Kapitel 24

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Sunray und Mina stampften weiter durch die Dunkelschluchten. Nachdem sie bei dem Kampf gegen den Troll und die Mümmlinge einen Höllenlärm veranstaltet hatten, nahmen sie es mit der Vorsicht nicht mehr so genau. Genau genommen war Mina sich sicher, dass wahrscheinlich die halbe Dunkelschlucht wusste wo sie waren, und dass es nicht klug war sich mit ihnen anzulegen. Also konnten sie ihren restlichen Weg ungehindert fortsetzen.
Nach einer Weile voller Windungen und Biegungen spürte Sunray, wie Kälte sich langsam an ihn hoch tastete. Und Mina merkte es auch. „Wir sind gleich da", sagte sie.
Sie ging um eine letzte Biegung und sie endeten in einen Seitenarm der Dunkelschluchten, der in eine Sackgasse führte. Abgesehen von einem großen Loch, das am Ende in der Felswand klaffte. Mina hätte sich nicht dadurch zwängen können, aber für ein Pony reichte es allemal aus. Aus diesem Loch kroch die Kälte und Sunray hatte das Gefühl in den Schlund eines Ungeheuers zu blicken.
„Das ist der Ausgang?", fragte er, als Mina ihn absetzte. Alles in ihm sträubte sich bei dem Gedanken dort hinein gehen zu müssen.
„Der Eingang", korrigierte ihn Mina, die die Arme um sich schlug. „Sunray das ist deine letzte Gelegenheit. Du musst da nicht rein gehen, du solltest da nicht reingehen. Das ist der gefährlichste Ort in den ganzen Dunkelschluchten. Das ist ein Ort der keine Sonne kennt."
Sunray wusste was sie meinte. Es war nicht die Kälte, die ihn zittern ließ, sondern das was sich darunter verbarg. Etwas böses.
Gleichzeitig aber spürte er, dass er sehr wohl dort hinein gehen musste.
Das hier war seine Prüfung. Sein Test um zu beweisen, dass er etwas schaffen konnte, ohne die Hilfe von seiner Familie, Mina oder Serenity. Das würde er ganz allein schaffen, aus eigener Kraft. Und dann würde er Serenity nach der Wahrheit fragen.
„Es ist wohl an der Zeit auf Wiedersehen zu sagen", sagte Sunray.
Mina wusste, nichts was sie sagen würde, könnte Sunray davon abhalten dieses wahnwitzige Unternehmen durchzuführen. Er würde ohne wenn und aber diesen Versuch wagen.
Anstatt also ein letztes mal an seinen Verstand zu appellieren kniete sie sich zu ihm hinunter. „Hast du alles was du brauchst?"
Sunray prüfte die Tasche unter seinem kleinen Flügel. „Ja, alles da."
Er entzündete die alte Berglampe.
„Und vergiss nicht, sobald es für dich da drin zu gefährlich wird und du es nicht mehr aushältst, lauf einfach zurück. Versprich mir das. Ich werde hier so lange warten."
„Du willst warten?"
„Aber natürlich!", stieß Mina aus. „Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt einfach wieder nach Hause gehe, oder? Du hast keine Ahnung worauf du dich da einlässt. Deswegen ist es gut, wenn jemand hier ist, wenn du zurück kommst."
„Ich werde aber nicht zurück kommen. Nicht, bis ich nicht mit Serenity gesprochen habe. Danach, wenn dieses ganze Abenteuer vorbei ist, komme ich dich abholen. Dann kannst du auch wieder raus. Versprochen."
„Sunray, es haben schon ganz andere geglaubt, dadurch wieder ans Tageslicht zu kommen, ich ebenfalls, aber das ist unmöglich. Glaub mir, wenn ich es irgendwie könnte ohne dich zu verletzen, würde ich dich aufhalten. Aber du bist stur. Deshalb muss ich dich gehen lassen und das wird dich wahrscheinlich mehr verletzen als gut für dich ist."
„Du verstehst es wirklich einen Mut zu machen", murmelte Sunray.
„Ich bin nur ehrlich zu dir."
Sunray richtete seinen Blick auf das Loch vor ihm und atmete tief durch und ging mit zitternden Beinen darauf zu. „Also los."
„Sunray, eine Frage hab ich noch."
Sunray drehte sich zu der Minotaurin um.
„Dieses Mädchen, Serenity. Wie ist sie so?"
„Sie ist meine beste Freundin."
„Du magst sie wohl wirklich, oder?"
„Sonst wäre sie nicht meine beste Freundin."
„Nein, ich meine du hast sie so richtig gern, nicht wahr?"
Sunray drehte peinlich berührt den Kopf zur Seite. „Ich weiß gar nicht, was du meinst."
Mina grinste. „Ist schon gut. Vielleicht hilft es dir ja deinen Ausgang zu finden."
Sunray wandte sich wieder dem Eingang zu. „Danke Mina", sagte er. „Ohne dich wäre ich nicht soweit gekommen. Den Rest muss ich jetzt alleine schaffen." Dann drehte er sich noch ein letztes Mal zu ihr um, bevor er in das Dunkel eintauchte und rief ihr zu: „Und bevor ich es vergesse; ich habe mir einen der Stempel genommen, jetzt musst du keine Briefe mehr an dich selbst schreiben. Sobald ich draußen bin, schick ich dir eine Nachricht."
Er wirbelte herum, bevor Mina etwas sagen oder er es sich womöglich doch noch anders überlegen konnte und rannte in die Dunkelheit hinein.
Mina sah ihm zu, seine grinsenden Worte im Ohr, wie er immer kleiner und schemenhafter wurde, bis er nach wenigen Augenblicken in der Dunkelheit verschwand.
„Viel Erfolg", sagte Mina leise und sie meinte es ehrlich. Sie musste daran denken, dass viele die diesen Weg versucht hatten, schon an dieser Stelle einen Rückzieher gemacht hatten. Dass viele schon jetzt geschrien hatten. Aber Sunray war nicht wie diese Ponys.
Vielleicht, ja vielleicht konnte er es tatsächlich schaffen.

Serenity trabte als Schlusslicht hinter Lady Mysteria und Dovario her. Sie überquerten eine der weiten staubigen Flächen zwischen den leeren Armen der Dunkelschluchten. Lady Mysteria ging ein gutes Stück voraus und achtete nicht weiter auf sie. Sie machte sich keine Gedanken darüber, dass Serenity etwas dummes anstellen könnte. Kurz vor Serenity ging Dovario, der, nun da er nicht mehr in den Dunkelschluchten war, wieder all seine unermesslichen Kräfte hatte.
Seit er zurückgekommen war brannte Serenity eine Frage auf der Zunge, die sie unbedingt beantwortet haben musste. Würde Lady Mysteria es bemerken, wenn Serenity...?
Aber Mysteria ging so weit voran, da würde ihr das bestimmt nicht auffallen, wenn sie leise waren. Langsam schloss sie zu Dovario auf.
„Ich muss dich was fragen", murmelte sie.
„Und was?", fragte Dovario mit einem wissenden Lächeln.
„Du sagtest, du wüsstest was Sunray ist", sagte Serenity. „Was hast du damit gemeint?"
Der Graue Hengst grinste. „Denkst du, das ist wichtig?"
„Ja!", sagte Serenity entschieden. „Ich weiß nicht, was in den Dunkelschluchten passiert ist, aber als du wiedergekommen bist, hast du Sunray bei seinem Namen genannt und nicht einfach nur der Pegasus gesagt. Du bist nicht die Art von Pony, die sich die Mühe machen würde sich Namen von Leuten zu merken, von denen sie nichts hält."
Dovario grinste noch ein wenig breiter. „Schlaues Mädchen."
„Also?"
„Also, was?"
„Also was ist Sunray?" Serenity hatte Angst vor der Antwort. Wenn Dovario sagte, dass Sunray gar nicht Sunray war... Aber was sollte er denn sonst sein?
Dovario schwieg einen Moment lang nachdenklich. „Was ich nach all der Zeit, die ich auf der Welt bin mit Sicherheit sagen kann ist folgendes: die Toten kommen nicht zurück. Es sei denn, sie tuen es doch."
Serenity starrte ihn verständnislos an. Dovario schien seinen Spaß daran zu haben und schwieg genüsslich.
„Was meinst du damit?", fragte Serenity. „Ist Sunray tot?"
„Nein."
„War er tot?"
„Nein – und doch, irgendwie schon."
„Dovario, bitte drück dich verständlich aus."
Dovario schien auf einmal abzuschweifen. „Das Wichtigste ist erst einmal, dass Sunray von allein herausfindet, was für ein Pony er sein will."
„Könntest du einmal geradeheraus antworten?"
„Jedenfalls ist es gut, wenn Sunray einen Weg allein aus den Dunkelschluchten finden muss."
„Wieso soll das denn gut sein?"
„Weil Sunray etwas in sich hat, von dem er noch nichts weiß."
„Und was soll das sein? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!"
„Was glaubst du denn, was er braucht, um aus den Dunkelschluchten zu finden?", entgegnete Dovario.
Serenity sah ihn verständnislos an.
„Glück?", fragte sie ratlos.
Dovario kicherte. Wahrscheinlich hätte er laut aufgelacht, aber hielt er es wohl auch für besser, wenn Lady Mysteria nichts von ihrem Gespräch mitbekommen würde.
„Glück? Nein, kein Glück der Welt wird ihm dabei helfen. Könnte man durch Glück allein den Dunkelschluchten entkommen, hätte das Sternkönigreich es niemals als Gefängnis eingesetzt. Was Sunray finden muss, ist ganz einfach seine eigene Stärke. Er muss noch mehr er selbst werden."
Serenity legte die Stirn in Falten. „Du liebst es, in Rätseln zu sprechen, oder?"
„Ich spreche nicht in Rätseln. Ich kann nur nichts dafür, dass du die Wahrheit nicht verstehst", entgegnete Dovario.
„Dann drück dich verständlich aus! Was meintest du damit, dass Sunray nicht tot war, aber irgendwie doch? Wie soll er noch mehr er selbst werden? Was ist Sunray?"
Dovario erwiderte Serenity's eindringlichen Blick ganz ohne ein amüsiertes Grinsen.
Er überlegte kurz.
„Ich bin schon vielen Leuten begegnet", sagte er schließlich. „Vielen einzigartigen Leuten. Solche, die es nur einmal gibt. Meistens auf dem Schlachtfeld. Nicht wenige habe ich selbst in den Tod geschickt. Und keiner kam je von den Toten zurück. Aber manchmal..."
„Manchmal?"
Dovario blickte Serenity an und sein Grinsen machte sie unsicher, ob er ihr eine Lüge oder die Wahrheit erzählte, als er sagte: „Manchmal bin ich Ponys begegnet, die waren diesen einzigartigen, diesen außergewöhnlichen Ponys, diesen Unikaten sehr ähnlich. Und das aus gutem Grund. Sie sind gestorben und kamen zurück, in einem anderen Leben."
Langsam verstand Serenity. „Eine Wiedergeburt."
„Ganz genau."
„Du glaubst also, Sunray sei eine Wiedergeburt?", fragte Serenity. „Und wie kommst du darauf, dass er eine Wiedergeburt ist? Er könnte doch auch so jemand außergewöhnliches sein."
„Stimmt", gab Dovario zu. „Jede Generation bringt ihre eigenen Helden und Unikate hervor. Aber das, was passiert ist, die Entwicklung die Sunray durchgemacht hat, seit er mit dir zusammen ist, das was in den Dunkelschluchten passiert ist. Das war mehr, als nur gute Eingebung, mehr als nur eine spontane glückliche Fügung von Glück und Geschick. Nicht bei einem Pony das sonst so ungeschickt ist. Das ist er doch, oder?"
„Ja, das ist er ", sagte Serenity leise. „Und er ist ein Heukopf. Und stur ist er und...und..." Verdammt, da waren wieder Tränen in ihren Augen. Serenity zwang sich, sie runter zu schlucken.
Dovario schien sie nicht zu bemerken oder er ignorierte sie ganz einfach.
„Das kommt meiner Meinung nach daher, weil das Alte in ihm und sein jetziges selbst nicht im Einklang sind. Sein wiedergeborener Teil bricht nur bei extremen Situationen hervor, als eine Form von Schutz."
„Willst du damit sagen, dass Sunray noch ein anderes Selbst in sich hat? Eine zweite Persönlichkeit?"
„Nein, eine Wiedergeburt ist genau das, was es heißt: die gleiche Person in einem späteren Leben, nur bei Sunray ist es der Fall, dass er etwas aus diesem früheren Leben mitgenommen hat. Doch dieses Etwas ist tief im Bewusstsein vergraben. Jahrzehnte, Jahrhunderte, ganze Jahrtausende können es unter sich begraben haben. Mit jedem Leben das vorangegangen ist, wird es schwieriger diese Etwas, diese Stärke wieder ans Licht zu bringen. Damit sie in ihm hochkommt, muss er eigene Entscheidungen treffen und sich sich selbst stellen.
Ansonsten wird Sunray nie ganz er selbst sein. Er wird immer das Gefühl haben, vielleicht sogar ohne es zu begreifen, ihm würde etwas fehlen. Ein fehlendes Steinchen im Mosaik seiner Selbst. Viele Wiedergeburten leben auf diese Art vor sich hin, ohne eine Ahnung davon zu haben wozu sie vielleicht im Stande sind, oder den Grund zu vollenden, aus dem sie wiedergeboren wurden.
Deswegen ist es gut, dass er einen Ausweg aus den Dunkelschluchten suchen muss. Dort unten wird er ganz auf sich allein gestellt sein und das wird ihn zwingen an seine äußersten Grenzen zu gehen. Was seine vergrabenes Stärke zum Vorschein bringen wird."
„Das klingt so, als wolltest du, dass Sunray aus den Dunkelschluchten findet."
„Natürlich, er hat den Sterndiamant und meine Aufgabe ist es, ihn Lady Mysteria zu bringen."
„Das ist aber nicht alles, oder? Es klingt auch so, als ob es dich freuen würde, wenn der wiedergeborene Teil von Sunray erwacht."
Dovario wiegte abwägend den Kopf hin und her, mit einem weiten Grinsen. „Ja, das auch. Es ist interessant, für Wesen meines Alters, Leute aus der gleichen Zeit zu treffen. Es ist wie ein Blick in die Vergangenheit."
„Dann weißt du, wessen Wiedergeburt Sunray ist?"
„Ich habe da so eine Ahnung. Aber persönlich bin selbst ich ihm nicht begegnet. Auch in meiner langen Zeitspanne des Lebens."
„Und wessen Wiedergeburt ist Sunray deiner Meinung nach?", fragte Serenity.
Dovario sah sie an und grinste fies. „Das sag ich nicht."
Serenity knirschte mit den Zähnen.
Aber eigentlich war es egal. Es war egal, ob Sunray eine Wiedergeburt war, von wem nun auch immer. Wichtig war nur, dass er zurück kam.
Sie konnte selbst kaum glauben, dass sie die nächsten Worte ausgerechnet zu Dovario sprach: „Ich danke dir."
Auch der Graue Hengst war verwundert. „Wofür?"
„Jetzt wo ich das weiß, geht es mir schon viel besser. Du glaubst daran, dass Sunray es aus den Dunkelschluchten schaffen kann und weißt du was? Ich glaube es auch!" Und das erste Mal seit einer Ewigkeit, so schien es ihr, konnte sie wieder lächeln.
„Du redest von Hoffnung", sagte Dovario und Verachtung lag in seiner Stimme.
„Genau."
„Hast du noch Hoffnung?", fragte der Graue Hengst.
„Ja", sagte Serenity langsam. Ihr Lächeln war so schnell erstorben, wie es gekommen war. „Jetzt schon."
„Hoffnung kann der schlimmste Fluch von allen sein. Seit Jahrhunderten lebe ich nun schon zwischen den Welten, hin und her gerissen. Ich bin nichts weiter als ein Geist, und habe nur dann einen Körper, wenn man in dieser Welt nach mir verlangt. Und in diesen Zeiten diente ich grauenhaften Leuten und tat grauenhafte Dinge, weil ich die Hoffnung hatte eines Tages in die Heimat gehen zu dürfen. Hoffnung hat mich das werden lassen, was ich heute bin. Und auch heute hoffe ich noch, trage diesen Fluch mit mir herum und hoffe nur noch auf eines."
Serenity's Mund bewegte sich wie von allein: „Worauf?"
Dovario blickte sie an und Serenity überkam das Gefühl, dass sie sich das erste Mal wirklich ansahen. Bisher hatte sie in dem Grauen Hengst nur das bösartige Monster gesehen, von dem erzählt worden war. Jetzt sah sie unter diesen kalten Augen ein Meer endloser Trauer, als er sagte: „Zu sterben."
Serenity schaffte es nicht zu fragen, denn in diesem Augenblick drehte sich Lady Mysteria zu ihnen um und warf einen funkelnden Blick auf Dovario. Sie hatten die nächste Spalte erreicht und er musste wieder einen Weg hinüber schaffen.
„Hoffe nicht zu viel, kleine Prinzessin", sagte der Graue Hengst leise, als er voran schritt. „Wie gesagt, es kann der schlimmste Fluch von allen sein."

Sunray - Das Geheimnis der Sternstadt (My Little Pony Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt