Morgens, im Bauwagen ...

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John schlug die Augen auf, weil seine Zähne aufeinander klapperten und zerrte an seiner Bettdecke, aber irgendwie war das verdammte Ding an allen Enden zu kurz. Er hob den Kopf, blinzelte in seinen eiskalten, dämmrigen Bauwagen und ließ den Kopf wieder ins Kissen fallen.

Er war zum Weichei geworden. Seine Zehen waren Eiszapfen und seine Nasenspitze fühlte sich an wie bei einem gesunden Hund. Kalt und nass. Bei einem Maler war das aber kein gutes Zeichen.

Im letzten Winter hatte er es geliebt, morgens im kalten Bauwagen aufzuwachen und als erste Amtshandlung des Tages den Ofen anzumachen und einen schön heißen Kaffee zu kochen. Aber jetzt fragte er sich, wie er auf die bescheuerte Idee gekommen war, die Nacht vor Weihnachten in seinem Bauwagen zu verbringen. Aus nostalgischen Gründen.

John schnaubte verächtlich, zog die Nase hoch und grinste, weil ihm wieder einfiel, wieso er es im letzten Winter so geliebt hatte, morgens aufzustehen. Denn sein erster Blick hatte immer den Fenstern gegenüber seines Bauwagens gegolten. Anna hatte immer schon putzmunter in ihrem hell erleuchteten Zimmer am Schreibtisch gesessen und diszipliniert am Laptop gearbeitet.

Plötzlich war er hellwach. Wieso fror er sich hier eigentlich einsam seine besten Teile ab, wenn er doch ins Haus schleichen und zur Elfe unter die warme Decke schlüpfen konnte? John seufzte sehnsüchtig, schwang die Füße auf den Boden und führte dann jammernd einen Tanz auf, weil der Boden so kalt war. Beim Versuch, blitzschnell in seine Hose zu steigen, fiel er wieder aufs Bett und blieb dann fasziniert liegen. Vor seiner Nase, auf dem Nachttisch, stand die offene Packung mit Spekulatius. John kicherte wie ein Bankräuber, der auf der Flucht die Polizei ausgetrickst hat, dann schob er sich einen Keks in den Mund.

Die Frauen in der WG hatten ein striktes Fertig-Keks-Verbot verhängt. Wer mit Supermarktgebäck erwischt wurde, konnte sofort ohne Verhandlung erschossen werden. Notfalls auch mit den eigenen Marzipankartoffeln und einer Zwille. John knusperte breit grinsend Krümel in sein Bett. Unter den Männern der Flying Kluntje WG blühte der Schwarzhandel mit Lebkuchen und Dominosteinen.

Der Maler räkelte sich, zog sich die Decke wieder über den Bauch und griff nach seinem Handy, um eine Nachricht zu lesen. »Alter, ich steh im Stau und schneie ein. Die Vorräte werden knapp. Sag Annika, dass ich sie bis zur letzten Sekunde geliebt habe.«

John lachte leise. Annas anderer Mann war also schon auf dem Weg, um wieder Drama, Liebe und Wahnsinn nach Ostfriesland zu bringen. Allzu besinnlich würde Weihnachten also nicht werden. Nicht mit einem zwei Meter großen Wikinger im Haus. John dachte kurz über die Bettenverteilung nach, dann grinste er wieder breit.

Wie er Sven und Anna kannte, würde Anna wieder in die Bettritze müssen, einen Mann links, einen rechts, damit es keine Eifersüchteleien gäbe. Sie würden wieder die ganze Nacht kichern wie Hanni und Nanni bei einer Pyjamaparty, sich ihre schauderhaftesten Geheimnisse erzählen und sich abwechselnd küssen. Aber noch war Sven nicht da.

John holte Schwung, dann sprang er wieder aus dem Bett, wischte sich die Krümel vom Shirt und stülpte seinen dicksten irischen Wollpullover über. Ein bisschen gesunder Wettbewerb war ja nicht verboten. Also stieg er in seine Boots, klopfte seine Taschen nach dem Hausschlüssel ab und sprang mit einem Satz aus seinem Bauwagen. Er blieb für einen Moment auf der mit kleinen Eiskristallen bedeckten Wiese stehen und atmete tief die eiskalte Luft ein.

Ostfriesland roch wieder unverschämt gut. Trotz der Kälte war die Luft süß, aber der Wind trug einen feinen Hauch von Salz ins Land. Die Nacht war sternenklar und eiskalt gewesen, aber jetzt zog es sich so zu, dass die Dämmerung sich verspätete, als wäre sie noch einmal eingeschlafen. John schnupperte wieder an der Luft wie ein neugieriges Tier. Da lag noch etwas anderes in der Luft. Und zwar Schnee.

Drei Pfeffernüsse für SemmelbröselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt