Kapitel 7- Verbündete

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In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Stundenlang kreisten meine Gedanken um die Zukunft: Wo würde ich mein restliches Leben verbringen? Würde ich mich wohlfühlen? Würde ich meine Familie je noch einmal wiedersehen? Gab es vielleicht irgendeinen Ausweg? Ich musste nicht einmal lange überlegen, um mir die letzte Frage beantworten zu können. Ich sah einfach keine Lösung. Charles' Ansage war klar gewesen: Entweder ich verschwand von mir aus oder er würde dafür sorgen, dass ich verschwand. Mir war nicht klar, was meine Eltern an dieser Tatsache ändern wollten. Ich zumindest wusste nicht, wie ich das Versetzen in eine andere Familie verhindern wollte. Trotzdem war da noch so ein kleiner Funke in mir, der nicht aufgeben wollte. Der kämpfen wollte, obwohl es aussichtslos war. Und es war dieser Funken, der mich jetzt wach hielt. Erschöpft ließ ich mich in die Kissen sinken und suchte instinktiv die Decke über mir nach den Leuchtsternen ab, die ich mit drei Jahren bei meiner Adoptivfamilie über mein Bett geklebt hatte. Sie hatten mir Schutz in der Nacht geboten, damals, als es meine einzige Angst gewesen war, ob nicht irgendwelche Monster aus meinen Schränken gekrochen kommen könnten. Schon komisch, wie sehr mein Leben sich seitdem gewandelt hatte... Ein leises Knarren ließ mich aufschrecken. "Wer ist da?", rief ich zögernd in die Dunkelheit, obwohl ich mir selbst einzureden versuchte, dass es nur das Holz war. Alte Gebäude machten halt Geräusche. Wer, außer mir, war denn um diese Uhrzeit noch wach? Eine leise Stimme zerstörte meinen Verdacht. "Können wir reinkommen?" "Klar" Ich richtete mich auf und machte Platz für William und Kate, die sich neben mich aufs Bett sinken ließen. William blickte mich entschlossen an. "Ich habe eine Idee"

Am nächsten Morgen war ich so aufgeregt, dass ich sogar noch vor dem Klingeln meines Handyweckers aufwachte. Sofort strömten alle Erinnerungen des gestrigen Tages wieder auf mich ein. Als ich gerade verzweifeln wollte, fiel mir ein, dass ich ja so etwas wie einen Plan besaß. Da war zwar noch die Frage zu klären, ob es gut gehen würde, aber hey, probieren konnte ja nichts schaden. Obwohl ich sonst eher ein Morgenmuffel bin, konnte ich mich in Anbetracht dessen schnell aus den kuscheligen Laken quälen. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Alles musste erledigt sein, ehe Charles auf die Idee kommen könnte, er müsste eingreifen. Ein zufälliger Blick in den Spiegel zeigte mir, dass man mir die Sorgen deutlich ansah. Große Augenringe unter meinen dunkelbraunen Augen zeugten von einer schlaflosen Nacht. Kurz überlegte ich, diese abzudecken, doch ich ließ die Idee fallen. Vielleicht würden solch deutliche Spuren der Verzweiflung ja helfen, unsere potenziellen Verbündeten zu überzeugen. Schnell warf ich mich in eine dunkelblaue Jeans und ein einfarbiges, smaragdgrünes T-Shirt, band mir die Haare zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammen und steckte mein Handy in die Hosentasche. Das musste genügen. Wenn alles glatt lief, würde ich meine Sachen auch später noch packen können. Schnell machte ich mich durch die unscheinbare Tür auf ins Zimmer meiner Eltern. Dort blieb ich erst einmal stehen: Beide schliefen noch. Kurz überlegte ich, ob ich nicht vielleicht einfach wieder umdrehen sollte, doch meine Zweifel gewannen die Oberhand. Es konnte jeden Moment zu spät sein! Kurz entschlossen rüttelte ich an Kates Schulter, die nur verschlafen brummte. "Will... Hör auf" "Ich bin's Isabella! Wir müssen los!" Hartnäckig versuchte ich, nun auch William durch Schütteln wachzubekommen. Dieser schlug auf meine Weckmethoden deutlich besser an. Es dauerte nicht lange, bis er sich aufrichtete und sich verschlafen die Augen rieb. "Was ist los?" Schlagartig erstarrte er, als er sich wieder an die gestrigen Geschehnisse erinnern. Anschließend sprang er auf und rannte ins Badezimmer, nicht ohne vorher noch schnell seine Frau aus dem Schlaf gerissen zu haben. Erleichtert betrachtete ich, wie die Beiden sich schnell fertig machten. Bis zu unserem Aufbruch verzog ich mich wieder in mein Zimmer, wo ich zur Ablenkung auf meinem Handy herum spielte und hoffte, dass alles nach Plan verlaufen würde. 

Unsicher trat ich von einem Fuß auf den anderen. Je länger es dauerte, desto aufgeregter wurde ich. Was hatten wir uns eigentlich dabei gedacht? Wir hatten doch keine Ahnung, ob sie uns überhaupt helfen würden. Was würden wir überhaupt machen, wenn unser Plan fehlschlagen würde? Besser gesagt, was würde ich machen? Wo würde ich landen? Haltsuchend rückte ich ein Stück näher an meine Mutter heran, die mich beschützend in den Arm nahm. "Wir schaffen das...", murmelte sie beruhigend in meine Haare hinein. Gerade ich fast soweit war, mich ein Stück weit zu entspannen, flog die Tür auf. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag wieder, als ein ziemlich verschlafen wirkender Haakon aus der Tür spähte. "Spinnt ihr? Habt ihr schon einmal auf die Uhr geguckt?" Gerade als er die Tür wieder zuschlagen wollte, stellte William geistesgegenwärtig einen Fuß dazwischen. "Haakon, bitte warte! Es ist wichtig!" Wahrscheinlich war sein Blick so verzweifelt, dass sich der norwegische Thronfolger erbarmte und uns die Tür aufhielt. "Kommt rein. Was ist los?" Schnell schob ich mich ins Zimmer, das viel bescheidener eingerichtet war, als ich es erwartet hätte. Durch eine offene Tür konnte ich einen Blick auf ein gemütliches Ehebett erhaschen, indem sich eine schlaftrunkene Mette-Marit räkelte. "Was ist los?", bekam ich noch einmal von ihr zu hören. "Das ist eine ziemlich lange Geschichte..." Neben mir seufzte William. "Na, dann erzählt sie mal!" 

Eine Viertelstunde später war alles raus, was bis jetzt passiert war. Von meiner Geburt bis zur gestrigen Reaktion von Charles. Nachdenklich sah ich zu Norwegens Thronfolger und versuchte an ihrer Reaktion zu erkennen, ob sie uns helfen würden. Haakon nickte nachdenklich, während Mette-Marit gereizt die Augen zusammenkniff. "Ich bin also eine drogenabhängige Bürgerliche, aha... Ist ja nicht so, als hätte ich mit meiner Vergangenheit längst abgeschlossen..." Man sah ihr an, dass es sie verletzte, sie aber lieber wütend als verletzt reagierte. Stumm legte ihr Ehemann ihr eine Hand auf den Unterarm. Fast sofort schien sie sich zu beruhigen. Eine Frage hing noch im Raum. Ich hätte mich beinahe gewundert, dass niemand sie aussprach, als Haakon endlich nachhakte: "Okay, William, das ist ja alles schön und gut- okay, eher das Gegenteil von schön und gut- aber wie sollen wir euch denn weiterhelfen?" Gut. Jetzt kam der Teil, der alles entscheiden würde. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Vater zu einer Erklärung ansetzte. Schnell kam ich ihm zuvor. Es ging hier um meine Zukunft. Dann wollte ich bitte auch selbst dafür verantwortlich, wenn das hier misslang. "Es ist so... Wir haben uns gedacht, dass ich vielleicht hier bei euch wohnen könnte, bis meine Eltern das alles mit Charles geklärt haben. Geht das für euch in Ordnung?" Ängstlich zog ich die Schultern hoch. Wie leicht konnte das hier eigentlich schief gehen? Unsicher betrachtete ich das zukünftige Königspaar. Haakon und Mette-Marit schienen stumm mit Blicken zu kommunizieren. Als sie schließlich unauffällig nickten, begann mein Herz noch ein wenig schneller zu schlagen. Konnte es wirklich klappen? Ich hielt den Atem an. "In Ordnung" 


Der Tag, an dem ich zu Englands Prinzessin wurde (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt