93.Kapitel: Ryan Martinez

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Die nächsten Tage vergingen mit nicht weniger Chaos. Also wenn ich mich jemals irgendwie über meine Schlaflosigkeit beschwert hatte, dann sollte ich das wohl dringend zurücknehmen! Meine Schlafprobleme während meiner Studienzeit waren ein Witz im Vergleich dazu gewesen!

Wir waren uns zwar einig, dass Bill und Mary zu Hause bleiben sollten und auch dass Chris und ich diese Woche hier blieben. Schließlich...war es nur noch diese eine Woche. Aber es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Alptraum.

Mary schlief von Nacht zu Nacht schlechter, wachte immer wieder mitten in der Nacht schreiend auf, so dass sie abwechselnd entweder bei Chris und mir oder bei Bill im Bett schlief, damit sie wenigstens nicht allein mit ihren Alpträumen war, so versteinert wie sie jedes Mal dasaß, wenn sie aufwachte.

Bill wirkte jeden Tag aufs Neue, als sei er einfach komplett überfordert. Er war so nachdenklich und in seine Gedanken vertieft, dass er manchmal stundenlang vergaß, dass er etwas essen musste.

Immer wieder entkam ihm dann irgendeine verwirrt klingende Frage, wie in etwa ob ich von Anfang an gewusst hätte, dass seine Mom krank war und wie ich so lange mit so jemandem zusammen hatte sein können wie ich so jemanden hatte heiraten können und ob mir die Risiken nicht bewusst gewesen seien, als sie mit ihm schwanger war.

Oder auch, wenn ich gewusst hatte was mit Mom gewesen war und ich sie trotz allem geheiratet hatte, wie es dann sein konnte, dass ich sie geheiratet hatte, aber Chris und ich noch nicht verheiratet waren.

Das hatte er mich in Anwesenheit von Chris und Mary, am Frühstückstisch gefragt und ich hatte mich dabei nicht nur an meinem Kaffee verschluckt, sondern hatte mir dazu auch noch so die Zunge verbrannt, dass die noch mindestens eine halbe Stunde danach noch weh getan hatte.

Ich konnte ja schlecht sagen, dass ich ihn eigentlich schon seit mindestens einem Jahr fragen wollte, aber irgendwie hatte ich Schiss bekommen, stattdessen mit ihm Schluss gemacht und jetzt war so viel schief gelaufen, dass ich nicht mehr daran gedacht hatte und es auch stark bezweifelte, dass es der richtige Augenblick sei ihm so eine Frage zu stellen.

Ja...und da wäre dann eben noch Chris, mein Partner, dem ich offensichtlich nur dabei zusehen konnte wie er sich Tag für Tag mehr zu einem Darsteller aus "The Walking Dead" verwandelte.

Wenn er schlief, dann nicht lange und verdammt unruhig. Noch unruhiger als Mary. Er wachte mehrmals in der Nacht auf, litt sichtlich genauso unter Alpträumen wie sie und wirkte einfach nur noch komplett paralysiert.

Einmal war ich mitten in der Nacht aufgewacht, während Mary gerade einmal ruhig neben mir geschlafen und sich ganz fest in ihr Alien-Kuscheltier gekrallt hatte. Chris hatte einfach nur da gesessen und die Wand angestarrt. Er hatte mir nicht einmal mehr sagen können, was passiert war, was er gesehen hatte. Und dabei kannte ich seine Träume seit Jahren. Weil es immer dieselben waren, die sich wie in einer Zeitschleife immer wiederholten.

Der Mord an seiner Mutter, die ganzen Misshandlungen seines Vaters, Afghanistan, der Weg wieder zurück nach Amerika,...

Es war immer dasselbe. Und trotzdem wirkte er im Moment so, als wäre er damit absolut allein, als könnte ihm niemand helfen. Manchmal fühlte es sich an, als würde er wieder beginnen sich komplett abzuschirmen, als wollte er sich vor uns allen isolieren und das obwohl es so lange gedauert hatte, dass er endlich diese beschissene Mauer um sich herum hatte fallen gelassen. Ich war absolut ratlos und fühlte mich gerade noch machtloser als während dem Prozess.

Als ich dann am nächsten Morgen aufwachte, war es genau dasselbe. Chris saß wieder wie versteinert neben mir im Bett und reagierte nicht einmal, als ich mich aufsetzte.

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