1. Kapitel

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»I will leave the light on«, schallte die Stimme von Tom Walker in meinen Kopfhörern, welche auf die höchste Stufe eingestellt waren. Ich wollte alles um mich herum ausblenden, alles vergessen, was real war. Nur diese einzige Schwärze willkommen heißen, die mich seit drei Jahren umfing, mich fest umklammerte.
Was also brachte es mir, dass Tom Walker sein Licht für mich anließ, wenn ich es nicht einmal sah? Genau, nichts. Absolut nichts.
Ich wurde aus den Gedanken gerissen, als irgendjemand mir auf die Schultern tippte. Erschrocken zuckte ich zusammen, und hob die großen Kopfhörer von meinem Kopf, hielt sie jedoch weiterhin in der Hand, um sie nicht zu verlieren.
Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der ich die Person vermutete.
,,Äh...kannst du mir sagen, wo der Physikraum ist?", fragte mich eine unsichere Mädchen Stimme, woraufhin ich seufzte und mir die Kopfhörer wieder aufsetzte.
,,Such dir jemand anderes, der dir da weiter hilft. Ich bin doch nicht Google Maps", gab ich ein wenig zu schroff von mir und fuhr mir durch die Haare. Ja, es war nicht nett von mir gewesen. Aber ich war halt so. Wie ironisch, das ich dann Pax hieß. Pax. Frieden. Wer auch immer meinen Eltern vorgeschlagen hatte, mich so zu nennen, gehört in die Hölle. Okay, tut mir leid, das war wirklich ein wenig zu gemein.
Ich hörte nicht mehr, wie sich das mir unbekannte Mädchen sich entfernte, um jemand anderes zu fragen. Oder um den Weg selbst zu suchen. Meine Fresse, mir doch egal. War doch eh alles egal...

Selbst durch meine Kopfhörer, aus denen die ganze Zeit ziemlich laute Musik drang, hörte ich, wie die Schulklingel läutete. Cool, nur noch einen halben Tag zu überleben. Ich schaltete mein Handy aus, ebenso wie meine Bluetooth Kopfhörer, und steckte sie in meine Schultasche, dessen Farbe ich nicht mal mehr wusste. Aber dies war doch egal. Es war doch alles egal.

Ich wartete, bis ich keine Stimmen mehr hörte, dann stand ich vorsichtig auf, und tastete mich den langen Flur, der eben noch voller Stimmen gewesen war, doch nun war es still. Niemand war mehr hier, alle saßen schon im Unterricht, der schon längst begonnen hatte.
Ich seufzte leise, bog in einen kleineren Gang ab, und strich über das Schild, welches wegen mir auf Blindenschrift trug. Toll. Aber hey, ich war zumindest richtig. Nämlich Physik mit der überaus freundlichen Lehrerin Ms. Lewis. Die ich absolut nicht leiden konnte. Und die übrigens aus England kam, deshalb der englische Name.
Durch die Tür hörte ich Nico jodeln. Okay, Ms. Lewis war noch nicht da. Ich öffnete mit einem Ruck die Klassentür, hörte, wie alle verstummten. Ja, das machte ich gerne, weshalb sich ein Grinsen auf meine Lippen schlich.
Langsam tastete ich mich voran und setzte mich auf meinen Platz, auf dem ich schon Ewigkeiten saß. Neben mir saß nie jemand, was ich auch ziemlich gut fand. So konnte ich mich ungestört ausbreiten.
Zwar hatte ich einen Blindenstick, doch ich weigerte mich diesen zu benutzen. Warum? Ich mochte diesen einfach überhaupt nicht. Ich hasse dieses Teil, da ich mir dann so schwach vorkam.

Der Lautstärkepegel war wieder angestiegen, jedoch stoppte dieser auf einmal abrupt, scheinbar war nun doch die Lehrerin gekommen. Und wirklich, schon hörte ich die Stimme von Ms. Lewis, welche eher trällerte als das sie normal redete. Ich seufzte leise auf, und hörte ihr zu.
,,Guten Mittag, meine lieben Kinder, wie ihr vielleicht schon sieht, habe ich heute noch jemanden dabei. Sie ist neu hier im Internat, ich möchte, dass ihr sie gut behandelt, sodass sie sich einleben kann"
Innerlich verdrehte ich entnervt die Augen. Wie denn? Wie sollte ich sie sehen? Genau, gar nicht.
,,Also, Ylva, stell dich bitte kurz vor", trällerte die Lehrerin weiter, und knallte dabei ihre große Physikmappe auf den Tisch. Es hörte sich jedenfalls ziemlich groß und schwer an.
Ein leises Räuspern riss mich aus den Gedanken, welche gerade bei dieser Mappe, oder was auch immer es war, waren. Dann sprach eine leise, unsichere Stimme. Selbst ich hatte Probleme sie zu verstehen, so leise sprach sie. Und das, obwohl ich relativ gut hörte.
,,Ich... ich bin Ylva, ich komme aus München und...ja...ich tanze gerne. Außerdem male ich auch gerne und schreibe Geschichten. Und ich hasse kochen und backen, liebe aber Fußball. Nur... nur kein Basketball", stotterte das Mädchen, welches scheinbar auf den Namen Ylva hörte. Komischer Name. Klang definitiv nicht Deutsch. Okay, meiner war ja auch nicht gerade Deutsch.
,,So, da du dich ja nun vorgestellt hast, können wir ja mit dem Unterricht beginnen. Setz dich bitte zu...Pax, das ist der Junge, der die ganze Zeit mit seinen Fingern spielt. Sonst ist ja nichts frei"
Spielte ich mit meinen Fingern? Hatte ich ja gar nicht mitbekommen...
Aber egal.
Ylva antwortete nicht mehr, sondern kam mit zögerlichen Schritten auf mich zu, und setzte sich neben mich. Viele tuschelten, wahrscheinlich über sie, aber das war normal. Ich fragte mich nur, warum sie erst jetzt kam? Es war doch schon ein Monat her, das die Schule begonnen hatte. Aber hey: Warum denke ich darüber nach? Das ist doch nur Zeitverschwendung. Es geht mich sowieso nichts an.

In Physik taten wir nicht mehr viel, sahen uns nur einen Film an. Genau genommen sahen die anderen sich den Film an, ich hörte ihn mir an.

Als die Stunde endlich vorbei war, und die kurze Fünf-Minuten Pause angesagt war, bat die Lehrerin uns in dem Raum zu bleiben, und nicht hinunter in die Klasse zu gehen, da Ms. Lewis den kranken Mathelehrer vertrat, und lieber hier unterrichtete. Man, hatte die Sonderwünsche.
Ich blieb also sitzen, erhob mich nicht wie viele die anderen. Warum sollte ich überhaupt?
Auch meine Sitznachbarin schien dies nicht für nötig zu sehen, und blieb sitzen. Ich schloss meine Augen, damit ich einen Grund hatte, warum ich sie nicht sah. Wie es hier wohl aussah? Wie waren die Wände gestrichen? Welche Farben hat die Kleidung, die meine Mitschüler anhatten? Ich selbst trug nur schwarze Sachen, welche ich mit meiner Mutter ausgesucht hatte. So konnte niemand sich beschweren, das ich ein bunter Vogel wäre. Ich sah wortwörtlich alles schwarz, warum sollte ich dann nicht schwarz gekleidete sein? Schwarz war doch nur eine Farbe.
Dann jedoch unterbrach eine Berührung an meinem Arm meine Gedanken. Schon wieder. Ich seufzte leise, hielt meine Augen jedoch immer noch geschlossen.
,,Du...du heißt wirklich Pax? Oder ist das ein Spitzname?", fragte mich eine Mädchenstimme, die von vorhin. Also Ylva. Sie hatte mich also auch am Flur wegen dem Physiksaal angesprochen...
Naja, egal.
,,Nein, es ist mein echter Name", antwortete ich knapp und mit kalter Stimme, worauf sie etwas zusammenzuckte.
Sie seufzte leise, augenscheinlich schien sie sich das Gespräch anders vorgestellt zu haben. Ich auch. Nämlich gar nicht.
,,Oh...Pax heißt doch Frieden, stimmt's? Der Name passt überhaupt nicht zu dir"
Ich seufzte nun genervt auf, drehte mich weg. Cool, die einzige Person, die mich wahrnahm war eine Streberin.,,Ja, Pax heißt Frieden, und ja, er passt nicht zu mir. Zufrieden?"
Ylva schien zu nicken, sie sagte nichts mehr dazu.
So schwieg auch ich, hörte nur den anderen zu. Das konnte was werden, wenn das so weiterging...
Und trotzdem...Ylva redete zumindest mit mir. Sonst zogen es die anderen es vor mich anzuschweigen. Okay, ich hatte nie wirklich einen Versuch unternommen, irgendein tiefgründiges Gespräch zu betreiben.
Warum? Das ist egal.
Eigentlich ist ja alles egal.
Das neue Mädchen; Egal.
Die anderen; Egal.
Der Unterricht; Egal.
Mein Leben; Egal.
Was also sollte wichtig sein?
Genau.
Nichts.

Pax - Schwarz ist keine Farbe [✓]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt