Kapitel 13- Am Boden zerstört

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Wäre in den folgenden zwei Wochen etwas Weltbewegendes passiert, ich hätte es nicht bemerkt. Wäre der dritte Weltkrieg ausgebrochen, ich hätte es nicht mitbekommen. Ich sperrte mich in meinem Zimmer ein, wollte einfach nur allein. Und dann weinte ich, weinte einfach nur.

So viel hatte sich in den letzten Wochen und Monaten in meinem Leben getan. Ich war mehrmals am Boden zerstört gewesen und wieder aufgestanden. Ich hatte oft keinen Ausweg gesehen, aber dennoch nicht aufgegeben. Ich war zweimal aus meinem bekannten Umfeld gerissen worden und hatte versucht, mich so schnell wie möglich wieder einzuleben. Ich hatte gekämpft. Aber das hier war zu viel. Meine Energiereserven waren aufgebraucht. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte.

Niemanden ließ ich zu mir kommen, nicht einmal Ingrid oder Sverre, auch wenn sie mehrmals vor meiner Tür gestanden und versucht hatten, mit mir zu reden. Vergeblich. Ich hatte beharrlich geschwiegen, bis sie wieder weg waren. Ich wusste, ich würde noch nicht die richtigen Worte finden. Und auch wenn mehrmals ein Diener- wegen der Stimme nahm ich an, dass es immer der gleiche gewesen war- mich gebeten hatte, zum Essen zu kommen, hatte ich ihn nur aufgefordert, mir den Teller mit einer extragroßen Portion vor die Tür zu stellen. Manche Menschen hungern, wenn sie trauern. Ich stopfe das Essen nur so in mich hinein. 

Die Tage verbrachte ich damit, mir auf Wattpad irgendwelche Adoptionsgeschichten durchzulesen. In allen war die Protagonistin am Ende wieder mit ihren leiblichen Eltern vereint. Friede, Freude, Eierkuchen. Doch eine Situation, wie ich sie gerade durchmachte, musste keine der Hauptfiguren erleben- etwas, das ich mir immer wieder ins Gedächtnis rief, wenn ich plötzlich so naiv wurde und zu hoffen begann, dass alles doch vielleicht ein gutes Ende nehmen konnte.

Eigentlich hätte ich längst wieder zur Schule gehen müssen, hatte ich doch immer noch einen deutschen Pass. Die Sommerferien waren längst vorbei, Aaliya hatte schon mehrmals angerufen und nachgehakt, wo ich denn steckte. Ich hatte ihr nur erklärt, dass William und Kate hatten irgendwie mit irgendwem irgendetwas ausgehandelt, sodass ich kurzzeitig von der Schulpflicht befreit war- Selbst wenn ich ganz genau wusste, dass Haakon und Mette-Marit dahintersteckten. Doch ich hatte nicht einmal die Kraft, meiner besten Freundin von meiner Situation zu erzählen, fraß den Schmerz lieber in mich hinein. Mir war wohler, wenn nur ich von dieser Enttäuschung wusste, und natürlich gezwungenermaßen auch Ingrid und Sverre, denen ich nach dem Telefonat auf der Stelle hatte erklären müssen, was passiert war. Aber ich hatte ihnen das Versprechen aufgenommen, ihren Eltern nichts zu verraten.

Seufzend streckte ich mich auf dem Bett aus, starrte einfach nur die Decke an. Leise Schritte auf dem Flur ließen mich aufschrecken. Als ich genau hörte, dass die Person vor meiner Tür halt machte, drehte ich mich einfach genervt zur Wand. Warum verstanden sie es nicht? Warum ließen sie mich nicht einfach in Ruhe? Doch als das Klopfen einfach nicht aufhörte, nein, sogar immer hektischer wurde, konnte ich es nicht mehr ignorieren. "Wer stört?" Augenrollend wandte ich das Gesicht wieder der Tür zu. Ich wollte mich doch einfach nur allein in Selbstmitleid suhlen! Was war denn daran so schwer zu verstehen?

"Isabella! Ich... Wir haben ein ziemlich großes Problem!" Aufgebracht stürmte Ingrid in mein Zimmer. "Ein größeres Problem als ich gerade sowieso schon habe? Wohl kaum..." Auch wenn ich zugegebenermaßen selbst schuld daran war, dass sie mich nun nervte: Schließlich hatte ich auf ihr Klopfen reagiert. Wenn ich einfach nur geschwiegen hätte, hätte sie mich sicher in Ruhe gelassen, so wie jedes Mal. 

Meine abweisende Art schien Ingrid jedoch zu meinem Missfallen nicht abzuschrecken. Ganz im Gegenteil, sie redete einfach weiter: "Isabella, ich weiß, dass du seit zwei Wochen komplett durch den Wind bist. Und ich verstehe dich ja auch. Es ist nur..." Sie atmete kurz durch, ehe sie die Hiobsbotschaft ausstieß. "Ich habe nach deinem Telefonat mit William..."

"Sprich seinen Namen nicht aus!" Ein Kissen flog quer durch den Raum, traf die norwegische Prinzessin seitlich am Kopf. Kurz sah sie verwirrt aus, blinzelte mich verwundert an. Dann schien sie zu verstehen und atmete angespannt aus. "Okay, das reicht. Ich verstehe, dass du verletzt reagierst. Und ich verstehe, dass du dich abschottest. Aber du kannst dich nicht den Rest deines Lebens in deinem Zimmer verschanzen und nie mehr reden! Irgendwann wirst du dich ihnen eh stellen müssen. Und wenn du dich jetzt nicht beruhigst, wird das eher früher als später sein!" 

Nach ihrem Monolog schien sie sich ein wenig zu beruhigen und atmete heftig ein und aus. Ihre Worte rüttelten mich auf. Gut, mir war natürlich bewusst, dass ich früher oder später mit William und Kate... Stopp. Es tat schon weh, wenn ich allein an ihre Namen dachte. Ich war eindeutig noch nicht bereit dafür. Und im Moment würde ich alles dafür tun, diesen Tag so lange wie möglich hinauszuzögern. Mit Mühe schaffte ich es irgendwie, meine Gefühle so weit unter Kontrolle zu bringen, dass ich mich überwinde konnte, meiner Freundin zuzuhören. Kurz schloss ich die Augen, um Kraft zu sammeln, dann setzte ich mich auf. "Was ist los?"

"Nun ja..." Ingrid ließ sich neben mich aufs Bett sinken. Ich sah förmlich, wie die Anspannung von ihr abfiel, die an ihr haftete, seit sie mein Zimmer betreten hatte. Zurück blieb die Sorge, die ich deutlich in ihren Augen sehen konnte, als sie mich ansah. "In der ganzen Aufregung habe ich vergessen, Lykka noch anzurufen. Dementsprechend wissen weder sie noch ihre Mutter von einem Referat, von dem meine Mutter ja weiß. Tja, und Lykkas Mutter hat heute angerufen und natürlich vorgeschwärmt, wie entspannt die Ferien doch sind, wenn die Kinder mal nichts zu tun haben. Und Mama hat sich ja eh schon gewundert, warum wir in den Sommerferien ein Referat vorbereiten müssen..."

Es dauerte nicht lange bis ich eins und eins zusammengezählt hatte und zu einem klaren Schluss gekommen war. "Scheiße." Das war das Wort, das unsere jetzige Situation wohl recht gut zusammenfasste. Wie gerne hätte ich den tatsächlichen Grund für meine Situation noch verschwiegen, wollte kein Mitleid. Und vielleicht... Oh nein. Mein Atem stockte. Das hatte ich noch gar nicht bedacht. Ich hatte keine Ahnung, wie Mette-Marit reagieren würde, wenn sie wusste, dass wir sie belogen hatten. Es war gut möglich, dass sie der Meinung war, ich hätte einen schlechten Einfluss auf ihre Tochter. Panisch warf ich einen Blick zu Ingrid, wollte mit ihr einen Plan austüfteln. Doch dazu blieb keine Zeit. Es klopfte an der Tür.

Und mal wieder ein neues Kapitel am heutigen Ostermontag! Na, was denkt ihr, wie Mette reagiert?


Der Tag, an dem ich zu Englands Prinzessin wurde (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt