23. Kapitel

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P.o.v. Pax
Ich musste lang noch an Archie denken, auch, als er schon längst gegangen war.
Archie war irgendwie... besonders.
Ganz anders als Ylva und doch auch besonders...
Leise seufzte ich, stand langsam auf.
Nachdenklich ging ich aus meinem Zimmer.
Gerade war ich in den Flur getreten, als plötzlich jemand mit voller Wucht gegen mich lief.
Erschrocken zuckte ich zusammen, hielt mich noch im letzten Moment an der Wand fest.
Ein lautes Schimpfen ertönte. Von einer sehr bekannten Stimme.
Nein...
Das konnte doch nicht sein.
Bitte, bitte nicht.
Bitte, bitte...
Alle, nur nicht Layla.
Nur nicht Layla...
,,Überall stehen diese scheiß Jungs rum anstatt irgendwas zu tun.
Und dafür bezahlt mein Vater auch noch?
Pff, das ist ja ungeheuerlich!"
Scheinbar hatte sie mich noch nicht erkannt.
Vielleicht...konnte ich ja einfach verschwinden.
Nein, nein.
Ich musste hier bleiben.
Für Ylva.
Vielleicht würde sie mich dann nicht mehr so hassen, wie sie es jetzt wahrscheinlich tat...
,,Ach, Layla. Ich dachte schon, ein Mensch wäre gegen mich gerannt, aber so wie's aussieht war das dann doch nicht der Fall.
Und, wie gefällt's dir so auf der 'Dorfschule'?"
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Zu sehr konnte ich mich an das erinnern, was sie zu mir gesagt hatte.

Layla schwieg, wahrscheinlich konnte sie nicht glauben, was sie sah.
Höchstwahrscheinlich.
,,Was tust du denn hier?! Bäh!"
Das Mädchen tat also so, als wäre sie angeekelt.
Vielleicht war sie es auch.
,,Hmmm...lass mich mal überlegen. Was mache ich in einem Internat? Hmmm...fliegen lernen wahrscheinlich"
Layla schnaubte wieder.
Irgendwie hatte ich dieses Schnauben...vermisst.
Ich hatte unsere kleinen Kämpfe vermisst, auch wenn sie mir früher immer auf die Nerven gegangen sind, sie als störend empfunden hatte.
,,Glaub ich dir. Auf die Nase fliegen. Selbst das musst du ja lernen. Pff, Idiot"
,,Dann musst du aber noch etwas viel Wichtigeres lernen: Menschlichkeit", erwiderte ich nur gelassen, grinste sie kurz an.
Nicht desto trotz mochte ich sie immer noch nicht.
Und dies würde sie nie sein.
,, Menschlichkeit soll ich also lernen? Du musst eher mal lernen, wie ein Mensch auszusehen", fauchte sie empört.
Doch irgendetwas... hatte sich verändert.
Irgendetwas war anders...
Ich brauchte einen Moment, un es herauszufinden.
Ihre Stimme.
Sie klang so...anders.
Als hätte ich sie in eine Ecke getrieben.
Als hätte ich sie verletzt.
Als...als würde sie sich gedemütigt fühlen.
Als würde sie jemand als weniger wert bezeichnen, und sie wolle unbedingt das Gegenteil beweisen, um eine Maske zu erhalten, um ihr wahres Gesicht nicht zum Vorschein zu bringen.
,,Und wie sieht ein Mensch deiner Meinung nach aus?", fragte ich sie ruhig.
So ruhig, als wäre ich ihr um Welten überlegen.
Aber es stimmte nicht.
Ich war nicht um Welten überlegen.
Ich wusste nur, was ich sagen sollte und wie es auf sie wirken sollte.

Sie lachte gekünstelt auf.
,,So wie ich zum Beispiel"
,, Tja, Pech für dich, dass ich dich nicht sehen kann. Das tut mir ja so leid"
Ein Grinsen legte sich auf meine Lippen, dann tastete ich mich schnell wieder in mein Zimmer, knallte die Tür hinter mir zu.
Obwohl ich nicht besonders Wert darauf legte Layla zu sehen, ihr Gesicht hätte ich schon gerne erblickt.
Es war sicher vor Verwirrung zusammengezogen.
Amüsante Vorstellung...

Ich setzte mich auf mein Bett, schloss meine Augen.
Mir kam ein Lied in den Sinn, leise summte ich die Melodie.
Den Text dachte ich mir.
»I listen better when I close my eyes, it's so much deeper that I can't describe...«
Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen.
Ein wirklich schönes Lied...
Leise seufzte ich.
Gerade fühlte ich mich irgendwie... entspannt.
Obwohl ich wohl sonst alles andere als ruhig und gelassen gewesen wäre...
Genau in diesem Moment wurde die Tür ruckartig aufgerissen, kurz darauf wieder zugeschlagen.
Erschrocken zuckte ich zusammen.
Wer war das?
Jemand keuchte, war scheinbar völlig außer Atem.
Jemand...?
Wer war das?
War das...Ylva?
Verdammt, was sollte ich sagen?
,,Ylva...ich...ich.."
Schnell holte ich einen Zettel aus meiner Hosentasche.
Er war vollgeschrieben, ich hoffte, sie konnte ihn lesen.
Ich hatte mich bemüht schön zu schreiben, auch wenn es wohl ziemlich schief geschrieben war....
Egal.
Ich hielt ihr den Zettel hin.
Ich spürte, wie sie diesen ganz zögerlich nahm.
Ich hörte, wie sie das gefaltete, etwas zerknitterte Papier öffnete.
Ob Ylva es wohl las?
Ich schloss meine Augen, ging in Gedanken den Text durch, den ich in und auswendig kannte.
»Ylva, du bist so perfekt. Du bist so intelligent, talentiert, einfühlsam und kannst einen immer zum Lächeln bringen.
Ylva, du bist so wunderschön, auch wenn ich dich nicht sehen kann.
Du bist schöner, als vieles andere.
Ylva, du bist so bunt.
Du bist so farbenfroh, bringst Licht und Farbe in meine Dunkelheit.
Ylva, du bist eine Wölfen...
Warum bist du so?
Warum bist du so perfekt, wunderschön und farbenfroh?
Wie machst du das?
Ylva... die Worte in meinem Zimmer entsprechen nicht der Wahrheit.
Ich will nicht, das du aus meinem Leben verschwindest, denn wenn ich überleben will, brauche ich dich.
Dich, und nichts oder niemand anderes.
Nur dich...
Denn schwarz ist keine Farbe.
Schwarz ist bunt.
Und ohne bunt ist schwarz nicht schwarz.
Dann ist schwarz nämlich absolut nichts...«

Sie schwieg eine Weile, dann seufzte das Mädchen leise.
Im nächsten Moment spürte ich, wie ich umarmt wurde.
,,Ist schon gut, Pax. Ich weiß doch, dass du es nicht so gemeint hast"
Lächelnd strich Ylva mir über den Nacken.
,,Ich bin eigentlich nicht deshalb gekommen, Pax.
Ich habe etwas gefunden... hier"
Sie drückte mir etwas in die Hand. Es war warm, fühlte sich ganz glatt an.
Nein, da waren Verzierungen...
Das war eine Kette.
Eine Kette, die mir sehr bekannt war.
Vorsichtig strich ich die wohlbekannten Buchstaben nach.
L.S.
Lucy.
Lucy Susan.
Susan.
Ihr Zweitname.
,,Wo hast du das gefunden?", hauchte ich leise, ich musste mich zusammenreißen, um diese Kette einfach an mich zu pressen.
,,Ich hab sie mit meiner Kette verwechselt. Hier, greif mal"
Sie drückte mir in die andere Hand ein anderes Schmuckstück, wieder eine Kette.
Sie fühlte sich ähnlich an wie Lucys Kette.
Doch...
Es waren die Buchstaben Y.S. zu erfühlen, eindeutig.
Was...hatte das zu bedeuten?
Zufall?
Ylva umarmte mich fest.
,,Pax...weißt du, was das heißt?", fragte sie mich währenddessen leise, ,,Ich habe eine Schwester oder einen Bruder, welcher zur Adoption freigegeben wurde. Alles was ich von ihr oder ihm weiß ist, dass sie oder er eine Kette besitzt. Eine Kette, so ähnlich wie meine. Mit einer Sonne und den Buchstaben L.S. . Stell dir vor, Pax...du bist mein Bruder! Mein Bruder..."
Ich presste leicht die Lippen zusammen, eine Träne lief mir über die Wange.
,,Pax...? Ist...ist alles okay?", flüsterte Ylva leise, löste sich leicht von mir.
,,Ylva...diese Kette gehört nicht mir..."
,,Hä?", murmelte sie, ,,Wie meinst du das?"
Leise räusperte ich mich.
,,Diese Kette gehörte meiner großen Schwester.
Meiner Schwester namens Lucy..."

Pax - Schwarz ist keine Farbe [✓]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt