"Auf dem Eis nennen wir alles Liebe"

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Ruckartig kroch sie unter Oliver hervor, welcher sich wegen seiner Schwäche fast schon auf ihr ablehnte. Er ließ sich zitternd auf den Boden fallen. Ayla sah zur Brücke hoch und sprintete nach oben. Keiner hatte zum Glück deren Sachen geklaut. Sie nahm alles mit und lief damit nach unten. Ihre Jacke legte sie über ihn, da er deutlich frierte. Dazu rief sie Sawath an. Nach ein paar Minuten hörte man sein Auto in der Nähe parken und wie er runter lief. Er schlitterte im Kies runter, sodass ein paar Steinchen weiter rollten. Mittlerweile atmete Oliver nicht mehr so heftig, aber er zitterte immer noch. Seine Lippe war leicht blau. Sawath war überfordert mit allem: "Was hast du gemacht?! Und was hast du gemacht?!". Ayla hob unschuldig ihre Hände: "Ich wollte nur mit ihm reden. Er hat sich erschrocken, ist über das Geländer fallen und hat sich freiwillig in den knappen Tod gestürzt. Ich wollte ihn retten".

"Ich wusste, dass ich überleben würde", knurrte Oliver schwach. "Hör doch endlich auf damit! Wie kann man nur so ein Sturkopf sein?! Du hast mir schon gezeigt, dass du schwach sein kannst und Gefühle hast! Warum willst du immer noch so tun, als seist du stark?!", regte Ayla sich auf. Zwar mit nur wenig Kraft, aber Willen, zog er Ayla am Kragen zu sich und murrte drohend: "Weil ich stark bin!". Sawath trennte die beiden und legte ihn still: "Du bist der, der im Kies liegt. Hast du dich überhaupt schon bei ihr bedankt?!". "Du nervst mich mit deiner ständigen Höflichkeit gegenüber Weibern!", knurrte Oliver und krampfte leicht mit seiner Hand. "Hätte ich dich nicht ständig getreten, dann hättest du sie wahrscheinlich immer noch nicht geküsst! Schweige denn ihr deine Liebe gestanden!", verteidigte er sich. Oliver knurrte ein letztes Mal, bevor er sich auf seine Knie aufrichtete. Aylas Jacke rutschte seinen Rücken runter. Gerade wollte sie die Jacke wieder überlegen, da hielt Sawath ihren Arm fest: "Möchtest du ihn umbringen? Bevor er krank wird, muss er aus der nassen Kleidung raus!".

Ayla wurde rot: "Hier draußen ist es doch zu kalt dafür". "Dafür hat das Auto eine Heizung", lies Sawath sich nicht abbringen und half seinem Bruder hoch. Er schlug ihn aber nur ab und ging von alleine. Schwierigkeiten hatte er dann, als er den steilen Abhang hoch wollte. Doch auch das wollte er nur alleine meistern. Oben am Auto setzte Sawath dann seinen Bruder rein und zog ihm direkt das T-Shirt aus. Ayla sah sofort weg und drehte die Heizung auf. Sie spürte, wie ihr Nacken aus Nervosität heiß lief. Sawath lachte sie leicht aus: "Wenn du gerade Probleme damit hast, dann hast du sein Outfit für euren Auftritt noch nicht gesehen. Der Ausschnitt sitzt tiefer als der Marianengraben". Aylas Augen wurden sehr groß. "Du hast es ausgesucht", murrte Oliver leise. Sie hätten ihm die Outfitwahl nicht überlassen dürfen.

Aus dem Kofferraum holte Sawath eine Decke und deckte Oliver zu, nachdem er bis auf Unterwäsche ausgezogen war. Erst dann konnte Ayla wieder unbeklemmt sich umsehen. Sawath legte ihr lächelnd den Anschnallgurt an: "Du hast da etwas vergessen". Ayla bedankte sich leise und Sawath fuhr los. An einer Ampel, die sehr lange rot blieb, fragte Sawath dann: "Warum hast du nicht Aylas Hand genommen?". "Das fragst du noch?", nuschelte Oliver angesäuert. Ayla verstand ihn schon vorher nicht, aber das ging so weit, dass sie es mal hinterfragte: "Was hast du eigentlich? Du solltest stolz auf dich selbst sein, da du dich etwas Großes getraut hast. Ich nehme mal an, dass das nicht nur für mich überfordernd und neu ist. Ich bin ehrlich, das war süß von dir. Aber wieso bist du jetzt sauer? Habe ich dich zurück gewiesen? Du hast mir nicht mal die Chance gegeben, dir zu antworten! Bist du beleidigt, weil du dich eben nicht selbst retten konntest? Weil du nicht Superman sein und großtun konntest? Weil du dich von einem schwachen Mädchen hast retten müssen?".

Sawath lachte gemein: "Du hast ihn besser in ein paar Monaten kennengelernt, als ich in mehreren Jahren. Den wunden Punkt hast du erwischt". Tatsächlich wurde Oliver rot und sah zur Seite weg. Ayla hatte doch durch den Jungen durchgeblickt. Sawath ergänzte: "Jetzt kommen meine Kenntnisse - Noch peinlicher ist es für dich, mein lieber Oliver, dass du Ayla nicht annähernd so gut kennst". Oliver knurrte still in sich hinein. Triumphierend drehte Sawath die Musik im Radio lauter und summte mit. Er brachte Ayla nach Hause, wo sie sich dann erstmal sortieren musste. Sie wurde sehr zielstrebig. Wenn Oliver sich anstellte, dann war das sein Problem. Sie selbst konzentrierte sich nun vollstens darauf, dass sie die Juniorenmeisterschaften gewinnen konnten.

~~~

Der letzte Tag vor dem Wettbewerb. Wenigstens erschien Oliver immer zum Training und machte aktiv mit. Nur redeten sie nicht miteinander. In den letzten Tagen trainierten sie ohne Pause, Sawath ließ sie keine machen. Dann an dem Tag: "So, halbe Stunde Pause". Beide lösten sich außer Atem aus der Endpose und ließen sich auf das Eis fallen. Olivers Lungen hörten sich wieder so an, als sei er Jahre lang ein Kettenraucher gewesen. Gesundheitlich stimmte etwas nicht mit ihm. Wieder nicht. Aber Ayla hatte Sawath öfters gefragt, Oliver aß richtig und trank genug. Er kontrollierte ihn genaustens für die Wettbewerbe.

Ayla musste erstmal trinken. Schwächelnd stand sie auf und lief vor. Hinter sich hörte sie, wie Oliver ebenfalls aufstehen wollte. Doch auf einmal hörte man ihn ausrutschen und wie er vor Schmerzen knurrte und scharf Luft einzog - mehrmals. Er biss sich krampfhaft die Zähne zusammen, um ersichtlicher weise nicht schreien zu müssen. Zusätzlich griff er gewaltsam an seinen Brustkorb und konnte nicht mehr aufstehen. Sofort rief Ayla nach Sawath, welcher schnell ankam. Selbst mit Hilfe, Oliver schaffte es nicht. So sehr er es versuchte. Folgend schleppten Ayla und Sawath ihn vom Eis und untersuchten ihn erstmal. Eher gesagt Sawath. Er sah erstmal nach, ob er vielleicht etwas an den Beinen oder Füßen hatte. Oliver war zu sehr damit beschäftigt, seinen Körper etwas zu krampfen.

Ayla war bekannt, dass Sportler oftmals wegen Magnesiummangel Krämpfe bekamen. Also holte sie aus dem Versorgungsrucksack von Sawath ein kleines Tütchen mit Magnesiumpulver. Doch als sie zurückkam, war Oliver wieder auf dem Weg der Beruhigung. Zwar sah er total geschafft und kaputt aus, aber er hielt still und atmete ruhiger. Sawath sprach mit ihm auf Thailändisch. Ayla wollte nicht stören oder nerven, also ließ sie die beiden machen. Gerade wollte sie wieder auf das Eis laufen, da hielt Sawath sie auf: "Warte Ayla! Bitte mach eine Pause! Wenn Oliver schon Probleme bekommt, solltest du erst Recht nicht weiterüben. Vielleicht solltet ihr es für heute sogar komplett belassen...". Über Oliver schien er so besorgt, dass er Ayla erst Recht nicht aufs Eis lassen wollte.

Tatsächlich beendete Sawath das Training und ließ Ayla so da stehen. Hieß: Sie musste laufen. Das sollte wirklich kein Problem sein. Sie war von den letzten Tagen ein viel härteres und längeres Training gewohnt. Mit ein bisschen Gehen kam sie klar. Zu Hause legte sie sich dann auf ihr Bett und fragte sich wirklich, was nun wieder los war. Sie war nicht zufrieden mit ihrer Arbeit. Um sich selbst kritisieren zu können, sah sie sich nochmal das Bewerbungsvideo von Oliver und ihr an. Sawath fügte noch hinzu, worum es eigentlich ging: "Auf dem Eis nennen wir alles Liebe". Dieser Satz stach heraus. Und auch im Herzen. Tatsächlich hatte sie mit Oliver kein einziges Wort gewechselt seit dem Vorfall. Sollte sie wirklich das Risiko eingehen? Sie hatte sich überlegt: "Mal schauen, wie es läuft. Am Ende kann ich immer noch nein sagen. Ansonsten wird da halt mehr draus". Aber wenn er sich so verhielt?

Believe | *ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt