Kapitel 2- Das Wiedersehen

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"Bitte schnallen Sie sich an! Die Landung steht kurz bevor!" Ich schluckte, machte es mir auf meinem Sitz bequem und beobachtete nervös, wie der Flughafen Londons immer größer wurde. Bald würde es so weit sein. Bald würde ich vor meinen leiblichen Eltern stehen. Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht? Verdammt, das war das zukünftige Königspaar Englands! Was erwartete ich eigentlich? Eine rührselige Familienzusammenführung würde das hier sicher nicht werden. Bestimmt musste alles streng nach Protokoll ablaufen. Nur doof für sie, dass ich das Protokoll nicht kannte. Ha! Pech für sie. Dann würde ich halt eben schon an meinem ersten Tag einen gewaltigen Skandal auslösen. Was war schon dabei? Ich war ich, und daran würde sich nichts ändern. Wegen so einem blöden Treffen mit der Königsfamilie musste ich eindeutig nicht aufgeregt sein!

"Aaliya, hilf mir! Wie komme ich hier weg ohne aufzufallen? Ich bin so aufgeregt, ich kann das nicht!", plärrte ich meiner besten Freundin nervös ins Ohr. Diese saß gerade ganz entspannt am Strand in der Türkei und musste sich im Gegensatz zu mir keine Sorge über eine bevorstehende Familien-Zusammenführung mit den Royals machen. "Mann, Isabella, entspann dich doch mal! Wenn das wirklich stimmt, was Kate da in diesem Brief geschrieben hat, machst du dir völlig umsonst Sorgen. Und warum sollte sie dich anlügen und sich so eine Geschichte ausdenken, mit Details, die niemand außer deiner Familie wissen kann? Alles wird viel entspannter werden, als du gerade befürchtest" "Okay, gut, ich lege mich gleich hin und schlafe eine Runde, weil ich ja sooo entspannt bin, was das bevorstehende Treffen angeht..." Mein sarkastischer Ton war nicht zu überhören. Dass Aaliya das trotzdem schaffte, konnte ich entweder auf ihre fehlende Intelligenz oder auf ihre Entschlossenheit, mich durch dieses Gespräch nicht noch nervöser zu machen, schieben. Da sie Klassenbeste war, schob ich es auf das Zweite. Ich traute ihr nicht zu, die Lehrer bestochen zu haben.  "Gut, dann mach das. Bis bald!" Bumm. Schon hatte sie aufgelegt, während ich versucht war, den Kopf gegen die Mauer der Eingangshalle des Flughafens zu hauen. Wirklich ganz aufbauend dieses Gespräch, danke. Es hat mich wirklich unglaublich gut abgelenkt, Aaliya... Aber was sollte es schon? Irgendwann musste ich mich sowieso meiner Familie stellen, besser früher als später. Mit zitternden Händen zog ich meinen Koffer in Richtung Parkplatz.

Das rege Gedrängel, das mich dort antraf, hatte ich schon erwartet. Zwar war ich bis heute noch nie geflogen, aber Aaliya hatte mir schon so oft von ihren Flügen berichtet, dass ich das Gefühl hatte bei jedem einzelnen dabei gewesen zu sein. So, wo musste ich denn jetzt hin? Aufmerksam drehte ich mich um meine eigene Achse und betrachtete die vielen verschiedenen Passagiere. Da hinten in der Ecke verlud ein Familienvater die Koffer in einen roten PKW. Die Mutter versuchte währenddessen, den kleinen Jungen dazu zu überreden, aus seinem aufblasbarem Krokodil die Luft herauszulassen. Links daneben stand ein junges Liebespaar, das vor lauter Turteln noch alle Koffer vor dem leeren Kofferraum stehen hatte. Und daneben... Ach, das sah so aus, als wäre es für mich. Es sei denn, es war noch jemand anderes mit meinem Namen und meinem Aussehen hier unterwegs... Schnell sah ich mich nach einem unbekannten Zwilling um und verfluchte mich gleich dafür. Wie doof musste man sein, um das zu machen? Andererseits... Hatte das nicht schon jeder das einmal gemacht? Ich grinste und machte mich auf zu dem kleinen Mann, der ein großes Schild mit meinem Foto und meinem Namen hochhielt.

"Miss Isabella? Steigen Sie bitte ein", wurde ich sofort hastig begrüßt. Noch ehe ich selbst die Autotür öffnen konnte, wurde sie mir aufgehalten. Auch gut. Daran musste ich mich wohl gewöhnen, wenn ich jetzt eine Prinzessin war, nicht? Da ich erwartet hatte, dass ich gleich nach meiner Ankunft meinen Eltern begegnen würde, war ich etwas erstaunt, als ich bemerkte, dass ich ganz alleine im Wagen war. Dennoch verspürte ich Erleichterung, dass ich das Kennenlernen noch etwas aufschieben konnte. Vielleicht war mein Dasein als unbekannte Tochter von William und Kate ja ein Geheimnis? Nicht einmal der Fahrer, der nun lautstark den Wagen startete, schien etwas von meiner Herkunft zu wissen. Hätte er mich sonst nicht mit meinem Titel begrüßt? Obwohl... War ich vielleicht eigentlich gar keine Prinzessin, weil ich vor der Hochzeit meiner Eltern geboren wurde? Oder spielte das gar keine Rolle, weil ich alleine von meiner Abstammung her ein Recht auf den Titel hatte? Okay, das wurde jetzt zu kompliziert. Mein Kopf brummte und ich starrte aus dem getönten Fenster. Die Landschaft verschwamm vor meinen Augen zu braungrünen Farbschlieren und schließlich fielen mir die Augen zu sein. Ich erwachte abrupt, als das Auto ruckartig in einer breiten Auffahrt hielt. Vor mir, links von mir und rechts von mir ragte ein Gebäude empor. Das musste wohl der Kensignton Palast sein, der Wohnsitz meiner Eltern, nicht? Gerade als ich selbst aussteigen wollte, wurde mir wieder einmal die Tür aufgehalten. Also, so langsam nervte mich das ja! Ich warf dem kleinen Mann einen nicht ganz so freundlichen Blick zu und sprang auf den grauen Kies. Kleine Steinchen knirschten unter meinen Sohlen, als ich mich unsicher der großen Eingangstür aus Holz näherte. Rasch folgte mir der Mann mit meinem Koffer. Er schien wohl ein Diener zu sein, auch wenn mich seine genaue Funktion gerade einen Dreck interessierte. Gerade war ich eher darauf konzentriert, das Zusammentreffen möglichst schadenfrei zu überstehen.

Der Teppich unter meinen Füßen war rot. Bordeauxrot, um genau zu sein. Hier und da entdeckt ich dünne, schwarze Hundehaare, die sich in den weichen Fransen verfangen hatten. Interessant, interessant... Okay, okay, ich gab es ja zu, ich betrachtete den Boden, weil ich es nicht über mich brachte, hochzuschauen und damit Kate und William ins Gesicht zu sehen. Seit die beiden Royals herein gekommen waren, hatte ich nur einen kurzen Blick auf sie erhascht, ehe ich mich dem Teppich gewidmet hatte. Nun herrschte betretenes Schweigen. Niemand wusste wirklich, was er sagen sollte. Schließlich war es William, der das Schweigen brach, nachdem er sich kurz geräuspert hatte: "Isabella, sag irgendetwas, irgendwas. Bitte. Sag, dass du uns hasst, wenn es das ist, was du denkst. Ich will nur wissen, was gerade in dir vorgeht..." Ich konnte förmlich spüren, wie er versuchte, seine Tränen zurückzuhalten, als er schluckte. So hart konnte ich jetzt auch nicht sein. Ich sammelte allen meinen Mut zusammen und sah hoch. Oh. Von Nahem ähnelte Kate mir ja viel mehr, als ich je gedacht hatte. Sie hatte sich in Williams Arme gekuschelt und schien es fast nicht fertigzubringen, mich anzusehen. Man sah ihr an, dass sie sich ein wenig vor meinen Gefühlen fürchtete. Aber das war eigentlich völlig unnötig. Wenn ich richtig überlegte, war ich eigentlich sogar froh, meine leiblichen Eltern kennenzulernen... Ich versuchte mich an meinem zaghaften Lächeln, das zwar wahrscheinlich etwas misslang, aber egal. "Ihr seid wirklich meine Eltern?" Auch Kate lächelte zaghaft, als sie zögernd nickte und einen Schritt auf mich zutrat. Weiter kam sie nicht, schien sich unsicher zu sein, wie nah sie mir kommen durfte. Gut, dann übernahm ich das eben. Tief durchatmend ging ich auf sie zu und umarmte sie. Sofort war der "Fluch" gebrochen. Mit halbem Ohr nahm ich wahr, wie William auf uns zukam und uns alle beide in seine Arme schloss. Als nun auch noch Kates Glückstränen leise auf meine braunen Haare tropften, konnte ich meine Gefühle ebenfalls nicht mehr zurückhalten. Auch mir liefen nun salzige Tränen über die Wangen. Aaliya hatte Unrecht gehabt. Es war nicht nur besser als ich es mir vorgestellt hatte. Es war einfach nur perfekt. 

Der Tag, an dem ich zu Englands Prinzessin wurde (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt