46.Kapitel: Ryan Martinez

29 4 0
                                    

„Geht es dir etwas besser?"

Ich saß ihm gegenüber, beobachtete ihn leicht dabei, wie er langsam anfing zu essen. Leicht verschränkte ich die Finger ineinander, sah konzentriert auf seine Brust, die sich ruhig hob und wieder senkte.

Inzwischen sah er schon um einiges besser aus, als noch vor einer halben Stunde. Seine Hautfarbe nahm langsam wieder eine gesunde Farbe an und er wirkte wieder um einiges stabiler. Gott sei Dank. Er hatte mir wirklich einen solchen Schrecken eingejagt, als er dort zusammengebrochen war.

Ich war schon mehrere Minuten dort gestanden, hatte seinen Namen gerufen, auf ihn eingeredet, doch er hatte mich allem Anschein nach nicht einmal gehört, als er wie ein Wahnsinniger auf diesen Boxsack eingeschlagen hatte.

Nach dieser Reaktion verstand ich langsam wieso er nie darüber hatte sprechen wollen. Er hatte so verstört gewirkt, aufgewühlt und verängstigt zugleich.

Allem Anschein nach hatte diese Anhörung mehr aufgerissen als ich zuerst gedacht hatte. Eigentlich hatte ich schon überlegt, ob ich nicht mit ihm ins Krankenhaus fahren sollte, aber gerade wirkte er wieder so viel stabiler und ich wusste, wie sehr er diese Orte hasste.

„Chris?" Behutsam legte ich meine Hand auf seine. „Hey, hörst du mir zu?"

Er hob den Blick, sah aus als hätte ich ihn gerade komplett aus seinen Gedanken gerissen.

„Ja?" Seine Augen waren leicht getrübt. „Was ist?"

Ich lächelte, strich leicht über seinen Handrücken.

„Ich hab nur gefragt, ob es dir jetzt etwas besser geht."

„Oh..." Er nickte. „Ja...ja, danke."

Fest drückte ich seine Hand, schloss meine Finger darum. Er sah mich an, erwiderte es zögernd.

„Wo ist Bill?"

„Bei Elli.", erwiderte ich lächelnd. „Mach dir um ihn keine Sorgen."

Er nickte kurz.

„Okay und...geht's ihm gut?"

Ich nickte.

„Ja, er braucht nur etwas Luft denke ich. Aber es geht ihm gut."

Ich sah ihn an. Um Bill musste ich mir keine Sorgen machen. Er hatte mir vor wenigen Minuten noch einmal geschrieben, mir mitgeteilt, dass er noch eine Weile bei ihr bleiben würde und ich mir keine Sorgen machen müsste.

Chris hingegen bereitete mir immer noch Sorge. Er sah zwar nicht mehr so aus, als würde er gleich zusammenbrechen, aber ich sah ihm an, dass es ihn immer noch verfolgte, dass er immer noch daran dachte was heute passiert war. Oder mehr...daran was damals passiert war, woran er heute wieder erinnert worden war.

Edgar Bell...diesen Namen hatte er nach der Verhandlung gesagt.

Ich hatte da so ein Gefühl, seitdem ich ihn so verzweifelt gesehen hatte. So ein Gefühl, was diesen Jungen betraf. Als...als wäre er nicht nur ein Soldat seiner Einheit gewesen.

Nein, ich war mir sicher, dass es so gewesen war.

Der Blick den er dort gehabt hatte...es wirkte nicht so, als sei es das Trauma von damals, was ihn so verfolgt hatte. Er hatte speziell von ihm gesprochen, von einem 17-jährigen jungen Soldaten, der dort gestorben war.

Irgendwie kam es mir so vor, als hätte dieser Junge mehr mit dieser Verhandlung zu tun.

Ich dachte an den Ausdruck in Chris' Augen, wenn er von dieser Verhandlung sprach. Jedes Mal sah er so verängstigt aus. So als ob er schon lange wissen würde, wie es sich anfühlen würde sie zu verlieren. So...als hätte er das schon einmal erlebt und als könnte er es nicht ertragen...als könnte er es nicht ertragen noch eines seiner Kinder zu verlieren...

Die Idee von GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt