Kapitel 10

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Freitag 22.11.2019

Ganz früh am Morgen stehe ich auf. Ich höre sein Schnarchen bis ins Schlafzimmer. Schnell ziehe ich mich an und schnappe mir meine letzten Sachen, Schuhe und letzten Bücher, die ich in meinem Reiserucksack verstaue und schleppe alles auf einmal nach draußen. Nun ist mein gesamter Besitz aus dieser Wohnung raus. Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich tue das hier gerade wirklich.

Ich packe alles mit zittrigen Fingern zusammen und schaffe es ebenfalls in den Keller.

Nach einer halben Stunde komme ich im Büro an und erzähle Dan, dass ich alles im Keller gelagert habe. Er ist immer noch sehr stolz auf mich berichtete er mir sofort.

,,Ich wurde vorhin gefragt ob ich bei deinem Umzug behilflich sein könnte. Warum ziehst du plötzlich um?'' fragt mich Luis und schielt hinter seinem Monitor hervor. ,,Du musst nicht helfen.'' sage ich ihm sofort, doch er erklärte sich sofort dazu bereit.

,,Du wirst ein neues Leben anfangen, habe ich recht?'' fragt er aus heiterem Himmel und fast 30 Minuten später. Ich nicke zögerlich und kaue auf meiner Unterlippe herum. Soll ich ihm davon erzählen?

,,Ich finde das sehr gut. Du siehst viel entspannter aus. Seit ein paar Tagen schon, wenn ich das anmerken darf.'' fügt er lächelnd hinzu. Er legt seinen Kopf schief und funkelt mich durch seine schwarzen Augen an. Sein Pony liegt ihm heute über der Stirn und bedecken seine Brauen komplett. Beinahe erreichen sie seine Augen. Beinahe.

Gestern hatte er seinen Pony, wie so oft seitlich nach oben gekämmt. Das lässt ihn älter wirken.

Doch heute sieht er aus als wäre er 16 Jahre alt und frisch aus der High-School gekommen. Ich nicke ihm leicht zu was er mit einem frechen Zwinkern beantwortet.

,,Wie alt bist du eigentlich?'' frage ich wie aus heiterem Himmel frech heraus. Er lacht kurz auf und schielt mich durch seine schmalen Augen aus an. ,,Interessiert dich das?'' fragt er neugierig. Ich nicke ernst mit meinem Kopf. ,,26.'' antwortet er knapp. Er sucht mein Gesicht nach einer Reaktion ab. Doch nicke nur wissend und verstecke mich wieder hinter meinem Bildschirm.

,,Und du?'' fragt er und steht auf. Er kommt zu mir geschlendert und lehnt sich an meinen Schreibtisch. Keinen Meter von mir entfernt. Ich versuche etwas weg zu rutschen mit meinem Drehstuhl, doch komme nicht weit. ,,24.'' antworte ich eben so knapp.

Er hebt seine eine Augenbraue an und lehnt sich zu mir runter. ,,Süß.'' sagt er leise und seine Hand kommt meinem Gesicht immer näher. Wie erstarrt schaue ich auf sie und höre auf mit atmen. Seine dünnen Finger gleiten vorsichtig über meine Wange. Sie sind wärm und weich. Ich will mich am liebsten an sie schmiegen. Doch das geht nicht. Ich darf nicht schwach werden. Nicht jetzt wo ich all meine Stärke noch brauche.

,,Du bist so süß Ally.'' wiederholt er. Nun ist er näher an meinem Gesicht und ich kann seinen Duft wahrnehmen. Minze und Apfel. Ich könnte mich nie daran satt riechen. Wieso kann er nicht stinken? Das würde hier einiges einfacher machen.

Er steht zu mir hinab gebeugt und lächelt mich leicht an, während wir uns wie in Trance Minutenlang in die Augen schauen. Schwarz trifft auf stahlblau. Ich kann sehen, dass er sich jede Einzelheit meines Gesichtes genau einprägt. So wie ich es bei ihm tue.

Ally! Aufwachen Ally! Versuche ich mich wieder zurück in die reale Welt zu holen. Ich räuspere kurz auf, in der Hoffnung, dass er sich dadurch wieder etwas von mir entfernt.

Er streift mir eine meiner braunen Strähnen hinter mein Ohr und erhebt sich wieder langsam.

,,Ich helfe dir später gern. Ich bringe auch Wein mit, um auf Ihren Neuanfang anzustoßen.'' erzählt er mir leise während er das Büro verlässt und mich mit meinen überforderten Gefühlen zurücklässt.

Was war das gerade eben? Schnell lege ich mir meine Hand aufs Herz. Puh, es schlägt noch. Ich hatte Angst, es hätte nach dem ganzen hier, aufgehört zu schlagen.

Ich brauche ganz dringend etwas, womit ich mich ablenken kann. Arbeit! Schnell nehme ich mir wieder das Buch vor und suche weiter nach einem passenden Covermotiv für den Einband.

Am späten Nachmittag kommt Dan in unser Büro, um uns abzuholen. Wir steigen in seinen Van und fahren zu meinem alten Apartment. ,,Hier hast du also gewohnt?'' fragt Luis. Ich nicke nur und eile nach draußen, um die Tür aufzuschließen. ,,Es ist alles im Keller. So muss keiner nach oben.'' erkläre ich und führe die beiden in den Keller. Beide packen zügig meine weinigen Sachen an und befördern sie ordentlich gestapelt in den Van.

,,Lass das, das ist zu schwer Ally.'' ruft Luis hinter mir, als ich den Korb mit meinen Büchern hochtragen wollte. ,,Ich habe das alles nach hier unten geschafft.'' kommentiere ich und versuche so beeindruckend wie nur möglich den Korb nach oben zu hieven. Doch Luis lacht mich süß an und nimmt mir den Korb aus der Hand, um ihn selbst zum Van zu tragen.

Als alles in der neuen Wohnung steht verabschiedet sich Dan nach einem Anruf von seiner Frau. ,,Ich helfe dir noch beim Einräumen wenn du magst.'' schlägt Luis vor doch ich lehne ihm dankend ab.

,,Dann stoßen wir wenigstens noch darauf an.'' ruft er erfreut und hält die angekündigte Weinflasche hoch. Ich nicke lachend und hole 2 Gläser aus einem Karton. Grinsend schenkt er uns ein und wir stoßen zusammen an.

,,Es ist eine schöne Wohnung.'' kommentiert er und sieht sich kurz um. ,,Frieren im Sommer.'' liest er vor. Er hält mein Lieblingsbuch in der Hand und lächelt breit.

,,Ja, kennst du das Buch?'' frage ich und nehme einen Schluck vom Wein. Er schmeckt lieblich wie ich ihn gernhabe.

,,Kann man so sagen.'' kommentiert er schwach lächelnd und legt es direkt in das Regal was hinter ihm schon aufgebaut steht. ,,Was meinst du damit?'' frage ich und gehe etwas weiter auf ihn zu. ,,Naja.'' meint er nur und deutet auf den Autor des Buches. L.M.Smith. Beinahe lasse ich mein Glas fallen. Das kann nicht wahr sein. ,,Du hast das geschrieben?'' fragte ich laut heraus. Er nickt nur und grinst mich wieder an. Ich setze mich auf das Sofa und deute ihm, sich neben mich zu setzen. Schnell und elegant kommt er auf mich zu und setzt sich direkt zu mir. Unsere Schultern und Knie berühren sich leicht.

Ich erzähle ihm die Geschichte von meinem Bewerbungsgespräch. Und er erzählt mir die Geschichte zu dem Buch aus seiner Sicht. Lange reden wir über vieles. Belangloses und vergangenes. Bis es irgendwann später wurde.

,,Wenn du magst, können wir noch was Essen gehen?'' fragt er und zieht sich seine Jacke an. Gerne bejahe ich seine Idee. ,,Ich sterbe vor Hunger!'' rufe ich aus und folge ihm aus meiner neuen Wohnung. ,,Das wollen wir natürlich nicht.'' sagt er und lacht laut.

Wir fahren zu einem asiatischen Restaurant. ,,Du ernährst dich fast nur davon oder?'' frage ich, steige aber schnell aus dem Auto aus. Er folgt mir zügig und wir setzen uns an einen Tisch. ,,Ally, mein Kind!'' ruft eine weibliche Stimme. Ich drehe mich um und sehe Ahni auf mich zulaufen. Schnell stehe ich auf und umarme sie fest. ,,Hallo.'' begrüße ich sie. ,,Jong-sik, komm schnell sie ist hier.'' ruft sie nach hinten in die Küche. Es dauert auch keine Sekunde schon kommt ein gräulicher asiatischer kleiner Mann auf mich zu und zieht mich ebenfalls in eine Umarmung.

,,Ally ist am verhungern Mom, könnten wir erstmal essen?'' fragt Luis hinter uns. Schnell rennen beide wieder in die Küche, um uns etwas zu essen zu bringen. ,,Dankeschön.'' bedanke ich mich und beginne das Essen fast schon runter zu schlingen. ,,Bitte stirb nicht dabei.'' lacht Luis und nimmt einen Schluck von seinem Wasser.

Nach dem Essen gehen wir zu Luis. Er hat mir angeboten das ich bei ihm übernachten darf bis mein Bett aufgebaut ist. Und da es nun zu spät ist, um das noch zu machen, habe ich den Vorschlag gerne angenommen. Es ist ja schließlich nicht das erste Mal.


reading menWo Geschichten leben. Entdecke jetzt