19. Kapitel

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Kalt.
Eiskalt.
Rau.
Steinig rau.
So fühlte sich die Wand an.
Kalt.
Eiskalt.
Stechend.
Schmerzhaft stechend.
So fühlte sich der Wind an.
Kalt.
Eiskalt.
Schwarz und alleine.
So fühlte ich mich.
Gewiss, ja, ich hätte einfach bei Ylva bleiben könne, aber diese schlief noch, so wie ich mitbekommen hatte, und ich musste dringend nachdenken. Und zwar irgendwo, wo ich alleine war.
Und zwar irgendwo, wo mich niemand, wirklich niemand stören würde.
Weder Nico oder die anderen, weder dieser Archie, noch Ylva.
Ich brauchte Zeit für mich, auch wenn sich diese Zeit nicht besonders gut anfühlte.

Frierend rieb ich meine Arme. Alles, was ich anhatte, war ein Pullover, aber dieser reichte nicht. Jedoch hatte ich mich nicht getraut nach der Jacke zu suchen, ich hätte Ylva hundertprozentig aufgeweckt.
Langsam zog ich mir meine schwarze Kapuze über den Kopf, zog sie mir tief ins Gesicht.
Zum Einem, dass mir dieser eiskalte Wind nichts antun konnt, zum Anderen, dass mich, falls doch jemand vorbeikam, nicht sofort jeder erkannte.
Nachdenklich schloss ich meine Augen, zu viele Gedanken beschäftigten mich.
Was jetzt?
Was würde als nächstes passieren?
Was hatte die Zukunft so auf Lager?
Hatte ich überhaupt eine Zukunft?
Oder...
Meine Gedanken wurden von einer zuerst unbekannten Stimme unterbrochen.
,,Ich wünsche einen guten Tag"
Ich ließ meine Augen geschlossen, blieb so, und hoffte, das ich meine Verwunderung nicht zu sehr zeigte.
,,Hi. Wer bist du?", fragte ich den Unbekannten, welcher nun neben mir, wie ich an die Hausmauer gelehnt, neben mir stand.
Ich vernahm ein leises Husten, dann erhob der Unbekannte wieder seine Stimme: ,,Mein Name lautet Archie."
Archie?
Ach ja, der, der im Türrahmen gestanden war.
Der, der so eigenartige Schritte hatte.
,,Pax", stellte ich mich vor, setzte mich vorsichtig auf den Boden, welchen ich kaum mehr spürte, so kalt war mir.
Nun, ich stand hier schon ziemlich lange, und die drei Jahre, genauer gesagt seit ich blind war, war ich viel empfindlicher geworden, was Hitze und Kälte betraf.
,, Das ist mir wohl bekannt"
Mehr kam nicht von ihm.
Was war los? Er klang so...so wütend irgendwie, aber auch traurig...
Und vor allem: Woher kannte er meinen Namen?
Von Ylva?
Oder hatte er es mal irgendwo aufgeschnappt?
Ich wusste es nicht...
Ein leises Schnauben ließ mich aufhören, ich wandte meinen Kopf zu Archie, zog meine Augenbrauen hoch.
,,Ist was?", fragte ich ihn, als er mir nicht antwortete.
Leise knurrte Archie. ,, Darin müsstest du schon längst im Bilde sein, F r i e d e ."
Hä?
Was zur heilligen Maroni redete er da?
Und warum sprach er die Übersetzung meines Namens so verächtlich aus?
,,Ähm...nein?"
,,Aber natürlich. Jeder der Menschen hier kann erblicken, dass der Grunde deines Herzens zerklüftet ist. Friede, du bist nicht besonders im Reinen. Eine Freundschaft ist äußerst überlegsam mit dir. Du täuscht all dein Leben vor. Du leidest nicht unter Amaurose. Das entspricht nicht der Wahrheit. Du hast es dir zum Ziel gemacht, ein wunderschönes Mädchen zu betrügen, zu hintergehen.
Was bist du nur für ein Taugenichts?
Nun, ich ziehe von dannen, und ich rate dir, sehr geehrter Pax, halte nicht die Maulaffen feil, setzte jenes wieder in Stand, welches durch dich zu Bruch gegangen ist"
Das sprach Archie, seine Stimme klang gepresst und rau.
Dann trat er einen Schritt nach vorne, wollte gehen.
Verwirrt hatte ich ihm zugehört.
Ich hatte jedoch kaum die Hälfte davon verstanden...
Doch eines wusste ich:
Er glaubte, ich würde alles vortäuschen.
Wen er mit 'wunderschönes Mädchen' meinte, konnte ich mir fast denken.
Ylva.
Jedenfalls fiel mir niemand ein, den er sonst meinen könnte.
,,Archie, warte", murmelte ich, stand langsam auf.
Er hörte scheinbar auf mich, drehte sich wahrscheinlich langsam um.
,,Warum sollte ich am selbigen Platz verweilen?"
Nun musste ich doch etwas grinsen, räusperte mich jedoch sofort, veränderte meinen Gesichtsausdruck wieder auf neutral. Das war unhöflich...
,,Weil ich mit dir reden will. Was meine... Krankheit betrifft: Nein, da liegst du komplett falsch, Archie, ich sehe wirklich nichts. Also, wenn ich es mir richtig gemerkt habe, dass Amaurose der Fachbegriff für die vollständig fehlende Lichtwahrnehmung eines oder beider Augen ist.
Wie kommst du darauf, dass ich das lügen würde?
Und warum denkst du, dass ich es mir zum Ziel gesetzt hätte, Ylva zu verletzen?"
Ich hatte noch jede Menge andere Frage, doch die, so beschloss ich, würd ich ein anderes Mal stellen. Einfach, um den armen Archie nicht zu überfordern.
Meine Stimme klang die ganze Zeit über ruhig, und geduldig, als hätte ich diese Diskussion schon oft geführt, was jedoch nicht so war.

Eine Weile war es still, es herrschte wieder dieses allbekannte Schweigen.
Doch dann durchbrach ein leises Schluchzen die Stille.
Irritiert zog ich meine Augenbrauen zusammen, ging in die Knie, und tastete mich nach vorne. Da irgendwo musste Archie sein.
Und richtig, schon bald fand ich ihn, er hatte sich zusammengekauert, seine Arme fest um seinen Körper geschlungen.
Leise weinte er in seine Knie, gab immer wieder einen Schluchzen von sich.
,,Hey...Archie..."
Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Rücken, strich beruhigend über seine rechte Schulter.
In diesem Moment umarmte er mich einfach fest klammerte sich an mich, als wäre ich sein Rettungsring.
Etwas verwirrt schloss ich ihn ebenfalls in meine Arme.
,,Alles gut, Archie...", flüsterte ich leise, strich weiter über seinen Rücken.
Warum weinte er?
Ich verstand gar nichts mehr...
Er nickte etwas zögerlich.

,,Pax?"
Seine Stimme klang unheimlich schwer und traurig.
,,Ja?", antwortete ich ihm, legte meinen Kopf etwas schief.
,,Trägst du Hass auf mich aus? Ich ... ich will mich für mein sehr tollköpfiges Verhalten entschuldigen...
Ich hatte unter der Angst gelitten, dass Ylva mich jetzt wohl nicht mehr anblicken wird"
Etwas lächelnd strich ich durch seine Haare.
,,Aber nein, Archie. Ich weiß nicht, wie nahe dir Ylva steht, und wie das Verhältnis so zwischen dir und Ylva ist.
Aber Archie: Ylva würde dich nicht vergessen, glaub ich zumindest.
Egal, ob du anders redest, oder einfach anders bist...
Glaub mir, Archie"
Archie löste sich von mir, schien mich zu betrachten, da er kurz schwieg.
,,Wie kannst du dir da so sicher sein?"
Ich lächelte etwas.
,,Archie.
Ich bin nun mal... gewöhnungsbedürftig, wenn man es demokratisch ausdrückt.
Wenn du mich länger beobachtest, wirst du das bald bemerken, ich ticke anders, als die anderen, habe einen eigenen Rhythmus. Und ich habe nicht vor, diesbezüglich etwas zu ändern.
Möge kommen, was wolle..."

Pax - Schwarz ist keine Farbe [✓]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt