10. Kapitel

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,,Pax?"
Verdammt, nein, ich war nicht Pax.
Ich war Ares.
Oder Mars.
Oder keine Ahnung wer.
Ich war alles, nur nicht Friede.
Alles, nur nicht Pax.
Ich drehte meinen Kopf weg, bis ich die raue, noch immer kühle Wand an meiner Wange spürte.
Kurz darauf spürte ich, wie ihr Atem über meine Haut, meinen Hals, glitt.
,, Verschwinde...", hauchte ich leise.
Ich spürte, wie sie irritiert inne hielt, kurz ihr Atem aussetzte.
,,Aber...aber Pax..."
,,Hast du nicht gehört? Du sollst verschwinden. Du sollst abhauen. Geh von mir weg. Ich bin ein Monster"
Das Mädchen legte ihre Hand auf meine Schulter, sie war wohlig warm, beruhigend.
,,Nein, Pax. Du bist kein Monster. Du bist ein Mensch. Ein ganz normaler Mensch. Pax... vertrau mir", flüsterte sie leise, ihre Stimme klang rau.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten.
,,Ylva, lass mich einfach in Ruhe"
Doch es nützte nichts, gar nichts...
Sie blieb.
Und ich würde sie wohl nie von hier wegbekommen.
Warum war sie so gut zu mir?
Ich hatte das nicht verdient...
Wie konnte ich ihr das klar machen?
Vermutlich gar nicht, Ylva würde nicht von meiner Seite weichen.
Es sei denn...
,,Weißt du was? Du bist echt scheiße. Ylva heißt Wölfin? Pah, ja. Wölfin. Du bist aber keine Wölfin, du bist nicht stark. Du bist schwach. Du bist dumm. Du bist naiv. Du bist nicht klug, nicht schnell, nicht ausdauernd. Du bist einfach nichts. Gar nichts. Dich will niemand, dich liebt niemand. Du solltest Zero heißen. Zero heißt null. Ja, das bist du. Du bist eine Null"
Als ich dies sagte, war meine Stimme etwas lauter, aber hatte genauso kalt geklungen wie früher.
Ich spürte, wie sie ihre Hand von meiner Schulter löste.
Ich hörte, wie sie aufsprang, aus meinen Zimmer lief.
Ich vernahm, wie sie die Tür zuknallte.
All dies in Zeitlupe.
All dies so, als hätte meine Welt gerade einen Schlag abbekommen, und würde sich nun langsamer drehen.
Ich hatte gerade die einzige Person verloren, die für mich wirklich da war.
Ich hatte gerade die einzige Person verletzt, die mir viel mehr bedeutet hat, als ich jemals wollte.
Und warum?
Warum hatte ich dies gesagt?
Es waren alles Lügen.
Alles.
Mein ganzes Leben war eine Lüge, nichts als eine Lüge.
Ich hatte sie angelogen.
Ich hatte gerade nur Lügen von mir gegeben:
Sie war klug.
Sie war schön.
Sie war nicht naiv.
Sie war ausdauernd, schnell und stark.
Ylva war eine Wölfin, keine Null.
Die einzige Null, die hier war, war ich. Ich war all das, was ich gerade zu ihr gesagt hatte...
Ja, ich bereute meine Worte zutiefst.
Ich spürte ein Stechen in meinem Bauch.
Ich hatte sie verletzt...
Und plötzlich tat es mir unendlich leid...
Aber ich wollte sie doch nur vor mir schützen...
Ich war ein Monster.
Ein einziges Monster.
Ein Monster, welches blind Leute verletzte.
Ein Monster, welches eiskalt war.
Ein Monster ohne Gefühle.
Langsam richtete ich mich auf, setzte mich ganz gerade hin. Auch mein Kopf hing nicht mehr nach unten, sonder war starr geradeaus gerichtet.
Ich war ein Monster.
Und dieses Monster musste ich verbergen.
Ich musste Mauern um mich bauen, dicke, undurchdringliche Mauern, die keiner durchbrechen konnte.
Niemand.
Nicht einmal ich selbst.
Ich beschloss eines:
Ab jetzt war ich eiskalt.
Ab jetzt ließ ich keine Emotionen zu.
Ab jetzt würde niemals jemand mein Lachen mehr hören.
Ab jetzt gab es Ares.
Ich war nicht Pax.
Ich war Ares.
Ares...
Was wohl Lucy dazu gesagt hätte?
Sie hätte es bestimmt nicht gut gefunden.
Aber egal.
Es war meine Entscheidung.
Ich war ab jetzt Ares.
,, Nobody can break me. Nobody can hurt me. Nobody can touch my monster. Nobody...", flüsterte ich leise auf englisch, schloss meine Augen. Englisch war eines der wenigen Unterrichtsfächer, die ich ich wirklich mochte.
Ich wollte genau das Gegenteil von Pax werden.
Ich wollte es, und niemand konnte mich davon abhalten es zu tun.
Wirklich niemand.
Nicht einmal diese Schwärze in mir.
Denn schwarz mag vielleicht keine Farbe sein, schwarz mag vielleicht bunt sein, doch eines durfte man niemals vergessen: All die Farben die in dieser Schwärze stecken, diese Buntheit, sie sind alle vermischt, und zwar so, dass man sie nie wieder trennen kann. Nie wieder kann man die einzelnen Farben aus der Schwärze erkennen.
Diese Schwärze...
Sie war eben ein Teil von mir, ein Teil von meiner Seele.
Ich war eben schwarz, das Gegenteil von weiß.
Das Gegenteil von Unschuld, reinem Gewissen.
Das Gegenteil von Ylva.
Das Gegenteil von Lucy.
Das Gegenteil von Pax.
Das Gegenteil von mir selbst.

Mit diesen Gedanken legte ich mich wieder aufs Bett, schloss meine Augen. Wie von selbst tastete ich mit meiner rechten Hand nach meinem Rucksack, holte zuerst die Kopfhörer, dann mein Handy hervor.
Ich schaltete die Kopfhörer ein, setzte sie mir auf, und drückte auf Play. Das praktische an dem Teil war ja, dass ich nicht ewig auf meinem Handy suchen musste, sondern es eine Play- sowie eine Skipfunktion auf den Kopfhörern selbst gab.
Ich seufzte leise, als ich das nächste Lied erkannte. Es war ein Lied, welches meine Situation gerade am besten beschrieb. Nein, nicht Leave the Light on von Tom Walker. Ein ganz anderes Lied. Stumm, ohne ein Wort von mir zu geben, lauschte ich den Text, verstand jede Zeile. Früher mochte ich das Lied, weil es sich einfach cool anhörte, doch jetzt... jetzt verstand ich den Text.
»I've taken a stand, to escape what's inside me. A monster, a monster, I turned into a monster. A monster, a monster, and it keeps getting stronger«
Es war Monster von den Imagine Dragons. Und fuck, sie hatten recht. Dieses Lied hatte recht.
ICH war ein Monster.
ICH verdiente dieses Leben nicht.
ICH verdiente Ylva nicht.
Ich wurde immer nachdenklicher, blendete die Musik dabei langsam aus.
»Damit du endlich Ruhe gibst...«, hörte ich Lucy leise in meinen Gedanken flüstern. Es war nur ein Satz...nur ein unschuldiger Satz, der aber so viel für mich bedeutete.
Ich verdiente es nicht hier zu sein.
Ehrlich gesagt wollte ich seit drei Jahren schon nicht mehr hier sein.
Mein Platz war bei Lucy.
Lucy.
Meine große Schwester.

Pax - Schwarz ist keine Farbe [✓]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt