Adaliz

162 8 0
                                    

Am nächsten morgen erwachte ich und bemerkte, dass ich gar nicht in meinem Bett geschlafen hatte. Ich schaute neben mir auf die Matratze und sah, dass der Platz leer war. Dave war wohl schon aufgestanden.
Ich versuchte nicht, an den Ärger zu denken, der mich zu Hause erwartete. Ich stand auf und tappte verschlafen aus dem Zimmer. Vom Schlaf noch etwas müde rieb ich mir die Augen und sah Dave am Herd stehen.
"Was machst du da?", fragte ich ihn und ging zu ihm herüber.
Er schaute zu mir. "Spiegelei", informierte er mich.
Ich schaute ihn erstaunt an. "Du kannst kochen?"
Er lachte. "Klar."
Huch, der konnte ja alles. Ich schmunzelte und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
"Ist ja hier wie im Film", murmelte ich.
Er lachte. "Dürfte ich eben?", fragte er und schaute mich an.
"Uh, klar", sagte ich und ließ von ihm ab, damit er es auf die Teller legen konnte.
Wir setzten uns an den Tisch und ich nahm den ersten Bissen in den Mund. Es war wunderbar.
"Du kannst echt gut kochen", sagte ich anerkennend.
Er lächelte sanft.
Wir aßen und dann zog ich mich um, da ich ja immer noch Dave's T-shirt anhatte.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch verabschiedete ich mich schließlich von ihm. Ich hatte etwas Bammel davor, was meine Eltern sagen würden. Immerhin beließen sie es ja wohl nich dabei, wenn ihre Tochter über die Nacht nicht nach Hause kam.
Ich schloss möglichst leise die Türe auf, doch mein Vater wartete schon im Flur.
Ich verzog unsicher das Gesicht.
Er funkelte mich an. "Jennifer." Uh, das bedeutete gar nichts gutes, wenn er mich beim vollen Namen nannte.
"Ja, Dad?", murmelte ich leise.
"Kommst du mal bitte in die Küche?", fragte er mit kontrollierter Stimme.
Ich hielt nervös die Luft an und folgte ihm durch die Türe.
Er bedeutete mir, mich zu setzten und ich ließ mich ihm gegenüber nieder.
Er legte zwei Finger an die Nasenflügel. "Jennifer, weißt du eigentlich, was ich mir für Sogen gemacht habe?", flüsterte er.
Mir wurde klar, dass diese verzweifelte Ruhe viel schlimmer war, als wenn er mich angeschrien hatte. Mal abgesehen davon, dass er mich nie anschrie. Er war eigentlich ein wundervoller Vater.
Ich schlug die Augen nieder. "Ich weiß, Dad. Es tut mir leid."
"Jenny, es ist mir egal, wo du gewesen bist, doch ich möchte, dass du nicht so unangekündigt wegbleibst", sagte er ernst.
"Ja, Dad", sagte ich verlegen.
"Du hast bis Ende der Woche Hausarrest."
Ich riss die Augen auf. "Nicht bis nächsten Sonntag, Dad! Bitte nicht! Bis Mittwoch, ich mache auch alles andere, was du willst", flehte ich.
Seine Miene wurde weicher. "Na gut, aber dann hast du bis Ende des Monats Fernsehverbot", sagte er streng.
Ich willigte widerwillig ein. Besser als Hausarrest.
Ich ging wieder in mein Zimmer. Erstmal zog ich mir andere Klamotten an und dann schaute ich auf meine Nachrichten.
Mum und Dad hatten ein paar drohende Nachrichten hinterlassen, aber Marc hatte keine geschickt. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen, weil ich ihn einfach so stehen gelassen hatte, jedoch war es besser, als wenn ich mich mit Dave streiten würde.
Es trudelte eine SMS von Dave ein:
Hi ;)
Lust zu meinen Eltern zu fahren?
Muss dir jmdn vorstellen...
Ich willigte ein und verabredete mich mit ihm um fünf. Ich wollte Mum und Dad noch etwas Zeit zum abreagieren geben...
Um fünf zog ich dann schließlich meine Jacke und Sneakers über und öffnete die Türe. Jedoch kam mein Dad in dem Moment aus dem Büro.
"Jenn? Wo willst du hin?", fragte er.
Unsicher schaute ich zu ihm hoch. "Äh.. Ich dachte ich darf...", stammelte ich.
Er seufzte. "Jenn, du darfst, aber komm bitte um neun spätestens."
Ich nickte eifrig und verabschiedete mich noch von ihm. Ich ging die Treppe hinunter zu Dave's Wohnung und klingelte.
Nach kurzer Zeit machte er auch schon auf und ich fing an zu grinsen.
Der übliche Schauer lief mir über den Rücken und die Schmetterlinge in meinem Bauch spielten verrückt. Dann begegnete ich seinen dunkelblauen Augen und meine Gedanken waren dahin.
Ich stand einfach da, bis Dave schließlich einen Schritt auf mich zu machte und mich zur Begrüßung leicht auf den Mund küsste.
Doch schon nach viel zu kurzer Zeit löste er sich wieder von mir.
"Komm mit, wir fahren zu meinen Eltern", sagte er zu mir und lächelte das unwiderstehliche Dave-Lächeln.
Ich senkte mit rotem Kopf den Blick und folgte ihm nach draußen zu seinem Audi. Eigentlich war er etwas sehr protzig, aber an Dave wirkte er nicht angeberisch, sondern eher elegant.
Ich setzte mich auf den Beifahrersitz und er fuhr los. Während der Fahrt hielt er schweigend meine Hand und ich genoss seine Nähe.
Als wir ankamen gingen wir Hand in Hand zu der Eingangstüre.
"Wen wolltest du mir denn vorstellen?", fragte ich ihn neugierig.
Er schmunzelte. "Lass dich überraschen."
Ich zuckte die Schultern und da machte uns auch schon Diana auf.
"Jenn! Dave! Da seid ihr ja!", begrüßte sie uns freudig und umarmte uns.
Wir betraten den Flur und gingen ins Wohnzimmer, nachdem wir unsere Jacken ausgezogen hatten.
Dort wartete auch schon die Person, die Dave mir vorstellen wollte.
Es war eine Frau, etwa zwanzig und sie hatte schwarze Haare, die einen bläulichen Schimmer hatten. Außerdem hatte sie blaue Augen, die sehr dunkel waren. Ähnlich wie bei mir und Dave.
Aus ihrer blassen Haut schloss ich, dass sie auch ein Halbvampir war.
Ich stellte mich neben Dave und wartete darauf, dass jemand das Schweigen brach. Lucian war ebenfalls anwesend, nur Sam war nicht zu sehen.
Schließlich kam die Frau auf Dave zu und schloss ihn in eine innige Umarmung.
Sofort stach mir die Eifersucht in den Magen und ich musste mich zusammenreißen, um nicht loszuknurren. Dennoch sog ich scharf die Luft ein, aber sie bemerkten es garnicht. Ich biss die Zähne zusammen und fragte mich, was mir los war. Wahrscheinlich waren die beiden nur alte Freunde.
Sie schienen sich jedoch sehr gut zu verstehen und schauten sich lächelnd an, bis Lucian sich schließlich räusperte. Ich war inzwischen innerlich schon explodiert und hatte kurz davor gestanden, dieser Frau eine zu scheuern. Jedoch konnte ich mich gerade noch davon abhalten.
Schließlich drehte sich Dave zu mir um und stellte uns gegenseitig vor.
"Jenn, das ist Adaliz, Adaliz, das ist Jenny", sagte er und schaute uns beide an.
"Hi", sagte die schwarzhaarige.
Adaliz streckte mir die Hand hin und ich nahm sie widerwillig, wobei ich ein funkeln in den Augen nicht unterdrücken konnte.
Dave warf mir einen warnenden Blick zu, als wir auf die zwei Sofas zugingen und uns setzten.
Dave setzte sich neben Adaliz und ich ließ mich wutschnaubend neben Diana nieder. Ich fragte mich ob Dave mich absichtlich auf die Palme bringen wollte, denn ich musste mich inzwischen zusammenreißen, um nicht aufzuspringen und Adaliz von ihm wegzureißen.
Sie beredeten die ganze Zeit, dass Adaliz hergekommen war, um uns zu helfen. Die Bedrohung, die von Ashley und Stephen ausging, war größer geworden und sie sollte uns helfen, sie zu vertreiben.
Als wenn wir ihre Hilfe brauchten, dachte ich wütend.
Ich bedauerte es mittlerweile, dass ich mit Dave hergekommen war, da er mich nicht einmal beachtete. Anscheinend war ich nicht gut genug und er hatte lieber mit Adaliz Spaß. Sie unterhielten sich freudig und öfters fingen sie beide an zu lachen.
Ich war enttäuscht und in meiner Brust stach es.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und erhob mich.
Diana schaute als einzige auf und ich informierte sie, dass ich auf Toilette wäre.
Ich ging die Treppe hinauf und suchte nach einem bestimmten Zimmer.
Als ich es schließlich fand, klopfte ich an und hörte ein leises "herein".
Vorsichtig drückte ich die Klinke hinunter und öffnete die Türe. Leise betrat ich das Zimmer uns sah sie da sitzen.
Sie wirkte bekümmert und hockte zusammengekrümmt auf ihrem Bett.
"Wie geht es dir, Sam?", fragte ich sie.
Sie hob langsam den Kopf. In ihren Augen sah ich unendliche Trauer und tiefes Bedauern.
"Es geht", sagte sie mit brüchiger Stimme.
Ich setzte mich vorsichtig neben sie auf das Bett und schaute sie an.
"Du weißt, dass du dir keine Vorwürfe machen sollst. Das ist alles meine Schuld", sagte ich bedrückt.
Ich Kopf fuhr herum. "Aber ich habe den Mann nunmal angefallen! Und ich habe ihm das ganze Blut ausgesaugt! Nicht du! Weißt du, am meisten quält mich, dass er bestimmt auch eine Familie hatte, genau wie wir. Er hatte eine Frau, vielleicht Kinder. Wie sollen die denn mit seinem Tod klarkommen? Ich könnte mir gar nicht vorstellen, wenn Dave..." Ihre Stimme brach.
Ich strich ihr beruhigend über den Rücken. "Das weiß ich, Sam. Aber das ist nunmal unsere Natur. Es gibt halt nicht nur schöne Seiten und das ist eine von den schlechten. Und wenn wir es schaffen, damit klarzukommen, dann schaffen wir alles."
Ich beendete meine Mut-Mach-Rede und schaute Sam lächelnd an.
Sie seufzte laut. "Wenn du meinst."
Ich nickte heftig. "Sicher."
Sie lächelte mich dankbar an und ich wechselte das Thema.
"Woher kennt ihr Adaliz?", fragte ich sie mit einer etwas grimmigen Miene.
Sie schaute überrascht auf und seufzte. "Jenn...muss das jetzt sein?"
Ich nickte bestimmt. "Ja, muss es." Wer weiß, was Adaliz alles verbarg und was sie mit Dave am laufen hatte.
Sie schaute mich etwas ängstlich an. "Also Adaliz ist schon sehr lange eine Freundin unserer Familie. Wir haben sie in Venedig kennengelernt. Ihre Familie hat uns einmal geholfen, die Vampire abzuwehren. Naja, und in dieser Zeit waren Dave und Adaliz zusammen."
Ich erstarrte. Oh, nein. Die beiden waren mal ein Paar? Vielleicht empfand Dave ja noch etwas für sie! Oder sie für ihn und er würde ihr nicht widerstehen können!
"Wann war das?", fragte ich sie tonlos.
Sie verzog schweigend den Mund.
"Sam!"
Sie seufzte. "Also gut, es war vor zwanzig Jahren und...und sie waren fünf Jahre ein Paar. Sie hätten fast geheiratet."
Mein Mund wurde trocken und ich konnte nicht einmal mehr schlucken. Dave hatte kurz vor einer Hochzeit gestanden.
Nein...
Es muss wohl eine sehr starke Liebe gewesen sein, sodass sie fünf Jahre zusammen waren. Enttäuschung überflutete mich wie eine Welle und ich fragte mich mit glasigen Augen, warum er mir nicht davon erzählt hatte.
Ich senkte dem Kopf und Sam strich mir über den Rücken.
Ich erhob mich. Jetzt konnte ich niemanden von dieser Familie ertragen, außer vielleicht Diana.
Ich ging aus ihrem Zimmer und wischte wütend die Tränen weg, die mir über die Wangen liefen.
Ich ging den Flur hinunter und musste jedoch auf Dave treffen, der aus einem Zimmer kam.
Er zog gerade sein T-shirt herunter und ich sah noch Adaliz in dem Zimmer sitzen, als er die Türe schloss. Seine Augen weiteten sich und nahmen einen geschockten Ausdruck an.
Mir stockte der Atem, sodass ich erstmal keine Luft mehr bekam und anschließend meine Tränen in Bächen über mein Gesicht liefen.
Das durfte nicht wahr sein, oder?
Er hatte nicht gerade mit ihr rumgeknutscht!
Das würde Dave niemals tun!
Doch da beschlichen mich auch schon die Zweifel und eine Erinnerung kam in mir hoch.
Dave, wie Ashley ihn küsste. Dave, wie er Adaliz umarmte. Dave, wie er aus dem Zimmer kam und sich sein T-shirt anzog.
Verzweifelt schüttelte ich den Kopf und ging den Flur hinunter.
Dave packte mich hart am Arm und drehte mich um.
"Jenn, das kannst du jetzt nicht glauben!", sagte er bestimmt. "Ich würde dich niemals betrügen!"
"Betrügen?", kam es aus dem Zimmer und Adaliz kam aus dem Zimmer. Sie lachte. "Ich wusste gar nicht, dass ihr zusammen seid. Dann hätte ich dich ja wohl küssen dürfen."
Ich knurrte, zischte und schnaubte zugleich. In mir explodierte alles und ich wollte sie anfallen, als Dave mir einen bedeutungsvollen Blick zuwarf.
"Adaliz", sagte er leise. "Das ist nicht dein Ernst."
Sie lachte wieder höhnisch. "Siehst du nicht, dass sie dir nur hinterher dackelt?"
Ich knurrte wieder und auch Dave schien sich kaum zurückhalten zu können.
"Adaliz, du glaubst nicht im ernst, dass du mich so zurückbekommst", stellte er kalt fest. "Ich liebe dich nicht mehr. Ich liebe Jenn. Und jetzt geh bitte, du hast eh schon alles kaputt gemacht." Er drehte sich zu mir um, ohne zu schauen, ob sie auch wirklich verschwand.
Mir wurde warm ums Herz, als er sagte, dass er mich liebte. Es war eine etwas komische Situation für ein Geständnis, doch ich fand es einfach nur wunderbar. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel kurz hoch zuckten.
Doch dann tauchte die Szene, wie er aus dem Zimmer kam, wieder vor meinem Auge auf und ich stellte automatisch auf kalt.
Adaliz verschwand dann schließlich doch wieder und ich stand Dave alleine gegenüber.
"Jenn", sagte Dave gequält und ich wäre fast weich geworden. Aber auch nur fast.
"David, spar dir deine Erklärungen. Es ist aus."
Ich drehte mich um und hörte Dave hinter mir empört nach Luft schnappen.
"Jenn, warte!", rief er und kam hinter mir her.
Ich wirbelte herum. "Was willst du?!", fauchte ich ihn an. "Mir erklären, dass sie dich geküsst hat und du gar nichts dafür kannst. Das kannst du dir sparen. Langsam wird es unglaubwürdig, Dave. Also lass mich einfach in Ruhe."
Ich lief weiter und als ich die Treppe hinunter gegangen war, schloss ich die Augen.
War es richtig gewesen, seine Erklärung nicht anzuhören?
Jetzt war es sowieso zu spät. Ich wollte einfach hier weg. Weg von Dave, weg von allem, was mich an das Vampirsein erinnerte.
Ich rannte schluchzend die Türe hinaus, vorbei an der verblüfften Diana und Lucian. Ich verwandelte mich schnell und rannte los.
Ich kam jedoch nur bis hinter die nächste Ecke, da wartete sie auch schon auf mich.
Ihre Haare glänzten, obwohl gar keine Sonne da war, mittlerweile war es nämlich Abend geworden.
Meine Brust zog sich zusammen und ich bekam Angst. Doch ich kämpfte sie mit aller Kraft nieder.
Sie grinste nur hämisch, dann biss sie auch schon zu und alles wurde schwarz.

Bloodmoon (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt