Auf anderen Wegen

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Mit jedem Tag wurden sie etwas stärker und hatten es etwas einfacher, die Choreo zu meistern. Die Schrittfolge sah nicht mehr so abgehakt und erzwungen aus. Wo Oliver und Ayla vorher noch große Probleme hatten, nah Seite an Seite zu laufen, hatten sie sich daran gewöhnt. Vorher liefen sie sich gegenseitig zwischen die Füße und brachten sich gegenseitig zum Stolpern. Ayla fühlte sich stark, da sie in dieser kurzen Zeit so viel erreicht hatte. Sawath über dem Weg gelaufen zu sein war ihr großes Glück. Ohne ihn wäre nichts möglich gewesen. Hätte sie alleine weiter gemacht, wäre sie wahrscheinlich immer noch dabei, einen Salchow zu üben.

Gerade machte sie eine Pause auf der Treppe und sah Oliver zu. Sie erinnerte sich an seinen Befehl: "Vergiss nicht zu lächeln". Getan hatte sie das noch nicht, aber auch weil sie keine Ermutigung dazu hatte. Es war Olivers Kommando und er selbst hatte es nicht ein mal versucht, wenigstens aufgesetzt zu lächeln. Sicherlich war das Training ernst, aber warum sollte Ayla selbst dann lächeln. Oliver schien trotz den Fortschritten, alleine immer noch besser klar zu kommen. Seitdem sie zusammen trainierten, hatte Ayla nicht mehr versucht alleine zu skaten. Sie wusste gar nicht, was ihr besser lag. Alleine das Eis zu ihrem zu machen oder mit Unterstützung sicher zu sein.

Oliver sah nicht mehr so fertig aus, wie die Wochen zuvor. Zumindest schien er mehr Schlaf zu bekommen. Nur beunruhigte es alle, dass er immer mehr abnahm. Ayla sah auf ihren Bildschirm vom Handy mit Taro Yamamoto als Hintergrundbild. Sein Ziel, bei den Meisterschaften zu gewinnen, war es allen zu zeigen, dass er genauso gut wie er sein konnte. Sawath meinte, wenn Ayla nicht sagen konnte, dass er an ihn ran käme, dann hatte er das Ziel noch nicht erreicht. Nahm er sich das zu Herzen? Taro war stark untergewichtig. Als Ayla genauer hinsah, erkannte sie die Art der Bewegung aus Taro wieder. Sie schreckte etwas auf. Doch sie wusste nicht, wie sie ihn darauf ansprechen sollte.

So kam es dazu, dass sie ihre Pause viel früher beendete und schnell wieder auf das Eis kam. Oliver schien sich darum nicht wirklich zu kümmern. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie sie ihn das erste Mal skaten sah. Obwohl sie nicht viel Zeit für solche Zwischenschiebungen hatten, machte Ayla seine Choreo nach. Dann wurde Oliver aufmerksam: "Das ist nicht Teil unserer Schrittfolge". Trotzdem machte Ayla weiter. Alles, was sie ganz am Anfang bei Oliver gesehen hatte, machte sie nach. Auf einmal lief sie mit Schwung in Oliver rein. Das war aber nicht ihre Schuld, Oliver stellte sich in ihre Bahn. Und er hätte wissen müssen, wo die Schrittfolge hin führte. Er sah aber auch so aus, als war es seine Absicht. An ihren Handgelenken zog er sie an sich ran und sah sie durch dringlich an: "Was wird das?".

Ayla wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie hoffte darauf, dass er es selbst verstand. "Antworte mir!", wurde er lauter. Etwas zusammen zuckend sprach sie nur leise: "Du musst keine perfekte Kopie von Taro sein...". Seine Augen wurden größer und mit seinem Kopf fuhr er etwas zurück. Er bekam es nicht ganz mit, also drückte er aus Versehen Aylas Arme fester und wurde wütender: "Was ist, wenn ich will?". Ayla bekam etwas Angst und wollte von ihm Abstand halten, doch er drückte nur noch fester zu. Langsam fing es an, weh zu tun. "Warum willst du das? Warum willst du nicht einfach du selbst sein?", fragte sie mit leicht zitternder Stimme. Er zog sie ganz nah an sich heran und knurrte: "So lange du mir nicht erklären kannst, warum du dich selbst hässlich findest, brauche ich dir keine Erklärung dazu zu geben!".

Man hörte Gegenstände runter fallen. Sie sahen zur Seite und sahen Sawath, wie ihm eine Kiste mit Sachen aus den Händen rutschte. Mit offenem Mund und geschocktem Blick blieb er stehen. Auf einmal schubste Oliver Ayla von sich weit weg und ging etwas trinken. Ayla war einfach nur verwirrt. Was war es, was ihn so stark angriff? Also lief sie schnell vom Eis, in die entgegen gesetzte Richtung von Oliver und griff sich Sawath zu einem Privatgespräch. Im Hinterraum fragte sie direkt: "Bitte Sawath, sag mir - Was stimmt mit ihm nicht?". Er selbst sah so aus, als bräuchte er eine Erklärung. Sein Lächeln verschwand mal und er war beunruhigt: "Ich werde mit ihm reden". Aufhalten ließ er sich nicht, sondern er lief los und stellte sofort Oliver zur Rede. Natürlich nur auf Thailändisch.

Sehr schnell wurde das zu einer hitzigen Diskussion. Ayla fühlte sich in der Situation so unwohl. Besonders schlimm war es dann, als Oliver Sawath gewaltsam packte und ihn zu bedrohen schien. Aus ihrer Starre lösend versuchte Ayla auf sie zu zulaufen und die beiden zu trennen. Sawath war nicht mehr laut, sondern sah seinen Bruder mit etwas Angst an. Oliver sagte noch etwas letztes zu ihm und rief Ayla laut ins Gesicht: "Ich bin hier fertig!". Sawath wollte ihn aufhalten: "Oliver! Du kannst doch jetzt nicht-!". "Ich habe dir gesagt, mich in Ruhe zu lassen!", schrie er ihn an und ging sich schnell umziehen. Ayla versuchte positiv zu sein: "Er wird doch manchmal so... Morgen wird er sich beruhigt haben... Spätestens nächste Woche, in der Zeit kannst du mich ja-". "Er will das Skaten aufgeben", unterbrach Sawath fassungslos.

Ayla schreckte auf und wechselte schnell ihre Schuhe, um Oliver hinterher zu laufen. Auf der Straße war er schon einige Meter voraus, da schrie Ayla ihn von weiter hinten an: "Hast du sie noch alle?!". "Lass mich!", schnauzte er rum und ging stur weiter. "Das Eislaufen ist deine Leidenschaft und du willst das jetzt einfach so weg werfen?!", folgte sie ihm weiter und holte zu ihm auf. "Was interessiert dich das schon?! Was hat dich jemals interessiert, was ich tue?! Du brauchst mich doch nur, um diese Meisterschaft zu gewinnen!", wurde er lauter. Ayla konterte: "Du hast dich doch auch nie um mich gekümmert! Ich hasse dich und du hasst mich! Wo ist dein Problem?!". Oliver drückte sie gegen eine Hauswand: "Mein Problem ist es, mich mit einer Göre anzufreunden für nichts! Was passiert nach der Meisterschaft?! Schmeißen wir uns dann gegenseitig in den Müll?! Hast du jemals in deine Zukunft gesehen, die weiter voraus liegt als ein paar Monate?!".

"Natürlich habe ich das! Aber ich habe mir nie Gedanken um dich gemacht! Warum auch?! So wie du mich behandelst, wäre ich sehr froh darüber, dich nach der Meisterschaft zurück in den Müll zu treten, wo du herkamst! Nur weil wir sonst keinen hätten, macht das keinen Grund aus, beieinander zu sein! Lieber suche ich weiter nach Leuten, die mich so behandeln, als wollen sie meine Freunde sein, statt noch mehr Zeit mit dir zu verbringen! Du hasst mich und kümmerst dich nie um mich!", gab sie ihm ihre Meinung. Oliver ließ sie los und murrte leise: "Ja, natürlich hasse ich dich...". Er ging wieder los und knurrte fast still: "Und du hasst mich. Also sollst du mich tun lassen, was ich will". Von dort an gingen sie getrennte Wege.

Believe | *ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt