Licht der Welt

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(Mein Text vom Hamburger Preacherslam 2019 mit dem Thema "I have a dream")


Hattet ihr als Kind auch Träume von der Zukunft,
habt euch vorgestellt wie es wohl sein wird,
hattet eure Vorbilder und Idole,
wolltet endlich groß und erwachsen zu sein?

Ich nicht. Ich wollte ein Kind bleiben.
Wie konnte Wendy Darling nur so verblödet sein und freiwillig das Nimmerland verlassen?!
Ich wollte nie erwachsen werden. Spoiler, hat nicht geklappt.

Aber ich lasse mir trotzdem nicht vorschreiben, was ich zu träumen habe.
Obwohl es sicher gute Dinge gäbe, von denen man träumen könnte:
Soziale Gerechtigkeit, Weltfrieden, die Wiederkunft Christ, ...?
Ich träume von der nächsten Staffel meiner Lieblingsserie, Sherlock. Hoffnungslos, ich weiß.
Ich träume davon, mich nicht mehr wie ein Alien zu fühlen, wenn ich andere so ansehe.
Ich träume davon, in jemandes Augen zu schauen und zu sehen, ich werde gesehen.
Nix mit Weltfrieden.
Macht mich das zu einem schlechten Menschen?

Andere träumten von Bildung für alle. Ich träumte davon, nie wieder in die Schule gehen zu müssen.
Andere träumten von Weltfrieden. Ich träumte davon, dass mein Vater aufhört zu schreien.
Andere träumten von globaler Trinkwasserversorgung. Ich träumte davon, dass der Alkohol verschwinden würde.
Klar, was waren meine Probleme schon im Angesicht der 3. Welt?
Ich war ein Kind. Und ich bin es noch.
Familie kann man sich nicht aussuchen? Doch. Doch, das kann man. Genauso wie seine Träume.
Ich träume davon, dass jedes Kind den Luxus hat von Weltfrieden zu träumen.
Und das macht mich zu einem Menschen.

Ich träume davon, dass es einen Gott gibt.
Irgendwann, ich weiß nicht mehr wann, habe ich aufgehört zu glauben, dass Gott existiert. Jetzt hoffe ich, dass Gott existierst. Das ist alles, was ich geben kann. Das ist alles, was ich habe.
Ich weiß nicht, wer Gott ist. Ich weiß nur, wer Gott für mich ist. Er ist Hoffnung. Die Hoffnung, dass ich nach dem Ende meiner Hirnströme nicht einfach aufhöre zu existieren. Dass ich die Menschen wiedersehen kann, die ich verloren habe. Dass es einen Ort gibt, an dem sie glücklich sind.
Ich hoffe, Gott ist jemand, der sieht. Jemand, der zuhört. Jemand, der versteht. Jemand, der liebt. Jemand, der den Titel Vater verdient hat.
Gott ist Hoffnung. Und hoffentlich mehr als ein Traum.
Macht mich das zu einem schlechten Menschen? Keine Ahnung. Aber immerhin zu einem Menschen.

In seiner Bergpredigt sagte Jesus: „Ihr seid das Licht der Welt."
(Mt 5,14-16)

Wir sind das Licht der Welt?
Wir sind kalt obwohl wir strahlen.
Unsere Schatten tanzen im Schein.
Auf unser Ich-Phone starrend müssen wir kein Du sehen.
Wir lieben Dinge und benutzen Menschen.
Hinterlassen Abdrücke auf dem Mond, aber nicht im Herzen.
Und das mit der Bewahrung der Schöpfung haben wir ja auch ganz toll hingekriegt.

Ich soll der Welt ein Licht sein? Ich?! Hast du dir das gut überlegt?
Meistens blendet mich das Licht am Ende des Tunnels ja schon viel zu sehr.
Und vielleicht bin ich für Wunder blind geworden.
Vielleicht haben wir schon zu viel erlebt, um an Wunder zu glauben.
Und selbst wenn es sowas gäbe, käme es doch sicher nicht zu dem, der nicht glaubt.
Manchmal da habe ich Zweifel.
Dann zweifle ich an allem, aber vor allem an mir selbst.
Bei so manch anderen sieht das alles so einfach aus.
Ihr Glaube ein omnipräsenter Zustand.
Glaubensfest, standfest in ihrem Standpunkt.
Aber der Glaubenshorizont ist kein Kreis mit dem Radius Null, den man dann
seinen Standpunkt nennen kann. Oder?

Ich habe so viele Menschen gesehen, deren Licht schien so hell und doch verglühten sie nicht. Sie vermochten meine kleine Welt für einen kurzen Augenblick ein wenig heller zu machen, wie ferne Sterne, bevor sie weiterzogen um einen anderen Himmel zu erleuchten.
Während ich noch immer hier vorn stehe und lautstark Selbstgespräche führe.

Hattet ihr als Kind auch Träume von der Zukunft,
habt euch vorgestellt wie es wohl sein wird,
hattet eure Vorbilder und Idole?

Ich muss gestehen, ich hab's nie verstanden.
Ich war nie ein Kind mit Postern an den Wänden.
Weder Eminem noch Harry Houdini prangten auf meiner Tapete.
Weder Linkin Park noch Albert Einstein zierten mein Zimmer.

Von außergewöhnlichem Talent, wissenschaftlicher Leistung und vor allem von der Musik war ich zwar stets angetan, aber... ich kenne diese Leute ja nicht. Ganz nach dem Motto: Ehre das Gesprochene, nicht den, der spricht.

Aber kenne ich denn Jesus? Kenne ich Gott?
Ich denke, es geht gar nicht um das Kennen oder um das Wissen, sondern um das Glauben.
Was wohl Gottes Traum ist?
Und ist Jesus, der der es umsetzen wollte? Hat er es geschafft?
Können wir uns an ihm ein Beispiel nehmen?

Jesus sagte: »Ihr seid das Licht der Welt.«
Wenn das so ist, wieso ist es dann hier nicht so hell?

»Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« (Mk 12,31)

»Alles, was ihr nun wünscht, dass euch die Menschen tun, das erweist auch ihnen.« (Mt 7,12)

»Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.« (Mt 5,9)

Das bedeutet aber auch
nicht die Augen zu verschließen vor Unrecht,
im Angesicht von Widrigkeiten nicht aufzugeben,
nicht der Meinung der Masse zu folgen, nur weil das leichter ist.
Und mit dem Träumen nicht aufzuhören.

Aber sein wir mal ehrlich: Was kann ich schon ausrichten?
Ich werde wahrscheinlich nie eine Rockband gründen und damit Millionen erreichen,
und nie einen Song schreiben wie John Lennons „Imagine".
Ich werde wahrscheinlich nie so etwas Bedeutsames wie die Relativitätstheorie entdecken,
und nie Worte finden wie Martin Luther King.
Ich bin nur ein Gesicht unter vielen, eines von 7⅟₂ Milliarden.
Ich bin nur ein Regentropfen in einem Ozean, ein Reiskorn auf einem weiten Feld, ein Funke in der Unendlichkeit.

Es wird immer jemanden geben, der klüger ist. Jemanden, der schöner ist. Jemanden, der besser ist. Es wird immer jemanden geben, der etwas härter arbeitet. Jemanden, der keine Angst hat weiter zu gehen. Jemanden, der mehr glaubt. Jemanden, der ein bisschen weniger kaputt ist.
Aber trotz allem, trotz dessen was wir getan haben oder nicht getan haben, was wir sind oder nicht sind, trotz allem sieht Gott in uns ein Licht. Oder vielleicht gerade deswegen. Wir sind mehr als nur ein Zufall, wir sind gewollt. Für Gott sind wir gut gemacht, gut genug, niemals zu klein, niemals unbedeutend.

Denn nur ein Tropfen bringt das Fass zum Überlaufen.
Nur ein Reiskorn lässt die Waage kippen.
Nur ein Funke entzündet ein Feuer.

Und so sollten wir aufhören auf ein Wunder zu hoffen
und endlich selbst eines sein.

Ich war nie ein Kind mit Postern an den Wänden.
Doch wir, wir sind die Kinder mit dem Kreuz an der Wand.


Musik dazu:
We Are – Kari Jobe
This little light of mine
In the light – DC Talk
Licht in uns – Benne
Just Imagine It – MKTO
Dreamer – Martin Garrix, Mike Yung
Dreamer – Sunrise Avenue
Change the World – D-A-L


(Die Shortversion dieses Textes ist das Kapitel "Aufschauen")

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