Kapitel 6- Ein Abendessen mit Folgen

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Es war so weit. In weniger als einer Stunde würde mein Schicksal sich entscheiden. Nervös strich ich mein Kleid glatt. Für den besonderen Anlass, den mein erstes Abendessen mit einer anderen Königsfamilie bot, hatte Kates Stylistin für mich ein knapp bodenlanges Abendkleid ausgesucht, das, wie sie betonte, "mit seiner wundervollen, dunkelvioletten Farbe wunderbar deine braunen Augen betont". Als ich mir aus Gewohnheit eine Haarsträhne hinters Ohr streichen wollte, stutzte ich, als meine Finger ins Leere fassten. Natürlich... Wenn man eine strenge Hochsteckfrisur trug, konnte man nichts zurückstreichen... Resigniert ließ ich die Hand wieder in den Schoß fallen. Vorsichtig setzte ich mich etwas bequemer hin, sorgsam darauf bedacht, auf keinen Fall mein Kleid zu zerknittern. Es nervte mich selbst, wie stocksteif ich dasaß- Das war nicht ich. Aber was sollte ich denn schon machen? Wenn ich bei meiner Familie bleiben wollte, durfte ich mir nicht einmal die kleinste Falte im Kleid erlauben.

"Aufgeregt?" Neben mir ließ sich Kate aufs Bett fallen und streichelte mir tröstend über den Rücken. Leise seufzte ich. "Ja... Wie könnte ich es nicht sein?" "Du schaffst das schon, mach dir keine Sorgen. Und auch wenn nicht..." Sie zögerte kurz. "Wir lassen dich nicht einfach so gehen" Ein leises Knarren erklang, als William das Zimmer betrat. Im dunklen Anzug wirkte er in dem gemütlichen Zimmer irgendwie fehl am Platz. "Es ist schon fast acht Uhr... Wir müssen los" Ruhig legte er mir eine Hand auf die Schulter und sah mir in die Augen. "Du schaffst das. Du hattest jetzt ja noch Zeit, um alles zu wiederholen. Du schaffst das" Ich merkte an seiner Stimme, dass er viel verzweifelter war, als er zugeben wollte. Sie klang irgendwie gepresst und außerdem hielt er meine Schulter fest umklammert. Wenn sogar er sich Sorgen machte, wie sollte ich das denn nur meistern? Nein. Solche Gedanken durfte ich nicht zulassen. Sie würden ich nicht beruhigen, sondern eher das Gegenteil bewirken. Tief atmete ich durch, um irgendwie meinen viel zu schnellen Puls zu verlangsamen. "Wie ist eigentlich die Sitzordnung nachher?" Irgendwie musste ich mich ja ablenken. "Haakon hat uns vorhin hier irgendetwas schnell Hingekritzeltes vorbei gebracht. Das müsste wohl die Sitzordnung sein..." Aus ihrer Handtasche kramte sie ein zerknittertes Stück Papier hervor, das sie sorgsam glatt strich und versuchte, irgendetwas zu entziffern. "Also, wenn ich das jetzt richtig verstehe... In der Mitte sind König Harald und König Sonja... Dann kommt rechts von Harald Charles und links von Sonja kommt Camilla..." Sie kniff die Augen zusammen. "Dann bist du, William, neben Charles und ich sitze neben Camilla. Dann kommt neben William Haakon und neben mir Mette-Marit... Neben ihr sitzt du und neben Haakon sitzt seine Tochter Ingrid Alexandra" Sie sah hoch. "Isabella, ist es für dich in Ordnung, wenn du neben Mette sitzt? Sie hat mir versprochen, dir auch während dem Essen ein wenig zu helfen. Wenn ich es machen würde, wäre es wohl etwas auffällig" Ich nickte erleichtert. Solange ich nicht neben Charles sitzen musste, war mir alles Recht. Entschieden stand ich auf. Ich würde das hinbekommen! "Also, gehen wir?"

"Muss man das Geschirr von außen nach innen oder von innen nach außen benutzen?" Unsicher beugte ich mich zu Mette-Marit hinüber, die mir lächelnd antwortete. "Von außen nach innen" "Danke..." Erleichtert nahm ich den größten Löffel und begann, langsam die Suppe zu essen. Eigentlich hatte ich ja heute Abend noch schnell alle Regeln gebüffelt. Aber jetzt, wo ich hier saß, war auf einmal alles wie ausgelöscht. Alle diese Kameras verwirrten mich. Am schlimmsten waren aber eindeutig die Reporter, die uns am Palasteingang aufgelauert und mit Fragen bestürmt hatten. Anscheinend war mein Sturz bei der Ankunft heute Morgen schon in allen Klatschmagazinen ausführlich analysiert worden. Die Resultate reichten von "Sie ist eine komplette Vollkatastrophe als Royal" über "Sie ist eine Schleimerin" bis zu "Sie ist schwanger und deshalb so tollpatschig". Na toll... Wenn es nach den Zeitschriften ging, war ich also schon längst schwanger, während ich in Wirklichkeit verzweifelt versuchte, meinen Platz bei meiner Familie zu bewahren. Unauffällig war ich einen Blick hinüber zu meinem Großvater. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte er mir direkt in die Augen. Erschrocken zuckte ich zusammen und wandte meinen Blick wieder dem Teller zu. Erst als ich mir sicher war, dass er mich bestimmt keine fünf Minuten am Stück angeblickt hatte, wagte ich es wieder, aufzusehen. Mittlerweile war er in ein Gespräch mit meinem Vater verwickelt, der aussah, als würde er am liebsten sofort verschwinden. Ich verstand ihn. Auch ich würde am allerliebsten sofort verschwinden... Erschrocken fuhr ich zusammen, als plötzlich jemand neben mir stand und meinen Teller abräumte. Ein lautes Klirren ertönte, als ich mit dem Arm über das Besteck streifte und alle Gabeln auf den Boden fielen. Nein. Ich erstarrte. Das war's. Ich vergrub den Kopf in den Händen. Natürlich hatte ich es nicht schaffen können... Gerade als ich aufspringen und aus dem Zimmer rennen wollte, hielt Mette-Marit mich am Ärmel fest. "Nicht!", zischte sie mir zu. "Wenn du jetzt wegrennst, war alles umsonst. Wenn du bleibst, kannst du ihn noch überzeugen!" Erst wollte ich stehen bleiben, ließ mich schlussendlich aber doch wieder sinken. Aus irgendeinem Grund vertraute ich auf ihr Urteil. Und auch wenn mit einigen Ratschlägen der restliche Abend glattlief, glaubte ich nicht wirklich daran, noch eine Chance zu haben.

"Nein" "Vater, das kann nicht dein Ernst sein! Das kannst du mir nicht antun!" Schützend stellte sich William vor mich, als Charles sein vernichtendes Urteil sprach. Ich hatte schon damit gerechnet, meine Eltern anscheinend nicht. William schien ehrlich geschockt zu sein, während Kate nur schwer ihre Tränen zurückhalten konnte. "Doch" Kalt blitzte mein Großvater mich an. "Das mit den Gabeln hätte ich ihr ja noch verzeihen können. Aber ihre Reaktion danach... Außerdem sollte sie selbst die Etikette kennen und sie sich nicht von irgendeiner drogenabhängigen Bürgerlichen eintrichtern lassen. Das war's. Schaut, dass ihr sie bis morgen irgendwo unterkriegt. Wir brechen den Besuch ab, ich finde schon einen Weg. Wenn ihr nichts findet, kümmere ich mich schon darum" Nach seiner Ansprache drehte er sich um, nahm den Arm seiner Frau und ließ uns zu dritt zurück. Kraftlos ließ ich mich auf mein Bett fallen. So schnell wie ich meine echte Familie gefunden hatte, so schnell sollte sie mir auch wieder genommen werden? Ich sah keinen Ausweg. Wo sollte ich denn sonst unterkommen? Wo konnte ich denn jetzt noch glücklich werden? William schien nicht so schnell aufgeben zu wollen. Entschieden kniete er sich vor mir auf den Boden und nahm meine Hände in seine. "Wir finden einen Weg, Isabella, versprochen. Das ist nicht das Ende" 

Der Tag, an dem ich zu Englands Prinzessin wurde (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt