Kapitel 38

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„Ja, alles bestens", beantworte ich Colins Frage nach meinem Wohlbefinden und ignoriere die wütende Stimme des Mannes, der mir ins Gesicht geschlagen hat. Was für ein Idiot.

Als Colin mir in die Augen blickt und mein Lächeln erwidert, schlägt mein Herz unwillkürlich schneller. Wie gerne würde ich ihn genau jetzt einfach zu mir heranziehen und ihn küssen. Auch wenn das vermutlich ziemlich wehtun würde, da vor allem meine Nase richtig schmerzt, aber das wäre es wert. Denke ich zumindest. Doch bevor ich wirklich noch auf die Idee komme, dies zu tun, überkommt mich der Schwindel erneut. Langsam bilden sich kleine schwarze Flecken vor meinen Augen und ich schließe seufzend die Augen.

„Ich muss mich kurz hinsetzen", murmle ich und lasse mich mitten auf der Straße nieder, da ich sonst vermutlich einfach umgekippt wäre. Als sich eine Hand auf meinen Rücken legt öffne ich die Augen vorsichtig wieder und erkenne Colin, der sich neben mich gesetzt hat, und mich besorgt mustert. Hätte ich gerade nicht so verdammte Schmerzen, würde ich den Moment um einiges mehr genießen.

Lilly kommt nun ebenfalls auf mich zu und schaut mich erschrocken an. „Brauchst du irgendwas? Soll ich dir Wasser holen? Etwas, zum Kühlen?" Noch bevor ich eine Antwort darauf geben kann ist sie verschwunden.

„Ihr dreckigen Bastarde, lasst mich jetzt verdammt noch mal los!", brüllt der Mann erneut los und erst da realisiere ich, dass er nach wie vor von Chris und Aiden festgehalten wird. Ich lache beinahe laut auf, als ich sehe, dass Blut aus seiner Nase tropft. Selbst schuld, wenn er sich mit mir anlegt.

„Entweder wir lassen Sie los und Sie verschwinden einfach oder wir rufen die Polizei. Was ist Ihnen lieber?", redet Aiden auf den Mann ein. Dieser murmelt erneut jede Menge Schimpfwörter, die ich zuvor noch nie in meinem Leben gehört habe.

„Wie war das?", fragt Chris nach und funkelt den Mann wütend an. Dieser starrt genauso wütend zurück und spuckt auf den Boden. Ekelhaft. Und lächerlich. Als ob wir dadurch Angst bekommen würden.

„Okay okay, ich hau ab", knurrt er mit zusammengekniffenen Augen. Aiden wirft mir einen Blick zu und ich nicke langsam. Ich hätte sowieso keine Lust darauf, die Polizei zu involvieren. Im Endeffekt müssten wir noch mit aufs Revier oder sonst was. So habe ich mir meinen Abend auf einer Party eindeutig nicht vorgestellt.

Ganz vorsichtig lockern Aiden und Chris ihre Griffe und beobachten dabei jede Bewegung des Mannes. Dieser taumelt sofort einige Schritte zurück und schüttelt seine Arme aus. „Miese Arschlöcher", murrt er uns noch zu, dreht sich schließlich um und verschwindet aus unserer Sichtweite.

Kurz ist es vollkommen still, bis sich Chris schließlich zu mir umdreht und mich breit angrinst. „Das war ja mal mega abgefahren."

„Spinnst du?", beschwert sich Aiden sofort und boxt Chris auf die Schulter.

„Hey, was denn?", will Chris wissen und schaut Aiden beleidigt an.

„Jemand hat Vivien ins Gesicht geschlagen und du findest das abgefahren? Er hätte lieber dich schlagen sollen, hätte dir nicht geschadet", meint Aiden.

„Schon gut, Aiden", mische ich mich ein und beginne zu lachen. Diese Diskussion ist einfach viel zu amüsant. „Außerdem bin ich ein richtiges Bad Girl. Ich prügle mich gerne, um schwache Jungs zu verteidigen, die nicht selbst dazu imstande sind."

„Du hättest nicht dazwischengehen sollen", sagt nun Colin. Ich drehe meinen Kopf wieder in seine Richtung und auf einen Schlag wird mir bewusst, wie nahe wir uns gerade sind. Seinen Arm hat er auf meinen Rücken abgelegt, unsere Beine berühren sich und sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter entfernt.

„Ihr hättet das ohne mich nie auf die Reihe bekommen", antworte ich mit zitternder Stimme und grinse ihn an. Unsere Blicke haben sich verfangen und ich schaffe es einfach nicht, mich von seinen blauen Augen loszureißen. Seine Hand streichelt immer wieder meinen Rücken auf und ab und das fühlt sich so unfassbar gut an, dass ich am liebsten seufzend die Augen geschlossen hätte.

Plötzlich grinst er zurück und kommt meinem Gesicht noch näher, sodass ich augenblicklich den Atem anhalte. „Du hast richtig heiß ausgesehen, als du den Mann geschlagen hast", flüstert er mir zu.

„Ich sehe immer heiß aus", gebe ich lässig arrogant zurück, auch wenn ich innerlich gerade richtig aufgewühlt bin. Auf eine positive Art. Es kommt mir gerade so vor, als hätten wir uns nie gestritten. Als wäre die Welt wieder in Ordnung. Und ich kann gar nicht in Worten fassen, wie sehr mich das freut. Gibt es denn eine Chance, dass wir die letzte Zeit einfach vergessen und da weitermachen, wo wir davor aufgehört haben?

„Wieso habt ihr sie denn noch nicht reingebracht? Sie sollte sich hinlegen", nehme ich plötzlich Lillys aufgewühlte Stimme wahr, die mich aus meiner Colin-Starre reißt. „Na los, tut etwas, ihr nutzlosen Dinger", kommandiert Lilly die Jungs herum. Aiden und Chris rühren sich jedoch nicht von der Stelle und schauen sie nur perplex an. Lachend schüttle ich den Kopf. Wenn Lilly will, kann sie alles andere als schüchtern sein.

Colin reagiert als erstes, steht auf und reicht mir dann seine Hand, um mir aufzuhelfen. Langsam zieht er mich hoch, doch sofort wird mir wieder schwindlig und ich stöhne schmerzvoll auf, da mein Kopf wieder richtig schlimm zu pochen beginnt. Ich kralle mich an Colins Schulter fest, um irgendeinen Halt zu finden. Dieser legt sofort einen Arm um meine Taille um mich zu stützen.

„Hier, trink das", sagt Lilly und überreicht mir einen Becher. Gierig trinke ich das Wasser darin bis auf den letzten Schluck aus und fühle mich danach ein klein wenig besser. „Ich habe dir auch ein Kühlpack mitgebracht. Für dein Gesicht", meint sie. Ganz sanft drücke ich das Kühlpack auf meine Nase und mein Auge. Trotzdem zucke ich zusammen, da schon diese leichte Berührung ziemlich schmerzhaft ist.

„Ich denke, ich bringe dich besser gleich nach Hause", meint Colin und sieht mich dabei nachdenklich an, was mich unheimlich nervös macht.

„Bist du denn mit dem Auto hier?", fragt Lilly nach und lässt ihren Blick immer wieder zwischen mir und Colin hin und her wandern.

„Ja, ich habe da vorne geparkt", antwortet er und deutet dabei mit seiner Hand in eine Richtung. „Ist das denn okay?", will Colin nun von mir wissen. Ich nicke zustimmend. Die Lust auf diese Party ist mir sowieso vergangen.

„Okay, ich hol nur noch schnell unsere Sachen", meint Lilly, doch Chris hält sie zurück, bevor sie erneut davonstürmen kann. „Das heißt doch nicht, dass du auch nach Hause musst. Wir sind hier schließlich auf einer Party. Feier ein bisschen mit uns."

Verwirrt runzelt sie ihre Stirn. „Ich weiß nicht."

„Ach, komm schon. Ich kann dich später auch nach Hause bringen. Colin ist extra mit dem Auto gekommen", redet auch Aiden auf sie ein.

Lilly wirft mir einen zweifelnden Blick und ich beginne zu schmunzeln. „Lass dir wegen mir doch nicht die Party versauen." Bevor sie richtig dagegen protestieren kann, haben sich Aiden und Chris links und rechts bei ihr untergehakt und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit den beiden wieder rein zu gehen.

„Wartest du hier? Dann hole ich schnell mein Auto", sagt Colin, als die drei verschwunden sind.

„Was, du lässt mich jetzt allein auf der Straße stehen, wo ich doch gerade eben erst verprügelt wurde?", antworte ich gespielt empört und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Okay, dann muss ich dich wohl mitnehmen", gibt er lachend zurück und bevor ich realisiere, was er überhaupt vorhat, hat er mich einfach hochgehoben und trägt mich nun zu seinem Auto.

„Geht das nicht ein bisschen schneller?", provoziere ich ihn und klopfe ihm dabei auf den Rücken.

„Was? Ich soll dich fallen lassen?", gibt Colin zurück. Plötzlich lässt er mich tatsächlich fallen, doch nur ein ganz kleines Stückchen, um es anzudeuten. Aber es reicht, dass ich erschrocken aufschreie.

„Spinnst du? Ich bin doch schon verletzt", beschwere ich mich, doch lache kurz darauf. Dann sind wir auch schon bei seinem Auto angekommen und ich setze mich auf den Beifahrersitz. Colin startet den Motor und fährt los.

Eine unangenehme Stille hat sich zwischen uns ausgebreitet und ich werde erneut nervös. Ist jetzt wieder alles gut zwischen uns? Ist er immer noch wütend auf mich? Bin ich denn noch wütend auf ihn? Vorher war unser Streit wie vergessen, doch jetzt, in dieser Stille, spüre ich, wie die Anspannung sich erneut zwischen uns aufbaut. Und das finde ich absolut nicht gut. Ich will nicht, dass dieser Abend vorbei ist. Ich will nicht, dass wir uns morgen wieder ignorieren oder uns wütend anfunkeln. Ich will Klarheit zwischen uns. 

Beziehung für eine NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt