8. Kapitel

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Platsch.
Stille.
Zirp, zirp, zirp.
Platsch.
Stille.
Platsch, platsch.
Was war das?
Es klang nach...nach Regen.
Sofort musste ich an Ylvas Worte denken. Regen hat keine Farbe...
Ich hatte zumindest schwarz, aber der Regen hat nichts...
Apropos Ylva, wo war die eigentlich?
Langsam richtete ich mich ein wenig auf.
Andere Frage, wo war ich?
Mit meiner rechten Hand tastete ich etwas um mich herum.
Rau, aber doch glatt.
Weich, aber doch hart.
Es war Holz, lackiertes Holz. Genauer gesagt saß ich auf einer Bank, war wohl eingeschlafen...
Stimmt, die weiß lackierte Bank.
Ylva und ich haben hier gesessen und sie hat mir von Farben erzählt. Sofort musste ich ein wenig lächeln.
Irgendwas hatte sich hier verändert...
Stimmt, die Sonne schien nicht mehr, es war kälter geworden. Und es regnet. Zumindest vermutete ich dies.
Doch irgendwas Warmes war da an meiner Schulter...
Vorsichtig tastete ich mit meiner Hand danach. Es war ein Mensch, irgendjemand hatte seinen oder ihren Kopf gegen mich gelehnt...
Dann erkannte ich sie. Dieser Geruch...er kam mir so bekannt vor. So vertraut. So tröstend...
Es war Ylva.
Aufmerksam hörte ich in die Stille, hörte jedem Geräusch zu. Mittlerweile schien es schon Abend zu sein.
Neben dem noch ziemlich leisen Regentropfen, welche auf das Dach des Pavillons prasselten, hörte ich ruhige Atemgeräusche.
Ylva.
Sie schlief also.
Lächelnd legte ich ganz vorsichtig meinen Arm um sie und zog sie sanft an mich. Ich wollte sie nicht wecken, ihr diese Ruhe einfach lassen
Warum war sie mir so vertraut?
Was machte sie nur mit mir?
Es war, als würde sie Farben in meine Schwärze bringen.
Es war, als würde sie mir eine Taschenlampe in die Hand drücken, um mir aus der Dunkelheit zu helfen.
Es war, als würde sie mir eine Strickleiter zuwerfen, damit ich aus diesem tiefem, schwarzem Loch hinaus klettern konnte.
Es war, als würden wir uns ewig kennen.
Ewig...
Nicht einmal 24 Stunden kannten wir uns.
Doch irgendwas an ihr erinnerte mich an jemanden. Nur an wen...?
Dieser vertraute Geruch.
Ihre rhythmische Schritte.
Ich wusste es nicht.

Ich wurde wieder in die Realität katapultiert, als ich hörte, wie Ylva leise seufzte, dann gähnte, und ihren Kopf hob.
,, Oh, Pax. Sorry, ich bin eingeschlafen. Es war so schön warm...doch jetzt, jetzt ist es irgendwie kalt. Und...huch, es regnet ja"
Ich musste etwas grinsen. Ach, Ylva.
,,Ich bin auch eingeschlafen, von daher. Zwar bin ich schon länger wach, aber das macht nichts"
Das Mädchen lachte leise, dann seufzte sie wieder leise.
,,Komm, gehen wir rein, es ist schon ziemlich dunkel, wegen den Wolken, und der Regen wird auch immer mehr. Und da ich keine Schuhe anhabe, kann ich auf ganz aufgeweichten Boden ziemlich gut verzichten", meinte sie, stand hoch und zog mich ebenfalls hoch.

Sie brachte mich wieder auf mein Zimmer, wünschte mir eine gute Nacht, sie würde nämlich lesen, und so wie das Mädchen meinte, würde sie nicht so schnell wieder damit aufhören.
Wie gerne würde ich auch lesen, mit meinen Augen.
Besonders das Buch über die Griechische Mythologie würde ich so gerne wieder lesen.
Doch ich konnte nicht...
Es war auch nicht in Blindenschrift geschrieben.
Außerdem war nicht nur der Inhalt für mich wichtig...
Langsam tastete ich mich zu dem Regal, fuhr mit meiner Hand über die Buchrücken.
Als ich einen Samt überzogenen Umschlag zwischen meinen Fingern spürte, hielt ich inne. Das Buch, welches früher mein absolutes Lieblingsbuch war, hatte einen Samtumschlag, welcher dunkel-, ja beinahe weinrot war. Daran konnte ich mich noch erinnern, diese Farbe würde ich wohl nie vergessen...
Langsam holte ich das ziemlich dicke Buch aus seinem Platz im Regal, es war genauso schwer, wie ich es in Erinnerung hatte.
Ich setze mich auf mein Bett, legte das geschlossene Buch vor mich.
Vorsichtig strich ich über diesen Samt. Er fühlte sich so gut an...
Als ich über die eingedruckten Buchstaben strich, lächelte ich. Sie waren golden. Golden...
Eine der Lieblingsfarben von Lucy.
Lucy...
Vorsichtig, als wäre das Buch aus Glas, hob ich es hoch, roch an dem Werk.
Erstmal musste ich husten, es war extrem staubig. Kein Wunder, ich hatte es ganze drei Jahren nicht angefasst. Nein, eigentlich nicht ganz drei Jahre. Aber fast.
Schon längst war dieser vertraute Geruch verschwunden, der auf diesem Buch einst mal lag.
Und trotzdem wäre es mir nie in den Sinn gekommen, dieses Werk je einmal wegzugeben. Nie.
Langsam schloss ich meine Arme um das Buch, zog es eng an mich. So, als wollte ich es nie wieder loslassen.
Lucy hatte es mir damals geschenkt, an meinem zehnten Geburtstag.
Ich erinnerte mich an ihre Worte, an ihr Lachen.
»Damit du endlich Ruhe gibst...«
Ich hatte nämlich vorher schon die ganze Zeit von Zeus und Co geredet. Oh man...
Ich war früher wohl ziemlich nervig.
Okay, jetzt war ich es immer noch.

Genüsslich biss ich in einen Schokoriegel. Genauer gesagt war es ein Mars- Schokoladenriegel, so eine Süßigkeit gefüllt mit einer Creme. Mars war, glaub ich, der Kriegsgott der Römer. Komischer Name. Aber ja. Zurück zu der Süßigkeit.
Früher war ich süchtig nach diesem Zeug.
Heute war ich von Mars abhängig.
Ohne Mars ging gar nichts.
Ich ernährte mich sozusagen von dieser Süßigkeit.
Und eigentlich nur, weil ich nicht hinter in den Speisesaal wollte.
Zumindest war Sam so freundlich, mir welche mitzubringen, wenn er in die Stadt ging. Was er eigentlich jeden Tag machte. Ja, und er ging IMMER in die Süßigkeiten Abteilung des kleinen Supermarktes in dem kleinem Dorf, welches einige Minuten von hier weg waren. Zumindest hat mir das die Klassenlehrerin, Frau Winter erzählt.
Aber hey: Er brachte mir zumindest was mit.
Ich persönlich war nur einmal in meinem Leben im Dorf, nämlich im Café mit meiner Klasse. Und nein, kein Starbucks. Den gab es hier, glaub ich, gar nicht. Und ich hatte mir geschwört nie wieder dorthin zu gehen. Es war ätzend gewesen...

Leise seufzte ich, ließ mich nach hinten fallen, sodass ich nun im Bett lag. All die Gedanken, all meine Gefühle wurden leiser, ebenso wie der Regen, der nun laut gegen das Dach des Gebäudes prasselte. Doch bevor ich einschlafen kam mir noch eines in den Sinn:
An wen erinnerte mich Ylva?
Warum kam Ylva mir so bekannt vor?
Ihr Geruch...ihr Geruch glich Lucys.
Lucy...
Doch bevor ich weiter nachdenken konnte, schlief ich ein.
Tief und fest.
Ruhig und entspannt.
So, wie lange nicht mehr...

Pax - Schwarz ist keine Farbe [✓]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt