Die Höhle des Löwen

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Wir befanden uns mitten in der Stadt in einer normalen Wohngegend, nichts deutete daraufhin, dass eine dieser Wohnungen vollgestopft mit Huren war. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, Jax hätte mich angelogen. Aber der Schmerz und Abschaum in seinen Augen, als er an einem der hohen Häuser hochsah, deutete auf etwas anderes hin. Um uns herum war ein reges Treiben, aber niemand beachtete uns. Wenn ich mit meinen Eltern unterwegs war, war genau das Gegenteil der Fall. Unsere Familie war bekannt – in guter und schlechter Sicht. Die Menschen tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Wenn ich mich anstrengte, konnte ich sie verstehen - meistens waren die Kommentare alles andere als nett. Oft nannten sie mich ein verzogenes Mädchen. Aus Sicht meiner Eltern war ich das wahrscheinlich auch, aber da waren sie selbst dran schuld.

Jax neben mir holte einmal tief Luft. "Letzte Chance, zu fliehen." Er sah schief lächelnd zu mir rüber und ich blickte stumm zurück. Meine Entscheidung stand fest! Im Moment war nämlich alles besser als in die Villa zurückzukehren und mich meinen Eltern zu stellen. Ich wusste, dass ich das früher oder später tun musste, aber jetzt noch nicht.

Weil ich nicht antwortete, schloss Jax daraus, dass ich meine Meinung nicht geändert hatte. "Na gut." Er seufzte. "Dann geht es jetzt in die Höhle des Löwen." Wie schlimm konnte es schon werden?

Ziemlich schlimm! Die Wohnung war zwar modern eingerichtet, es war ordentlich und sauber, aber die Menschen, die sich darin aufhielten, machten alles Gute wieder wett. Kaum hatte Jax die Tür geöffnet, blickte ich direkt auf einen nackten Arsch. Also die Frau, zu dem er gehörte, hatte schon Klamotten an, aber, die waren so kurz und transparent, dass man mit Leichtigkeit alles erkennen konnte. Sie war nicht die einzige Frau in dem großen Wohnzimmer. Ein Dutzend von ihnen tummelten sich hier. Mir vielen fast die Augen aus dem Kopf. Alle waren ähnlich gekleidet und schienen sich an sich auch nicht groß voneinander zu unterscheiden. Die meisten hatten blonde Haare - lang oder kurz -, aber eine Brünette stach aus der Menge hinaus. Diese war es auch, die auf dem Schoß eines Mannes saß und... - ihr wisst schon - ihn befummelte. Es war widerwärtig! Der Mann saß auf einem Sofa, mit dem Rücken zu uns und schien uns nicht bemerkt zu haben. Einige Blondinen lächelten uns zu, aber weder ich noch Jax erwiderten es.

"Komm!", murmelte Jax mir zu und nahm meine Hand, um mich von diesem grausamen Schauspiel wegzuziehen. Er peilte eine Tür am anderen Ende des Raumes an. Auf dem Weg dahin, konnte ich nicht anders, als die Frauen um uns herum blöd anzustarren. Ich verstand nicht, wie man in seinem Leben so tief sinken konnte, wie man sich so etwas antun konnte. Und dieser Mann, Jax Vater, der diesen Frauen das antat, ob sie es freiwillig machten oder nicht, was für ein schrecklicher Mensch er doch sein musste. Wie konnte jemand wie Jax nur sein Sohn sein.

"Jax!", rief plötzlich eine raue Männerstimme hinter uns erfreut. "Da bist du ja!" Jax hielt mitten in der Bewegung inne, schloss für einen kurzen Moment die Augen und presste angespannt die Lippen aufeinander. Mit einem gezwungenen Lächeln drehte er sich um und blickte seinem Vater in die Augen. Er hatte graue Augen nicht diese stechenden grünen von seinem Sohn. Seine braunen Haare waren kurz geschnitten und wiesen schon ein paar graue Strähnen auf. Man sah noch den Ansatz, dass sie normalerweise ordentlich zu einem Seitenscheitel gekämmt waren, gerade aber standen sie in alle Richtungen ab. Wenn man diese Tatsache außer Acht ließ und, dass sich diese Frauen um ihn tummelten, konnte man meinen, dass er ein ganz normaler Mann war - ein Geschäftsmann, würde ich sagen, denn er hatte einen Anzug an, auch wenn das Hemd halb offen war und eine haarige Brust entblößte. Er war dünn, nicht schlaksig, aber auch nicht muskulös. Mein Blick fiel wieder auf sein Gesicht. Man konnte die Ähnlichkeit zu Jax sehen, er hatte dasselbe Lächeln wie sein Sohn, was aber irgendwie nicht in diese ganze Situation passte. Er schien sich nicht zu schämen, dass ich das alles hier sah. Im Gegenteil, er schien sich zu freuen, dass Jax mich mitgebracht hatte. Ein erschreckender Gedanke schoss mir durch den Kopf. Erwartete er, dass wir hier mitmachten?! Gott! Niemals in meinem Leben!

"Wen hast du denn mitgebracht?", fragte er seinen Sohn.

Dieser antwortete durch zusammengebissene Zähne: "Dad." Er spuckte das Wort förmlich aus. "Das ist Cleo!" Mir fiel auf, dass er sich beschützend vor mich gestellt hatte und seine Hand hielt meine fest umklammert, als würde er sie nie wieder loslassen wollen. Diese Geste ließ die Schmetterlinge in meinem Bauch Loopings schlagen.

"Hallo", grüßte er mich freundlich. "Michael King. Freut mich." Er hielt mir die Hand hin, doch ehe ich sie nehmen konnte, hatte Jax sie weggeschlagen und zischte wütend: "Fass sie nicht an!"

Der Vater seufzte nur. Es schien, als wäre er den Hass seines Sohnes gewöhnt, vielleicht akzeptierte er es auch ein Stück.

"Lass uns in Ruhe und geh zurück zu deinen Spielzeugen!" Jax' Stimme war voller Abschaum. Er drehte seinem Vater den Rücken zu, welcher mir entschuldigend zu lächelte. Ich erwiderte es nicht, sondern wandte mich schnell ab. Diese Situation war mir ziemlich unangenehm.

Jax öffnete die Tür und zog mich mit sich in einen Raum, der sein Zimmer sein musste. Auf der einen Seite stand ein Doppelbett, die Decke hing von einer Seite halb auf dem Boden. Auf der anderen Bettseite lagen verschiedene Kleidungsstücke, die achtlos darauf geworfen wurden. Gegenüber von dem Bett hing ein großer Fernseher an der Wand. Langsam glaubte ich, dass er mit den bescheidenen Wohnverhältnissen gelogen hatte, denn das Gerät sah ziemlich teuer aus. Neben Schrank, Regalen, die mit CDs, einer Stereoanlage, Kisten und Büchern vollgestopft waren und einem kleinen Schreibtisch, auf dem ein nicht gerade kleiner Computer stand, befand sich auf der anderen Seite des Raums so eine Bank zum Gewichtheben und noch andere Fitness-Geräte. Keine Ahnung, wofür die alle gut waren, aber anscheint taten sie ihre Aufgabe sehr gut. Jax' Muskeln waren... einfach nur wow. Ich wusste nicht, wie ich es anders beschreiben sollte. Allerdings stellte sich mir hier die Frage, warum er nicht einfach zum Trainieren ins Fitnessstudio ging, sondern sich stattdessen die teuren Geräte kaufte. Und wenn er sie sich schon kaufen musste, wieso stellte er sie sich dann in sein Zimmer und suchte sich kein getrenntes Zimmer, als Fitnessraum. Ich glaube kaum, dass das Fenster über dem Schreibtisch ausreichte, um den Raum gut durchzulüften, nachdem er Sport gemacht hatte und es hier bestimmt fürchterlich stank.

"Tut mir leid wegen der Unordnung." Verlegen kratzte Jax sich am Kopf, doch ich lächelte ihm beruhigend zu. "Schon okay!" Wenn meine Mutter mich nicht regelmäßig anblaffen würde, ich solle mein Zimmer aufräumen, sehe es bei mir bestimmt auch so aus. Obwohl... vielleicht nicht ganz so schlimm.

Ich lief langsam hinüber zum Bett und setzte mich auf die Seite, auf der er schlief. Mein Blick wanderte noch ein bisschen länger durch den Raum und mir war bewusst, dass er mich währenddessen beobachtete. Dann blieb ich an seinen Augen hängen und konnte mich auch nicht wieder befreien. Mein Atem ging nur stockend und mein Herz machte freudige Sprünge in meiner Brust. Eine ganze Weile schauten wir uns einfach so an. Die Welt um mich herum schien zu verblassen, die Geräusche aus dem Wohnzimmer, die ich nicht näher beschreiben möchte, wurden immer leiser. Es gab nur ihn und mich.

Dann kam er, ohne mich uns den Augen zu lassen, langsam auf mich zu gelaufen. Mein Herzschlag beschleunigte sich.

Er stand vor mir, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn weiterhin ansehen zu können. Mit einem schiefen Lächeln strich er mir eine Strähne hinters Ohr. Damit er seine Hand nicht wieder wegnahm, legte ich meine über sie und schloss seufzend die Augen, weil es sich so gut anfühlte. Im Bruchteil einer Sekunde - jedenfalls fühlte es sich so an - hatte er sich hingesetzt und mich auf seinen Schoß gezogen. Meine Arme schlangen sich um seinen Hals und ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Sein Geruch benebelte meine Sinne, aber ich konnte nicht genug von ihm kriegen.

Ich spürte seine warmen Lippen an meinem Hals, wie sie kleine Küsse auf ihm verteilten. Es kribbelte an diesen Stellen und ich genoss es vollkommen.

"Cleo?", hauchte er.

"Jax?", flüsterte ich zurück.

"Ich bin froh, dass du mitgekommen bist." Seine Arme umschlossen mich noch fester.

Auf meinen Lippen zeichnete sich ein glückliches Lächeln ab. "Ich auch."

Er macht mich wahnsinnig!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt