren viele, sehr viele und keiner von ihnen hat es je geschafft. Bis zum Tag meines Todes werde ich nicht hier heraus kommen. Ich muss ein nahezu ewiges Leben hier in der Dunkelheit verbringen."
„Gibt es denn für dich keinen Weg hinaus aus den Dunkelschluchten?", fragte Sunray.
„Nun, wenn jemand einen Weg hätte finden müssen, so wäre ich das. Ich kenne so ziemlich jeden Winkel dieses Labyrinths. Ich selbst bin damals genau hier angekommen. Da war das nur eine kahle Höhle. Ich habe dieses Labyrinth ausgekundschaftet, abgesucht, aber keinen Ausgang finden können." Sie blickte zu dem Ofen aus Eisen an der Wand. „Ich habe schon vieles Versucht um hier raus zu kommen. Klettern war mein erster Gedanke. Aber das war eine dumme Idee. Man kann klettern so viel man will, die Welt da oben scheint einfach nicht näher zu kommen. Ich bin abgestürzt und habe mir damals einige Knochen gebrochen. Auf den Schrotthalden habe ich versucht eine Treppe zu bauen, aber alles was da unten liegt ist viel zu klein und selbst wenn es groß genug für mich wäre, würde es nicht ausreichen um den Rand der Dunkelschluchten zu erreichen. Fliegen ist auch unmöglich. Die einzigen Wesen, die in den Schluchten fliegen können, sind die Dunkelschluchtenfledermäuse. Man kann versuchen auf ihnen zu reiten, sie würden dich aber abwerfen oder sich selbst gegen eine Wand schmettern, bevor sie dich nach oben befördern."
Sunray nickte zustimmend, als er an seine Begegnung mit der Fledermaus dachte.
„Und von alleine wirst du auch nicht fliegen können", führte Mina weiter.
„Ja, meine Flügel. Ich weiß."
„Ach Gottchen, das meinte ich doch gar nicht. Tut mir leid. Nein, hier unten in den Dunkelschluchten, können die Pegasi nicht fliegen, genauso wenig wie die Einhörner zaubern können. Deswegen eignete es sich für das Sternkönigreich auch so gut als Gefängnis."
Sunray's Hoffnung sank. Wenn es keinen Ausgang gab, würde auch niemand kommen um ihn zu holen. Serenity hatte in seinem Traum gesagt, er solle bleiben wo er war. Das hieß doch, dass jemand kommen würde, um ihn aus den Dunkelschluchten wieder heraus zu bringen. Aber wie sollte das passieren, wenn es keinen Ausgang gab? Wenn man noch nicht einmal fliegen, geschweige denn sich selbst frei zaubern konnte?
Aber – hatte Serenity nicht gezaubert, als Sunray unten auf den Dunkelschluchten gelegen hatte? Sie war ihm doch im Traum erschienen. Hieß das, dass es vielleicht doch möglich für ihn war, die Dunkelschluchten zu verlassen, wenn Serenity in der Lage wäre ihn in den Schluchten zu finden? Oder war es doch nur ein einfacher Traum von ihm gewesen? Ein Wunschdenken seines eigenen Verstands?
Mina unterbrach sein denken: „Aber was brachte dich eigentlich hierher? Wie bist du in die Dunkelschluchten gekommen?", fragte sie auf einmal neugierig. „Du wolltest doch in die Sternstadt, oder?"
Sunray spürte einen Stich in der Brust, als er sich wieder daran erinnerte und all die Zweifel die er in sich hatte, stiegen wieder in ihm auf. Einen Moment lang zögerte er, dann holte er den Sterndiamanten unter seinem Flügel hervor.
„Deshalb bin ich hier", sagte er und reichte ihn Mina.
Die Minotaurin nahm den Sterndiamanten vorsichtig zwischen zwei Finger und hielt ihn sich nah vor ein Auge. „Das ist doch..."
„Der Sterndiamant. Der Schlüssel, der einen in die Sternstadt bringen kann."
Mina drehte den Stein ein wenig vor ihrem Auge hin und her und legte ihn dann vor Sunray auf die Tischplatte. „Wie bist du denn daran gekommen?", fragte sie.
„Das ist eine lange Geschichte", sagte Sunray bedrückt und spülte den aufkommenden Kloß in seinem Hals mit dem letzten Rest Tee in seiner Tasse herunter. „Bevor ich anfange, ist noch etwas Tee da?"
Er erzählte Mina alles. Von Anfang an. Von dem Museumsbesuch, von Serenity, von seiner Familie, dem Grauen Hengst, Leere und Nichts den beiden dämonischen Ponys, von Sicherheitschef Tassel, der Zugfahrt, ihrem Ballonabsturz in den Geistschluckersümpfen, vom Baumvater erzählte er, den Tartaruskrähen, einfach alles, was er in den letzten Tagen erlebt hatte.
Nur einmal unterbrach Mina ihn kurz, um einige weitere selbst gezogene Kerzen anzuzünden.
Es dauerte lange, bis er zu dem Teil seiner Geschichte kam, der ihn am meisten zu schaffen machte. „Ich weiß nicht, warum sie es getan hat. Das heißt, ich weiß es eigentlich schon. Ich bin nun mal nichts weiter als ein tollpatschiges Unglückspony. Zu nichts wirklich zu gebrauchen. Immer verhaue ich alles irgendwie. Wahrscheinlich wollte Serenity mich wirklich einfach nur loswerden." Er starrte in seine Tasse und leerte den Rest in einem Zug. „Und dann hat mich Dovario die Dunkelschluchten runter geworfen", schloss er.
Sunray blickte auf und sah, dass Mina bestürzt ihre Finger gegen den Mund gepresst hatte.
„A-aber ich hab's überlebt", fügte er verschmitzt lächelnd hinzu.
„Oh, Sunray. Es tut mir so leid, was dir passiert ist. Glaubst du denn wirklich, dass dich deine Freundin nicht mehr bei sich haben wollte?"
Sunray dachte nach. Was uns im Weg ist und lästig wird, wird aus dem Weg geräumt und zurück gelassen, hatte Lady Mysteria gesagt. Aber das traf doch nicht auf Serenity zu, oder? Das waren nur Worte von Lady Mysteria um ihn zu verunsichern. Und es hatte funktioniert, das musste sich Sunray wütend eingestehen. Sie hatte es geschafft Sunray's Vertrauen an Serenity in Frage zu stellen. Aber warum hatte Serenity ihn dann niedergeschlagen? Das hatte sie selbst zugeben.
Sunray wusste nicht, was er glauben sollte. Er war zu verwirrt und wütend, um auf eine klare Antwort zu kommen.
Letztendlich entschied er sich, es so zu halten, wie er es auch schon gesagt hatte: „Ich glaube kein Wort das aus Lady Mysteria's Mund kommt, bis ich es nicht von Serenity selbst höre", sagte er entschieden.
„Das ist eine gute Einstellung", sagte Mina nickend. „Glaub mir, es kommt bestimmt ganz anders, wenn du und deine Freundin euch das nächste Mal seht."
„Falls es überhaupt ein nächstes Mal geben wird", erwiderte Sunray. „Ohne Ausgang werden sie keine Möglichkeit haben mir zu helfen. Und finden müssten sie mich auch erst mal."
„Oh ja. Stimmt. Entschuldige", sagte Mina schnell und ihr Blick huschte wieder verlegen zum Ofen. „So", sagte sie dann, sprang auf und klatschte in die Hände. „Es wird Zeit schlafen zu gehen. Spät ist es, ja das ist es."
Jetzt wo Mina es sagte, merkte Sunray, wie müde er eigentlich war. Ja, schlafen schien eine gute Idee zu sein.
Leider war bei all den Dingen die Mina auf den Schrotthalden gefunden hatte kein Bett dabei, jedenfalls keins, auf dem man hätte schlafen können, also legte sie Sunray in eines der Bänder die an der Decke hingen, wie in eine Hängematte bei ihm zu Hause.
Sunray war schon sehr gespannt auf seinen Traum, denn vielleicht würde Serenity wieder in seinem Traum erscheinen und er könnte ihr sagen, wo er war, damit sie sich etwas einfallen lassen konnten, um ihn aus den Dunkelschluchten zu holen. Wenn nicht, dann war vielleicht auch seine vorherige Begegnung mit Serenity nichts weiter als ein Traum gewesen.
Er träumte tatsächlich von Serenity, aber nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Er trank Tee mit Mina, als plötzlich Serenity auftauchte.
„Da bist du ja, Serenity", sagte Sunray fröhlich. Serenity aber sprang ohne ein Wort auf den Tisch und schnappte sich den Sterndiamanten. Dann wandte sie sich um und ging wieder hinaus, ohne Sunray auch nur zu beachten. Sunray lief ihr hinterher, obwohl Mina ihn aufhalten wollte. Raus in die Dunkelschluchten. Er lief ihr nach so schnell er nur konnte, aber sie schien einfach nicht näher zu kommen. Sunray wusste plötzlich, dass sie nur gekommen war, um den Sterndiamanten zu holen. Das war alles, was sie interessierte. Sunray war ihr völlig gleichgültig. Dann verschwand sie. War einfach weg und ließ Sunray zurück, weil sie ja alles hatte, was sie wollte. Sunray war allein, ganz allein in der Düsternis der Dunkelschluchten. Dort blieb er wie angewurzelt stehen, unfähig sich zu rühren, oder auch nur einen Muskel zu bewegen, verwachsen mit dem Boden der Schlucht, so lange, bis er sich selbst zu Stein verwandelte.
Das riss Sunray aus seinem Schlaf. Er holte den Sterndiamanten hervor und legte ihn sich auf die Brust.
„Das ist nicht wahr, oder?", fragte er sich, während er den Stein anstarrte. „Das sie mich nur braucht, um ihr den Sterndiamanten zu bringen. Das ist nicht wahr, oder?" Aber sicher war er sich darüber leider nicht. Zudem hatte er ein ungutes Gefühl, das er selbst nicht richtig beschreiben konnte. Es fühlte sich an, als ob irgendetwas böses ganz in seiner Nähe wäre, dicht in seinem Nacken und ihn die ganze Zeit über die Schulter schauen würde.
Als er wieder aufwachte, war es aus einem unruhigen Schlaf. Mina war schon aufgestanden und briet etwas in einer Pfanne.
„Guten Morgen", säuselte sie, als sie Sunray bemerkte.
„Ist denn schon Morgen?", fragte er verschlafen.
„Ach das weiß man hier nie so genau. Du weißt schon, so ohne Sonnenlicht. Irgendwann entwickelt man ein ganz eigenes Zeitgefühl. Auf jeden Fall ist jetzt Frühstückszeit."
Sie half Sunray von seinem Schlafplatz herunter und setzte ihn auf dem Tisch ab.
Es gab Tee zum Frühstück und etwas das irgendwie an steingraues Rührei erinnerte. Sunray stocherte ein wenig mit seiner Gabel darin herum, nahm etwas auf und schob es sich in den Mund. Es schmeckte genauso wie es aussah. Fad, nahezu geschmacklos und trotzdem ziemlich abscheulich. Sunray brauchte drei Versuche um es runter zu schlucken, wo es in seinem Magen lag wie ein Steinbrocken.
„Büahhh", sagte er schaudernd. „Tut mir leid", fügte er um Verzeihung heischend zu Mina hinzu.
Zu seinem Glück, war Mina nicht beleidigt, im Gegenteil. Sie lächelte Sunray freundlich an. „Das muss es nicht. Ich weiß, es ist ziemlich widerlich." Sie hob ihren Teller und schob sich alles auf einmal in den Mund. Sie kaute angestrengt, wobei sie mit ihrer Faust auf den Tisch einhieb. Dann griff sie nach der Teekanne. „Du solltest dir den Mund ausspülen, sonst hast du den Geschmack ganze Tage lang im Mund", riet sie ihm, bevor sie die Kanne ansetzte und mit gierigen Schlucken zu trinken begann. Sunray ließ sich das nicht zweimal sagen. Er spülte seinen Mund mit dem Tee aus wie beim Zähneputzen, er gurgelte sogar und Mina tat genau das Gleiche.
„Nun, wie schmeckt es?", fragte Mia grinsend.
„Ekelhaft", antwortete Sunray wahrheitsgemäß.
Mina kicherte. „Ja, das hab ich mir gedacht. Selbst nach Jahren habe ich selbst mich nicht an den Geschmack gewöhnt. Aber es ist das Einzigste was man hier essen kann."
Sunray stocherte noch einmal mit seiner Gabel in den Klumpen herum. „Was genau ist das eigentlich?"
„Glaub mir, das willst du gar nicht wissen. Du isst wohl nicht auf, oder?"
Sunray's Magen gab ein leidendes Rumoren von sich. „Nee, danke."
„Dann trink besser noch ein wenig Tee, damit du wenigsten ein bisschen was im Magen hast."
„Der ist aber nicht aus irgendetwas gemacht, von dem ich besser nichts wüsste, oder?", fragte er misstrauisch.
„Oh nein. Er ist zwar nicht aus richtigen Teeblättern, aber aus einer Flechtenart, die hier unten tatsächlich wächst. Wahrscheinlich brauchst sie kein Licht."
Flechtentee, dachte Sunray. Naja, schlecht war er auf jeden Fall nicht.
„Oh, bleib genau so", sagte Mina plötzlich und sprang auf.
„Was?", fragte Sunray verwundert und sah ihr nach.
„Nicht bewegen! Bleib einfach genau so", sagte sie während sie eine Staffelei und einen Zeichenblock hervorholte.
„Was wird das?", fragte Sunray.
„Na was wohl? Ich werde dich Zeichnen. Du wirst mein neues Model werden", sagte Mina begeistert und fing an wild drauf los zu kritzeln. „Wir fangen klein an. Zuerst nur einfache Zeichnungen. Dann werde ich ein paar richtige Bilder malen und danach, ja, da mache ich eine richtig schöne Büste von deinem Kopf, bevor wir uns einer richtigen Statue widmen. Hach, ich war schon lange nicht mehr so inspiriert."
„Eine Statue? Aber das würde ja ewig dauern!"
„Nun, es ist ja nicht so, als ob wir hier unten besonders viel zu tun hätten, nicht wahr?"
Eine Statue von ihm. Auf unangenehme Weise erinnerte ihn das an seinen Traum. Er zu Stein erstarrt und für immer ein Bewohner der Dunkelschluchten.
„Sunray, mach nicht so ein trauriges Gesicht. Das verdirbt das ganze Bild", meinte Mina, die hinter ihrer Staffelei hervorlugte.
„Ich habe von Serenity geträumt", sagte er.
Mina hörte auf zu zeichnen. „Wirklich? Und was hat sie gesagt?"
„Es war nur ein ganz normaler Traum. Aber kein besonders guter. Und - ich muss dich jetzt etwas fragen. Und ich will, dass du ganz ehrlich bist", sagte Sunray ernst.
„O-okay", sagte Mina langsam.
„Gibt es wirklich keinen Ausgang aus den Dunkelschluchten?"
Mina's Blick rutschte in ihrer Kammer herum. „N-nein, den gibt es nicht."
„Mina", sagte Sunray und stand auf. Er sprang mit einem Satz auf ihre Nase und schaute ihr direkt in die Augen. „Du lügst mich an. Das sehe ich doch."
„Nein, tue ich nicht", sagte Mina mit einer hohen Fistelstimme.
„Mina, es muss einen Ausgang geben. Bitte sag mir wo."
„Nein, nein es gibt keinen", sagte Mina mit noch höherer Stimme.
„Dann erklär mir eins: du hast gesagt, du wärest damals, als du verbannt worden bist, genau hier angekommen. Angekommen! Das heißt, es muss einen Eingang geben, einen anderen, als einfach nur rein zu fallen. Und wenn es einen Eingang gibt, muss es auch einen Ausgang geben, oder?"
Mina's Augen blickten ausweichend zur Seite und Sunray folgte ihrem Blick. Der Ofen. Schon bei den ersten Malen, als Sunray einen Ausgang erwähnt hatte, hatte Mina ihn angesehen.
Sunray sprang von Mina's Nase und rannte zum Ofen. Es war ein für Sunray gewaltiges Monster aus Eisen, dessen Rohr in der dahinterliegenden gekachelten Wand mündete. Natürlich musste dieses Rohr irgendwo hinführen! Die Wand dahinter stand ein auch ein Stück weit vor, als wäre sie künstlich hochgezogen worden, das konnte Sunray, jetzt wo er näher dran war deutlich sehen.
„Ist es das?", fragte Sunray. „Ist das der Ausgang?"
„Nein, Sunray, nein!", sagte Mina mit schriller, angsterfüllter Stimme. „Komm da weg." Sie hob Sunray vorsichtig hoch und hielt ihn fest, so als sei der Ofen ein gefährliches Tier, auch wenn er versuchte sich ihrem Griff mit allen Mitteln zu entreißen.
„Das ist der Ausgang. Ich weiß es!", schrie Sunray.
„Nein, Sunray." Mina versuchte beruhigend zu klingen, aber ihre Stimme zitterte trotzdem. „Das ist nicht der Ausgang, sondern nur der Eingang."
„Eingang, Ausgang. Das ist doch dasselbe."
„Ist es nicht", erwiderte Mina eindringlich. „Wenn du versuchst da durch aus den Dunkelschluchten heraus zu kommen wirst du sterben! Das ist kein Ausgang. Nur ein Weg in den sicher Tod!"
„Was? Wieso denn das?"
Mina setzte ihn wieder auf dem Tisch ab und ließ sich selbst zurück in ihren Stuhl sinken.
„Ich habe nicht gelogen", sagte Mina mit belegter Stimme. „Das ist kein Ausgang, Sunray. Es ist nur der Eingang. Früher kamen alle verbannten des Sternkönigreichs da durch. Es ist der einzige Ort in den gesamten Dunkelschluchten in dem Magie funktioniert. Eine ganz eigene, bösartige Form von Magie."
Sunray setzte sich und sah Mina mit großen Augen an.
Mina atmete einmal tief durch. „Dieser Tunnel führt direkt zu der Grenze des Sternkönigreichs, obwohl es mehr ein Labyrinth ist, als ein einzelner Tunnel. Die Gefangenen wurden am Anfang des Eingangs einfach hinein geworfen und das, was da drin ist, hat sie so lange laufen lassen, bis sie hier oder an einen der anderen Enden wieder hinaus kamen. Nur die aller verzweifeltsten Gefangenen der Dunkelschluchten haben versucht auf diesen Weg auch wieder hinaus zu kommen. Die meisten kamen schreiend wieder zurück gerannt, hatten den Verstand verloren. Jeder von ihnen faselte anderes wirres Zeug. Alle anderen sind tot. Ich selbst habe es auch einmal, ein einziges Mal versucht und auch ich war kurz davor verrückt zu werden. Ich habe gerade noch rechtzeitig hierher zurück gefunden. Das ist kein Ausgang, sondern ein Weg in die Hölle."
Sunray betrachtete den Ofen noch einmal. Dahinter verbarg sich die wahrscheinlich einzige Möglichkeit für ihn, wieder zu Serenity zu kommen. Aber jetzt, wo er das gehört hatte, spürte er wieder dieses beklemmende Gefühl, dass irgendetwas böses ganz in seiner Nähe war. Da kam es also her. Es drückte gegen die Wand und sickerte in dünnen Fäden durch die kleinsten Ritzen in der Mauer.
Aber er konnte wohl kaum von jemanden verlangen, durch diesen Tunnel zu gehen, nur um ihn zu finden. Außerdem, wer sollte schon kommen? Lady Mysteria würde Serenity zur Zeit bestimmt nicht aus den Augen lassen wollen. Sie selbst würde sich auf keinen Fall die unannehmliche Mühe machen ihn zu suchen. Blieb also nur noch Dovario. Lady Mysteria hatte ihn schon einmal geschickt, um Sunray zu finden, egal was das für Konsequenzen für ihn haben würde. Aber damit Sunray gefunden werden konnte, mussten sie erst einmal wissen, wo er überhaupt war. Und selbst wenn jemand kommen würde, wäre es anscheinend unmöglich durch diesen Weg wieder hinaus zu kommen.
Mina legte einen Bogen Papier auf den Tisch. Darauf hatte sie groß und gekonnt sein Cutiemark gezeichnet, die Sonne. Er dachte wieder an seinen Traum. Er, Sunray der Sonnenstrahl, gefangen in den himmel- und sonnenlosen Tiefen der Dunkelschluchten. Keiner würde kommen, um ihn zu retten.
Und dieser Gedanke rüttelte etwas in Sunray wach. Ein grimmiger Stolz flammte in ihm auf. Niemand würde kommen um ihn zu retten? Was dachte er sich eigentlich die ganze Zeit?
Er schaute wieder zu dem Ofen. „Mina? Ist es wirklich so schlimm?", fragte er. „Ist dieser Tunnel wirklich so schrecklich?"
„Noch viel schrecklicher", antwortete Mina düster. „Sunray, ich habe dir nichts davon erzählt, weil ich nicht möchte, dass dir etwas schlimmes passiert und... ja, auch weil ich wollte, dass du bei mir bleibst", gab sie zu.
„Ich verstehe", sagte Sunray. „Nach all der Zeit ganz allein... Ich weiß nicht, was das aus mir gemacht hätte."
Mina sah ihn dankbar an. „Ich bin froh, dass du das verstehst."
„Aber ich muss trotzdem da durch."
„Was? Hast du mir nicht zugehört?"
„Doch habe ich. Aber es ist nun mal die einzige Möglichkeit, die mir noch bleibt", sagte er und stand auf. Er spürte einen ungeahnten, Funken schlagenden Mut in sich. „Die ganze Zeit habe ich nur daran gedacht, wie mich jemand retten kommen würde. Aber diesmal muss ich beweisen, dass ich auch selbst etwas erreichen kann. Ich kann nicht einfach nur da sitzen und auf Hilfe hoffen. Ich muss selbst etwas tun. Deshalb, bitte Mina, öffne diesen Eingang für mich."
„Nein." Mina schüttelte entschieden den Kopf.
„Wenn du mich nicht gehen lässt, werde ich dir das niemals verzeihen. Ich muss zu Serenity."
„Das kommt gar nicht infrage!"
„Dann suche ich mir halt einen anderen Eingang zu den Tunneln. Du hast selbst gesagt, es gibt noch andere. Und wenn ich dafür die gesamten Dunkelschluchten absuchen muss!"
Mina erwiderte Sunray's Blick. Sie beugte sich weit vor, bis zu ihm hinunter, ohne auch nur einmal zu blinzeln. „Das ist Wahnsinn", sagte sie.
„Ich weiß."
„Du bedeutet mit Sicherheit deinen Tod."
„Ich weiß."
„Und ich werde dich trotzdem nicht davon abhalten können?"
„Auf keinen Fall."
Mina seufzte und setzte sich wieder zurück. „Bist du dir da wirklich ganz sicher? Überleg es dir besser noch einmal genau. Es ist gar nicht so schlecht hier unten."
„Ich habe keine Zeit, um großartig zu Überlegen. Ich will mich nicht den Rest meines Lebens fragen, warum Serenity allein zu ihrer Schwester gegangen ist und mich ausgeknockt hat. Das werde ich nur wissen, wenn ich sie selber frage. Außerdem, wer weiß, was Lady Mysteria mit Serenity anstellt, wenn sie den Sterndiamanten nicht bekommt. Also bitte Mina, noch einmal, ich will nicht, dass Serenity was passiert und darum muss ich durch diesen Eingang."
Langsam, ganz langsam gab Mina Taura nach und ließ die Schultern sinken. „Na schön", sagte sie traurig. „Ich mache es nicht gern, aber ich helfe dir."
„Danke, Mina."
„Danke mir nicht zu früh. Du wirst mich dafür wahrscheinlich noch hassen", erwiderte Mina dunkel.
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Sunray - Das Geheimnis der Sternstadt (My Little Pony Fanfiction)
AdventureNicht genug, dass Sunray als Pegasus viel zu kurze Flügel hat, nein, er gehört auch noch zu der Sorte Pony, die das Unglück scheinbar magisch anziehen. Aber das hätte er sich niemals träumen lassen: Ein katastrophaler Museumsbesuch, dunkle Mächte, g...