4.Kapitel

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Am nächsten Morgen wurde ich durch Vogelgesang geweckt.

Vogelgesang!!!

Da saß tatsächlich ein kleiner rot-brauner Vogel vor meinem leicht geöffneten Fenster auf dem Gitter des schmalen Balkons und zwitscherte fröhlich vor sich. Ich beobachtete ihn ein paar Minuten bis er zu den Bäumen auf dem Platz flog.

Zuerst die unglaublich vielen Sterne gestern abend und jetzt dieser kleine Vogel!

Bei mir zu Hause war das einzige was ich nachts gesehen hatte, die erleuchteten Fenster der gläsernen Hochhäuser und morgens hörte ich die Autos und die Menschen auf den Straßen.

Ich zog mich an und beschloss, gegen den Wunsch meiner Mutter, auf den Platz zu gehen und ein Café zu suchen, wo ich frühstücken konnte.

Als ich am Empfang vorbei kam, stand da noch der höfliche Rezeptionist/coole Surfer von gestern. Er nickte mir freundlich zu und ich lächelte zurück.

Der Tag fing doch schon mal sehr gut an.

Um den Platz herum gab es zwei Cafés, ich ging einfach in das erste hinein. Alles war in warmen Brauntönen gehalten. Es gab etwa zehn kleine Tische und an der Wand kleine Sessel wo einige Leute saßen und nur Zeitung lasen oder sich leise unterhielten.

Die Atmosphäre war überwältigend! Alles wirkte so entspannt und ruhig. Selbst die Kellner, die schnellen Schrittes zwischen den Tischen und Gästen herumliefen wirkten nicht gehetzt oder gestresst.

Ich setzte mich an einen freien Tisch und bestellte das Frühstück nach Haus und einen Kaffe.

Während ich auf mein Essen und den Kaffe wartete, beobachtete ich die Leute. Die meisten waren sehr jung. Etwa in meinem Alter oder bisschen älter. Ich entdeckte sogar den gruseligen Typen von der Fähre.

Erschrocken rutschte ich ein bisschen zur Seite, so dass ich mit dem Rücken zu ihm saß. Fehlte noch dass der mich wieder ansprach!

Mein Frühstück und der Kaffe kam. Ich bedankte mich höflich und begutachtete den Teller. Es gab Rührei, Speck, Gurken und Tomaten, ein Ei, rote Weintrauben, zwei kleine Brötchen, Marmelade, Käse und eine kleine Schüssel mit Frühstücksflocken und Yoghurt. Es sah unglaublich lecker aus!

Ich ließ mir Zeit mit dem Essen und so war ich bestimmt eine Dreiviertelstunde in dem kleine Café.

Viele Leute holten sich hier auch nur einen Kaffe oder setzten sich für ein paar Minuten in die Sessel und überflogen die Zeitung. Ich spürte schwer mein Handy in der Tasche und je länger ich in dem Café saß, desto schwerer schien es zu werden.

Als ich aufgegessen hatte holte ich es heraus. Keine Nachrichten. Wieso machte mich mein Handy dann so nervös? Weil es mich an meine Mutter erinnert? Das ich jetzt eigentlich in meinem Hotelzimmer hocken sollte?

Verdammt! Ich musste mit der Kreditkarte bezahlen! Bedeutete: Meine Mutter wusste sofort dass ich nicht in meinem Zimmer brav saß und wartete.

Nachdenklich kaute ich auf meiner Lippe, bis ein Schatten auf mich fiel.

"Hey! Du bist doch Sammy oder?" Zac! Der gruselige Typ! Scheiße, wieso musste er mir diesen schönen Morgen versauen?!

"Samantha." verbesserte ich ihn tonlos. Der Typ grinste und setzte sich mir gegenüber. Hallo?? Ich trank eilig meinen Kaffe aus.

"Ich bin Zac. Du erinnerst dich doch noch an mich, oder? Der Kerl von der Fähre." Ich nickte knapp.

"Ja, kann mich dran erinnern."

"Cool. Hey, heute Abend ist am Hafen 'ne kleine Party. Ich hab mir gedacht, wo du doch neu hier bist, hättest du vielleicht Bock 'paar neue Leute kennen zu lernen."

"Ja ich denk drüber nach."

"Cool." Ich hasste dieses Wort jetzt schon!

"Tja, war nett dich zu sehen. Ich muss jetzt leider los." Ich stand auf und zog meine Jacke an. Zac stand auch auf.

"Schade." er grinste frech und drehte sich dann wieder zu seinen Freunden um. Ich winkte hastig einen Kellner heran und bezahlte. Sollte meine Mutter doch sehen dass ich mich nicht an ihre Regeln hielt.

Was könnte sie denn machen? Mich anrufen und anschreien? Ja, das würde vermutlich in den nächsten Minuten passieren.

Ich verließ das Café und spazierte eine kleine Gasse runter und fand mich am Hafen wieder. Der Morgennebel hatte sich bereits verflüchtigt und ich konnte die kleinen Fischerboote auf dem Wasser ausmachen.

Nachdenklich setzte ich mich auf eine Bank ans Wasser und beobachtete eine kleine Familie auf der anderen Seite des Hafens. Dort gab es einen kleinen Strand. Die Mutter saß auf der Kaimauer und machte Fotos von den zwei kleinen Kindern und dem Vater die zusammen am Strand spielten.

Immer wenn der Vater eines der kleinen Kinder schnappte und in die Luft warf kreischten die Kleinen glücklich auf.

Traurig blickte ich wieder auf das Wasser.

Ich hatte doch keine Ahnung was es hieß eine Familie zu haben. Ich hatte nicht einmal eine. Klar hatte ich einen Vater und eine Mutter und so, aber so richtig Familienmäßig war es bei uns nie.

Meine Etern arbeiteten von morgens bis abens und auch am Wochenende. Bis ich zwölf war, hatte ich eine Art Nanny. Sie war die einzige Familie für mich.

Und dann mit dreizehn sollte ich selber sehen wie zurecht kam. Aber dabei natürlich die perfekte Tochter sein. Gute Noten in der Schule, angesehende Freunde, keinen Stress mit der Polizei oder sonst wem und allen erzählen was für supermegageile Eltern ich doch hatte.

Mein Handy klingelte.

"Wieso isst du in einem Café? Hab ich vielleicht genuschelt als ich gesagt habt, dass du in dem verdamten Hotel bleiben sollst, dir was auf's Zimmer bestellen und ruhig sein sollst? Oder klang das vielleicht wie eine Bitte für dich?" sie war stinksauer.

"Hey Mum." sagte ich und fing wieder an auf meiner Lippe zu kauen. Mist, ich musste mir das echt mal abgewöhnen.

"Sag mal, verstehst du nicht was auf dem Spiel steht? Oh nein, warte! Damit du mich nicht wieder falsch verstehst: Das ist kein Spiel! Okay? Wenn dich jemand erkennt, dann muss ich mir etwas anderes einfallen lassen."

"Ja, stimmt. Sorry, dann musst du dich ja mit mir beschäftigten." Sagte ich ironisch und trat wütend mit dem Fuß gegen die Bank.

"Werd nicht so frech, Fräulein! Ich kann dich auch sonst wo hin schicken."

"Das hast du doch schon!"

"Diese Insel ist deine einzige Chance!"

"Ach komm schon! Das ist deine Chance. Ich hatte nie eine. Du hast doch nur Angst dass ich mich verplappere und deinen kleinen Plan versaue."

"Du hast schon genug angestellt! Du kannst von Glück reden dass du nur auf einer kleinen Insel gelandet bist und nicht in einem Gefängnis!"

"Ach jaaa. Meine Mutter und ihre dicke Kreditkarte. Das löst doch jedes Problem in Luft auf."

"Okay." ich hörte wie sie tief Luft holte. Ausatmete. Einatmete. Ausatmete. "Na schön. Vergessen wir das, ja." Rhetorische Frage. "Du hattest einen kleinen Spaziergang nach draußen. Das ist doch gut. Sehr schön." Jetzt die Nummer mit dem Schönreden. "Und jetzt gehst du zurück ins Hotel. Nimmst ein schönes Bad. Entspannst dich ein bisschen und dann morgen holt dich meine Freundin ab." Perfekter Plan.

"Klar, Mum."

"Sehr schön. Wenn etwas passiert ruf mich an!" Aufgelegt.

Ich stopfte das Handy zurück in meine Tasche und blieb sitzen. Auf ein schönes Bad hatte ich gerade nicht so Lust.

GejagtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt