Kapitel 36

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„Komm schon, eine Party wird dir gut tun", versucht Lilly mich nun schon zum hundertsten Mal zu überreden. Und das soll schon etwas heißen, denn normalerweise bin ich diejenige, die Lilly davon überzeugen muss, feiern zu gehen.

„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich keine Lust darauf habe?", stöhne ich genervt auf und lasse mich auf mein Bett fallen. Lilly hat darauf bestanden, nach der Schule mit zu mir zu kommen und seit wir in meinem Zimmer sitzen, will sie mich nun von einer Party überzeugen, die heute irgendjemand schmeißt.

„Bitte denk wenigstens darüber nach. Immerhin ist heute Freitag. Die ganze Woche schon bläst du nur Trübsal. Ich kann das nicht mehr mitansehen" probiert sie es weiter und rüttelt währenddessen an meiner Schulter.

Damit hat sie leider nicht ganz unrecht. Abgesehen von meinem Zusammenstoß mit Colin am Montag, habe ich ihn nicht wirklich zu Gesicht bekommen, denn die Psychologiestunden, in denen er mich nur eiskalt ignoriert hat, zählen nicht und das schmerzt mehr, als es sollte.

„Und was soll dann bitteschön eine Party bringen?", frage ich meine beste Freundin genervt.

„Ernsthaft? Du hast mir doch immer gepredigt, dass ich aus mir herauskommen soll und mein Leben genießen muss. Also stell dich nicht so an und nutze es aus, dass ich einmal auf eine Party möchte."

„Okay, okay. Ich überlege es mir und jetzt sieh mich nicht mehr mit diesem Blick an. Das sieht lustig aus", meine ich lachend. Ich kann Lilly einfach nicht ernst nehmen, wenn sie versucht, streng zu sein. Das passt einfach nicht zu ihr.

„Das nehme ich als ein ja", sagt Lilly und klatscht erfreut in die Hände.

„Kommt Nathan denn auch mit?", frage ich nach. Skeptisch ziehe ich meine Augenbrauen in die Höhe, als sie leise seufzt. „Ist irgendwas zwischen euch passiert?", bohre ich weiter, nachdem sie mir nicht geantwortet hat.

„Keine Ahnung, seit Sonntag ist er irgendwie komisch und ich weiß einfach nicht, was ich falsch gemacht habe", erzählt sie mir schüchtern und lässt dabei traurig die Schultern hängen. „Es ist ja nicht so, als wären wir schon zusammen, aber es fühlt sich trotzdem so an, als hätte ich eine Beziehungskrise."

„Inwiefern ist er denn komisch?" Ich bin mehr als verwirrt. „Du hast mir nach dem Ball doch noch geschrieben, wie schön es mit Nathan war."

Lilly wendet den Blick von mir ab und starrt nun die Zimmerdecke an. „Der Ball selbst war auch schön. Nathan war so nett und lieb wie immer. Er hat mich auch nach Hause gebracht und als wir uns voneinander verabschiedet haben, hat das..." Ich merke, wie ihr Kopf rot anläuft und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Lilly räuspert sich, bevor sie weiterredet. „Nun ja, ich war ein wenig angetrunken und das hat in einer Knutscherei geendet."

Wieder macht sie eine Pause. „Er hat gefragt, ob ich bei ihm übernachten will und plötzlich habe ich mich ganz unwohl gefühlt", murmelt sie und reibt sich unruhig über ihre Arme.

„Und dann?", frage ich vorsichtig nach.

„Ich... ich habe irgendwie Panik bekommen und bin praktisch aus dem Auto geflüchtet." Erneut seufzt sie. „Gott, das war so peinlich."

Ich kann nicht anders als zu kichern. Diese Vorstellung ist einfach irgendwie lustig.

„Hör auf zu Lachen, ich meine es ernst", beschwert Lilly sich und haut mir dabei leicht auf die Schulter. „Wir haben zwar am nächsten Tag miteinander geschrieben, aber da hat er schon so abwesend gewirkt und seitdem haben wir uns auch nicht mehr getroffen. Denkst du..." Sie dreht ihr Gesicht wieder in meine Richtung und sieht mich traurig an. „Denkst du, er ist nur auf das eine aus?"

„Ich weiß es nicht", antworte ich ehrlich. „Vielleicht klärt sich das ja alles noch, gib dem ganzen etwas Zeit und versuch irgendwann mit ihm darüber zu reden. Vielleicht hat er zurzeit auch ganz andere Probleme, die gar nichts mit dir zu tun haben", rate ich ihr. „Und falls er doch so ein Arsch ist, kann er sich auf etwas gefasst machen", meine ich nun mit drohender Stimme. „Und außerdem, warum erfahre ich erst jetzt davon, wenn es dir schon die ganze Woche deswegen scheiße damit geht?", beschwere ich mich.

„Ich wollte dich nicht damit belasten, wo du doch selbst solche Probleme hast", gibt sie zu. Sofort breitet sich das schlechte Gewissen in mir aus. War ich die Woche wirklich so sehr damit beschäftigt, wütend auf Colin zu sein, dass ich nicht bemerkt habe, wie es Lilly gerade geht? Wieso ist mir das nicht aufgefallen? Was für eine tolle Freundin ich doch bin.

„Tut mir leid", sage ich. „Ich will dich doch nicht vernachlässigen, nur weil Colin ein Arsch ist. Du hättest mir ruhig früher davon erzählen können."

„Schon okay, eigentlich will ich eh nicht wirklich darüber reden", antwortet sie mir. „Verliebt sein ist scheiße."

Ich schließe die Augen und denke an Colin. „Das kannst du laut sagen."

*

Einige Stunden später sind Lilly und ich bereit für die Party. Obwohl wir beide dann nicht mehr richtig Lust darauf hatten, haben wir uns irgendwie aufgerappelt und uns ein wenig hübsch gemacht. Man weiß ja nie, auf welche Leute man trifft. Vielleicht ist Colin ja auch dort und es bietet sich eine gute Gelegenheit, um ihn ein bisschen eifersüchtig zu machen. Ich weiß, das ist nicht gerade der beste Plan, aber wenn er schon so herumspinnen muss, soll er auch kapieren, was er verpasst.

Pünktlich, also eine Stunde, nachdem die Party begonnen hat, stehen Lilly und ich vor einem fremden Haus. Ich mustere es ein wenig verwundert. Hier schreit absolut nichts nach Party. Keine laute Musik, die bis auf die Straße zu hören ist, keiner betrunkenen Menschen vor dem Haus, sind wir hier überhaupt richtig? Schließlich habe ich keine Ahnung, wer der Gastgeber ist.

Auch Lilly scheint ihre Zweifel zu haben, doch bevor wir wieder umdrehen können, wird die Tür geöffnet und ein Mädchen, das mir von der Schule bekannt vorkommt, strahlt uns an. „Hey, kommt doch rein, die Party findet unten statt", begrüßt sie uns und so folgen wir ihr ins Haus hinein. Drinnen angekommen führt sie uns eine Treppe hinunter und erst, als sie eine weitere Tür öffnet, dringt die Partymusik endlich zu mir durch. Wow, da hat jemand aber einen schalldichten Keller. Ich will gar nicht wissen, was hier unten schon alles passiert ist.

Wir betreten einen wirklich großen Raum, der alles hat, was man für eine Party braucht. Eine Bar, Musikanlage, Tanzfläche, Sofas in der Ecke und einen Tischtennistisch, worauf schon fleißig Beer Pong gespielt wird. So einen Partykeller hätte ich auch gerne in meinem Haus.

Ein sind schon ziemlich viele Menschen hier und sofort werden Lilly und mir Becher in die Hand gedrückt. Während Lilly nicht einmal daran nippt, trinke ich einen großen Schluck davon, doch gleich danach verziehe ich mein Gesicht. Dieses Zeug schmeckt widerlich. Trotzdem nehme ich einen weiteren Schluck, um ein wenig in Stimmung zu kommen.

Und um mein Gehirn klar zu machen, dass es nicht die ganze Zeit nach Colin Ausschau halten soll, denn bisher habe ich ihn nicht entdeckt. Aber wer weiß, vielleicht kommt er auch einfach gar nicht, und ich mache mir unnötig viele Gedanken darüber, wie es wohl ablaufen wird, wenn wir betrunken aufeinanderstoßen. Auch wenn ich letzte Woche einen ziemlich heftigen Absturz hatte, so habe ich gerade eben beschlossen, diese Party nicht nüchtern zu verlassen. 

Beziehung für eine NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt