„Endlich sehen wir uns noch einmal von Angesicht zu Angesicht, meine kleine Schwester", sagte Lady Mysteria.
Serenity verkniff sich mühevoll eine Antwort. Sie hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr so genannt.
„Und wo ist unser lieber Sunray?", fragte Lady Mysteria.
„Nicht hier", sagte Serenity schnell. „Ich habe ihn weggeschickt."
Lady Mysteria hob eine Augenbraue. Serenity hatte das Gefühl, dass Lady Mysteria ihr die Lüge vom Gesicht ablesen konnte. „Warum das?"
„Ist das nicht offensichtlich?", fragte Serenity zurück.
„Hast du ihn mit dem Sterndiamanten weg geschickt?", fragte Lady Mysteria. „Dovario wird ihn finden."
„Das habe ich nicht! Ich habe Sunray einfach nach Hause geschickt."
Lady Mysteria runzelte die Stirn.
„Warum? Etwa damit er in Sicherheit ist?"
„Genau", antwortete Serenity.
Lady Mysteria hob den Huf vor den Mund und lachte laut.
„Was ist?", fragte Serenity.
„Ach Serenity, wie sehr dich ein wenig Angst zu unüberlegten Handlungen treiben kann. Sunray war nur so lange in Gefahr, wie du den Sterndiamanten hattest. Jetzt, da du ihn mir bringst, halte ich natürlich mein Wort und werde ihm nichts antun. Auch wenn Dovario gerne einen genaueren Blick auf ihn geworfen hätte."
Dovario lächelte. „Nun, daran kann man wohl nichts ändern."
„Es gab also nie einen Grund, dich von ihm zu trennen."
Doch, den gab es, dachte Serenity innerlich und sie schämte sich für ihre Feigheit.
„Ich hätte zu gerne mit angesehen, wie du ihm das Herz brichst", fuhr Lady Mysteria fort und erhob sich. „Das wäre ein zu schöner Anblick geworden. Komm, ich will dir etwas zeigen." Sie drehte sich um und stieg die Stufen hinauf. Serenity folgte ihr widerwillig. Als sie stehen blieben, stockte Serenity der Atem. Nur einige Schritte vor ihr stürzte der Boden scharf hinab in eine unendlich dunkle Tiefe. Eiskalter Wind wehte zu ihr hinauf, ließ sie frieren und heulte tief und verzweifelt wieder hinab.
„Die Dunkelschluchten", sagte Lady Mysteria mit einem Blick zu Serenity. „Erinnerst du dich noch daran?"
Ja, sie tat es gut. Aber sie hatte alle Erzählungen immer für ein Märchen gehalten.
Ein gewaltiger Riss in der Erde, der sich wie ein Netz über das ganze Land erstreckte. Aber nie hatten Serenitys Vorstellungen solche Dimensionen erreicht um sich auch nur annähernd das Bild vor Augen zu führen, das sich ihr jetzt bot.
Ein Riss kam als Beschreibung den titanischen Ausmaßen dieser Schlucht nicht einmal ansatzweise nah. Es schien viel mehr wie das Ende der Welt zu sein. Nur die Sternberge, die sich nur einen Katzensprung dahinter aneinander reihten schienen etwas anderes behaupten zu wollen.
„Und?", fragte Serenity. „Willst du mich hinunterstoßen, sobald du den Sterndiamanten hast?"
„Nicht doch." Lady Mysteria tat erschrocken bei dieser Vorstellung. „Ich werde dich einfach gehen lassen. Du wirst damit leben müssen, dass du alles verloren hast. Die Sternstadt, das Erbe und natürlich auch Sunray."
Serenity wurde wütend, als sie seinen Namen sagte.
„Ich wollte dir nur ein letztes Mal einen Blick auf die Sternberge gewähren, denn so nah, wirst du unserer Heimat nie wieder kommen."
Serenity sah zu den Sternbergen. Dahinter lag das Königreich das sie nie sehen würde.
„Und jetzt", sagte Lady Mysteria. „Hätte ich gerne meinen Diamanten zurück."
Serenity schluckte und legte die Satteltaschen ab.
Lady Mysteria gab Dovario dem Grauen Hengst mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er die Tasche holen solle. Langsam trat der Graue Hengst auf Serenity zu.
Bevor etwas anderes passieren konnte, hallte ein wütender Schrei durch die Luft und Lady Mysteria, der Graue Hengst und Serenity sahen, wie Sunray auf sie zustürmte.
Sunray's Kopf hämmerte gewaltig. Es fühlte sich an, als ob jemand versucht hätte, ihm den Schädel zu spalten. Mühevoll richtete er sich auf seine zitternden Beine und befühlte die raue Stelle an seinem Hinterkopf, zwischen einigen ausgefransten Haarsträhnen.
„S... Serenity?" Seine Zunge fühlte sich taub und schwer an. „Serenity?"
Seine Stimme kam als schwaches Echo zurück, aber er erhielt keine Antwort.
Ein Schreck fuhr durch seine Glieder, als er begriff, dass Serenity verschwunden war. Was auch immer ihn niedergeschlagen hatte, musste sich Serenity geschnappt haben. Hoffentlich war ihr nichts passiert.
Wäre er nicht gestolpert, wäre Sunray wohl einfach stur geradeaus gelaufen, einfach an dem Spalt in dem Kristall vorbei, aber seine Beine fühlten sich wie Gummi an und schon nach zwei Schritten fiel er wieder auf die Nase. Da sah er sie. Durch seine trüben Augen sah er drei verschwommenen Gestalten oben auf einem Plateau stehen. Er brauchte eine Sekunde, um zu erkennen wer sie waren: Serenity, Lady Mysteria und Dovario, der graue Hengst. Die beiden mussten ihn niedergeschlagen und Serenity in die Enge getrieben haben. Der Graue Hengst ging langsam auf Serenity zu...
Plötzlich hatte Sunray ein ganz eigenartiges Gefühl. Etwas völlig neues und doch sehr vertrautes. So als ob man etwas nach ganz unten in eine Kiste packt und sogar vergisst, dass es diese Sache mal gegeben hat.
Und dieses Gefühl sagte ihm ganz genau, wie er Serenity retten konnte!
Er sah es klar und deutlich vor seinen Augen.
Zuerst müsse er näher heran kommen, sagte ihm dieses Gefühl. Die Ponies standen in einem günstigen Winkel zu ihm. Keiner würde ihn bemerken
Er musste sich nur langsam und vorsichtig vorwärts schleichen, sagte ihm das Gefühl.
„AAAAAAAHHHH!!!!" Schreiend raste er los. Diese Eingebung die er hatte, war zwar ein vernünftiger und scheinbar sicherer Plan, aber im Moment wollte Sunray nur eines: Serenity retten! Dieser Gedanke lenkte im Moment sein gesamtes Handeln und ließ keinen Platz für Vernunft.
Aber abgesehen davon, dass er sich nicht anschlich, lief fast alles so, wie es ihm seine Eingebung sagte.
Lady Mysteria, der Graue Hengst, die Tasche, Serenity und der Edelsteinstaub.
Er hätte sich anschleichen sollen um ein gutes Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben, aber überrascht waren sie auch alle so.
Mit ein paar schnellen Sätzen sprang er auf das Plateau hoch, genau zwischen Serenity und den Grauen Hengst. Die Tasche die auf dem Boden lag, beförderte er mit einem Tritt zu Serenity hinüber und mit einem weiten Schwung seines Schweifs fegte er Dovario eine Wolke aus Edelsteinstaub ins Gesicht, woraufhin dieser geblendet zurück taumelte.
Alles lief fast so, wie geplant. Fast. Denn als Serenity und er in diesem Moment die Möglichkeit hatten die Flucht zu ergreifen, da starrte Serenity ihn nur fassungslos an und fragte kaum hörbar: „Was machst du hier?"
Einen Augenblick voller Verwirrung lang, sahen sich die beiden an. Diesen Augenblick nutzte der Graue Hengst. Er warf sich auf Sunray und schlug auf den Hinterkopf, genau dort, wo er schon einmal getroffen worden war.
Ein Blitz vor den Augen und ein schrilles Pfeifen in den Ohren und Sunray fühlte, wie er ein weiteres Mal zu Boden ging, die Hoffnung auf Flucht nun völlig zerstört.

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Sunray - Das Geheimnis der Sternstadt (My Little Pony Fanfiction)
AventuraNicht genug, dass Sunray als Pegasus viel zu kurze Flügel hat, nein, er gehört auch noch zu der Sorte Pony, die das Unglück scheinbar magisch anziehen. Aber das hätte er sich niemals träumen lassen: Ein katastrophaler Museumsbesuch, dunkle Mächte, g...