Geheimnisse

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Nach dem Unterricht ging ich schweigend neben Emma aus dem Kursraum. Sie aber redete ununterbrochen: "...es kann dir ja egal sein, was deine Eltern denken. Ich finde, du solltest mit ihm ausgehen. Er scheint wirklich an dir interessiert zu sein."

Ich zuckte nur mit den Schultern, tief in Gedanken versunken.

"Und du musst doch zugeben, dass er richtig heiß ist", fuhr meine Freundin fort. "Schau dir doch nur diese Muskeln an - boah."

Ich musste schmunzeln, was sie natürlich bemerkte. "Wusste ich es doch, dass du das auch so siehst."

"Ja, er sieht schon gut aus", gab ich zu. "Aber das ist ja auch der Punkt. Er sieht zu gut aus. Als ob er auf mich stehen würde."

"Cleo, Cleo, Cleo", tadelte Emma. "Du hast ein bisschen Glück verdient. Gib ihm doch eine Chance."

"Ich weiß nicht. Ich will nicht wieder verletzt werden." Vor einem Jahr hatte ich einen Jungen kennengelernt. Er sah richtig gut aus, wir haben uns geschrieben und ein paar Mal getroffen. Wir waren nie zusammen gewesen, aber als ich ihn mit einer anderen gesehen hatte, hatte mich das schon sehr verletzt. Ich hatte mich damals zu sehr in die Sache reingeritten, hatte wirklich geglaubt, dass er mich auch mochte, aber das war nicht der Fall gewesen. Ohne nochmal mit ihm zu reden, hatte ich den Kontakt abgebrochen. Dieses Erlebnis hatte mich echt geprägt. Und ich glaubte, dass es mit Jax genauso laufen würde.

Bevor Emma noch etwas sagen konnte, tauchte plötzlich jemand neben mir auf.

"Hey, ich wollte dich noch was fragen, Cleo", teilte mir Jax mit. Ich blickte in seine grünen Augen und antwortete schnell, bevor mein Gehirn ausschaltete. "Frag!"

"Krieg ich deine Nummer?" Mit einer kurzen Kopfbewegung sorgte er dafür, dass seine Haare ihm aus dem Gesicht flogen und ich um den Verstand gebracht wurde. Gott, sah das heiß aus!

Ohne darüber nachzudenken, sagte ich ja und diktierte sie ihm.

Nachdem er sie in seinem Handy gespeichert hatte, lächelte er mir nochmal schief zu und lief dann davon. Ich konnte nicht anders und starrte ihm hinterher.

Emma stieß mir grinsend in die Rippen und sagte belustigt: "Hör auf zu starren."

Ich warf ihr einen bösen Blick zu, bevor ich zum Parkplatz lief, wo meine Mutter schon auf mich wartete.

"Hi, Mom", grüßte ich, nachdem ich mich auf den Beifahrersitz gesetzt hatte.

"Na, wie war der erste Schultag nach den Ferien?", fragte sie und ich dachte unverzüglich an Jax. Von ihm konnte ich ihr allerdings auf keinen Fall erzählen. Sie würde mir nur verbieten, mit ihm zu reden. Wahrscheinlich würde sie sofort den Direktor anrufen und ihn bitten, Jax entweder an eine andere Schule zu versetzen oder irgendwie - und ich hatte keine Ahnung wie das funktionieren sollte - von mir fernzuhalten. Am Ende würden sie uns zwei Elektrohalsbänder geben, die verhindern, dass wir uns zu sehr näherten. Bei diesem Gedanken musste ich laut über mich selbst lachen.

Meine Mutter sah mich verwirrt von der Seite an. "Ist alles okay?"

"Jaja, ich hatte nur an was Lustiges gedacht, was heute in der Schule passiert ist." Gute Ausrede, lobte ich mich in Gedanken.

"...An etwas Lustiges... das heute passiert ist", korrigierte sie mich und ich stöhnte genervt auf. Als ob das von Bedeutung war. Sie musste immer besserwisserisch alles verbessern, was ich falsch sagte. Vor allem war es doch nicht einmal grammatikalisch falsch. Nur mein Ausdruck störte sie.

Die restliche Fahrt über herrschte eine aufgeladene Stimmung zwischen uns. Das kam nicht selten vor, wir kriegten uns öfter in die Haare. Manchmal glaubte ich, adoptiert worden zu sein, weil ich mich so sehr von meinen Eltern unterschied.

Es dauerte nicht lange, da waren wir vor unserer - beziehungsweise Moms und Dads - bezaubernder Villa angekommen (Ironie!). Sie lag außerhalb der Stadt auf einer kleinen Anhöhe, die glaub ich sogar extra für uns - beziehungsweise meine Großeltern - angerichtet worden war. Mein Großvater hatte eine der reichsten Firmen Deutschlands gegründet und schon nach kurzer Zeit ein Vermögen angehäuft. Es geht um irgendwas mit Technologie. Ich glaube, sie entwickelten Programme oder verkauften elektronische Geräte. Ehrlich gesagt interessierte mich das auch nicht wirklich. Mein Vater hatte die Firma dann übernommen, nachdem mein Großvater vor kurzem gestorben war. Meine Trauer darüber hatte sich in Grenzen gehalten. Er war ein arrogantes Arschloch gewesen - ich konnte nicht verstehen, warum meine Oma, der liebste und tollste Mensch der Welt, ihn geheiratet hatte. Liebe war schon komisch.

Ich hatte mich in der Villa, die mein Großvater gebaut hatte, nie so wohl gefühlt. Sie war mir zu groß und mein Zimmer auch, weshalb ich mir schon vor einiger Zeit einen Rückzugsort in einem kleinen Raum nebenan aufgebaut hatte. Meine Eltern nannten es meinen Freizeitraum, für mich war es mein eigentliches Zimmer. Darin befanden sich ausschließlich ein Schreibtisch mit Stuhl und ein Stapel aus Sitzsäcken, Kissen, Decken und Polstern, die ich an verschiedenen Orten der Villa zusammengesucht hatte. Mein kleines Bett, wie ich den Haufen liebevoll nannte, weil ich schon oft dort geschlafen hatte, lag am Fenster mit Blick auf die Einfahrt, sodass ich immer bemerkte, wenn meine Eltern Besuch von einem ihrer reichen Fake-Freunde bekamen. Ich konnte diese Schnösel nicht leiden.

Kaum waren meine Mutter und ich angekommen, war ich mit meinem Rucksack in mein kleines Zimmer gegangen und hatte mich seufzend in mein kleines Bett fallen gelassen. Wie jeder Teenager, wenn er nach Hause kam, holte ich mein Handy heraus und schaute, ob ich neue Nachrichten hatte. Erstaunlicherweise ja - und zwar von Jax. Mein Herz schlug augenblicklich schneller gegen meine Brust.

Jax: Hi ;)

Cleo: Hi

Ich wollte gerade mein Handy wieder weglegen, weil ich nicht erwartet hatte, dass er sofort antworten würde, aber er tat es.

Jax: Wie geht's dir?

Sollte das jetzt so ein langweiliges Standard-Whatsapp-Gespräch werden? Von sowas hielt ich absolut nichts, trotzdem schrieb ich brav zurück, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach.

Cleo: Ganz gut. Dir?

Ich war immer noch etwas aufgewühlt wegen dem kleinen Wortwechsel im Auto. Immer wollte meine Mutter, dass alles perfekt ist - Sitz gerade! Sprich normal! Zieh was Gescheites an! Die meisten - eigentlich alle - Klamotten, die ich trug, hatte ich mir selbst gekauft, weil meine Mutter so einen schlechten Geschmack hatte und mir immer Blümchenkleider oder sowas in der Art unter die Nase hielt. Würg!

Jax: Geht.

Jetzt kommt noch gleich die Frage: was machst du gerade?

Jax: Was machst du gerade?

Sag ich doch; und musste über mich selbst schmunzeln.

Cleo: Mit dir schreiben. xD

Jax: Sehr witzig. -.-

Cleo: Ich weiß.

Damit war das Gespräch für mich beendet... Für ihn allerdings nicht.

Jax: Würdest du mit mir morgen in der Mittagspause was machen?

Ich stöhnte, doch gleichzeitig erhöhte sich auch mein Puls.

Jax: Deine Eltern würden es ja nicht mitkriegen.

Cleo: Ich weiß nicht

Zugegebenermaßen würde ich schon wollen - rein aus Neugier und um ihm eine Chance zu geben. Jeder hatte eine verdient und er schien sich wirklich zu bemühen, mit mir auszugehen. Aber dann schoben sich die negativen Aspekte in meinen Kopf und die überwogen. Erst einmal die Angst, verletzt, wenn nicht verarscht, zu werden und dann die Tatsache, dass meine Eltern mich rausschmeißen würden, wenn sie erfuhren, ich hätte eine Beziehung mit einem tätowierten Kerl mit unmöglicher Frisur und Kleidungsgeschmack.

Jax: Komm schon! Ich geb dir auch eine Pizza aus ;)

Ich musste schmunzeln. Gegen Pizza zu Mittag hatte ich nichts einzuwenden

Cleo: Ich hab morgen früher aus. Donnerstag?

Jax: okay. Freu mich ;)

Ohne noch etwas zurückzuschreiben legte ich mein Handy weg und atmete zittrig aus. Jetzt hatte ich also doch ein Date mit Jax King.

Er macht mich wahnsinnig!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt