Ich glaube,ich musste nicht nochmal erwähnen, dass die Villa meiner Eltern riesig war. Deswegen dauerte es meiner Meinung nach viel zu lange, bis ich Nils überall herumgeführt hatte und dann zu meinem eigentlichen Plan kommen konnte. Zu allem Unglück, war er ganz fasziniert von den wertvollen Artefakten und Gemälden, die erst mein Großvater und dann mein Vater schon über Jahre hinweg sammelten. Die Sammlung bestand hauptsächlich aus Bildern, die angeblich viel wert waren, aber ich war kein Kunstliebhaber, also keine Ahnung von wem die gemalt wurden. Daneben gab es auch noch ein paar Steinskulpturen, mit denen ich ebenfalls nichts anfangen konnte. Mir schien, als kämen die aus dem alten Griechenland, aber irgendwie konnte das nicht sein. Das würde doch niemals erlaubt werden, dass mein Vater sowas bei sich zu Hause stehen hat. Andererseits würde ich ihm aber auch zutrauen, dass er sie illegal hierbehalten hatte.
"Kommst du endlich!", drängte ich Nils und wippte aufgeregt und genervt mit meinem Bein. Der Sohn der Arnolds - mittlerweile glaubte ich, er war stumm - stand vor einem Bild, auf dem eine Tankstelle zu sehen war. Ich hatte keine Ahnung, was er daran so spannend fand. An der einen Tanksäule stand noch ein Mann, während aus dem nebenstehenden Gebäude Licht auf den Asphalt fiel. Im Hintergrund sah man Bäume und eine Straße, allerdings war kein einziges Auto zu sehen. Vielleicht wartete Nils ja darauf, dass eines angefahren kam - wie bei Harry Potter die Personen auf den Fotos sich bewegten.
Ich verdrehte die Augen und stöhnte, weil er mich ignorierte. "Komm jetzt!", versuchte ich es nochmal lauter. "Der Garten ist viel schöner. Wenn du willst können wir auch zu einer Tankstelle fahren." Konnte ja sein, dass er ein besonders großer Fan von ihnen war. So wie er aussah, könnte ich ihm das wirklich zutrauen. Vorurteile - ich weiß. Aber er sah wirklich total aus wie ein typischer Nerd. Jeder hätte bei seinem Auftreten Vorurteile!
Er drehte sich bei meinem letzten Kommentar tatsächlich zu mir um, bedachte mich aber nur mit einem kalten Blick. Er wollte damit wohl sagen, dass ich mich nicht über diese fantastische Kunst lustig machen durfte.
"Soll ich alleine in den Garten gehen?", fragte ich in der Hoffnung, ihn so überreden zu können. Eigentlich konnte ich das nicht tun, denn wenn meine Eltern sich zufälligerweise im Wohnzimmer aufhielten, wovon ich ausging, würden sie mich, durch die Fensterwand zum Garten hin, sehen. Wenn ich aber Nils bei mir hätte, würden sie keinen Verdacht auf meine Flucht schöpfen.
Ich blickte auf die Pendeluhr, die hinter mir im Flur tickte. Wie lange war vergangen, seit Nils und ich den Speisesaal verlassen hatten. Es kam mir vor, wie eine Stunde, doch es konnten nur maximal 15 Minuten gewesen sein. Wenn er doch endlich aufhörte, auf diese Bilder zu starren. Mittlerweile war er von der Tankstelle weggetreten und hatte sich an das daneben hängende Gemälde gewandt. Es zeigte ein blaues Meer mit Segelbooten darauf. Der Ausschnitt eines Strandhauses war rechts zu erkennen und ich ertappte mich dabei, mir vorzustellen, wie es wohl wäre, genau jetzt an diesem Ort zu stehen. Jax stand neben mir, hielt meine Hand und wir sahen beide in den Horizont. Ich konnte beinahe schon den salzigen Geruch des Meeres einatmen und die Möwen kreischen hören. Ich vertiefte mich in dieses Bild genauso wie in ein gutes Buch. Alles um mich herum verschwamm und ich hielt eisern an der schönen Vorstellung fest, wie Jax und ich den Tag zusammen an diesem Strand verbrachten - weit weg von allen Sorgen. Vielleicht wurde es ja plötzlich Realität.
"Ich dachte, du wolltest in den Garten", sagte da plötzlich eine mir unbekannte Stimme. Ich riss mich blinzelnd von dem Bild weg und sah stirnrunzelnd in die Richtung, aus der die Stimme kam. Mein Blick fiel direkt in Nils' grüne Augen. Hatte er da etwa gerade gesprochen? Das konnte nicht sein! Ich sah mich nochmal zu allen Seiten um, aber außer dem Sohn der Arnolds war niemand zu sehen.
"Cleo?" Nein! Das war nicht möglich! Nils' Mund hatte sich tatsächlich bewegt.
"Du kannst ja reden", stellte ich übertrieben überrascht fest.
Nils bedachte mich mit einem finsteren Blick. "Natürlich kann ich reden. Ich tu es nur nicht gerne." Dafür aber starren... und zwar nicht nur in meine Augen.
"Ah", machte ich und fügte dann noch hinzu, bevor die Situation noch komischer werden konnte, als sie eh schon war: " Gehen wir in den Garten?"
Er sah mich einige Zeit mit einem undeutbaren Blick an, bevor er wie aus einer Trance erwachend schlicht ja antwortete. Und damit war sein Gesprächsdrang für den Abend gedeckt. Was sollte ich nur von diesem Typen halten? Auf alle Fälle war er anders als die Jungs, die meine Eltern mir sonst immer präsentierten. Diese hatten durchgehend über sich selbst und wie toll sie waren, geredet; wie die Söhne reicher Schnösel eben waren - arrogant und selbstverliebt.
Ich führte Nils aus dem Ausstellungs-Raum und in Richtung Haustür. Neben der Terrassentür im Wohnzimmer war das der einzige Weg in den Garten und da ich nicht scharf darauf war, meinen Eltern oder den Arnolds zu begegnen, wählte ich diesen. Ich zog mir meine Winterjacke über das Kleid wissend, dass ich trotzdem frieren würde. Nils tat es mir gleich, bevor ich voraus aus der Tür ging, der Nerd hinter mir. Ich hatte Recht behalten - es war arschkalt. Kaum hatte ich die Tür wieder zugezogen, begann ich auch schon zu zittern. Der Sohn der Arnolds bedachte mich mit einem seiner Blicke, sagte aber nichts. Er steckte die Hände in die Taschen seines Mantels und wartete, bis ich loslief. Ich verdrehte die Augen und tat ihm dann den Gefallen. Hoffentlich würde mir beim Laufen etwas wärmer werden.
Wir umrundeten das Haus und fanden uns auf dem perfekt gepflegten, grasgrünen Rasen wieder. Hier und dort konnte ich die Blumenbeete ausmachen, die im Frühling und Sommer wunderschön blühten. Das Licht, das durch die Glaswand im Wohnzimmer hinter uns drang, ließen sie jetzt im Winter trostlos und langweilig erscheinen.
Ich ging schnurstracks, ohne darauf zu achten, ob Nils mir folgte, in den hinteren Teil des Gartens. Dort, wo die hohen Bäume standen, auf die ich als kleines Kind gerne geklettert war, was meinen Eltern ganz und gar nicht gefallen hatte. Heutzutage setzte ich mich im Sommer in ihre Schatten, um Hausaufgaben zu machen oder etwas zu lesen. Je länger wir gingen, desto dunkler wurde es. Mein Herz schlug schneller. Es würde nicht mehr weit sein, dann würde der hohe Zaun in Sicht kommen.
Ich blickte mich zu Nils um und erschrak, weil er direkt hinter mir war. Irgendwie hatte ich erwartet, ihn mit meinem schnellen Tempo abgehängt zu haben.
"Du weißt, dass das nicht funktionieren wird, oder?", fragte er.
Kurzzeitig war ich überrascht, weil er schon wieder was gesagt hatte, dann fasste ich mich aber schnell wieder und erwiderte langsam und skeptisch: "Was meinst du?"
"Abhauen", gab er schlicht zurück und ich starrte ihn geschockt an. Konnte er Gedanken lesen?
Ein Schmunzeln zuckte über seine Lippen. "Nein, ich kann keine Gedanken lesen. Reine Beobachtung."
Ich lachte etwas hysterisch auf. Diese Situation hier wurde mir gerade ziemlich unheimlich und dann befanden wir uns auch noch in tiefer Dunkelheit. Falls er verrückt war, würde mich hier bestimmt niemand vor Sonnenaufgang finden. Irgendwie machte er mir jetzt Angst.
"Und... und...", stotterte ich und schluckte schwer. "Was meinst du damit, dass es nicht funktionieren wird?"
"Du hast das Ganze nicht richtig gut durchdacht", erklärte er. "Was willst du machen, wenn du draußen bist?"
Jax würde mich abholen, war mein erster Gedanke, aber dann fiel mir ein, dass ich ihm ja gesagt hatte, dass ich es nicht schaffen würde abzuhauen. Folglich wird er auch nicht hier sein und auf mich warten - wenn doch wäre das ziemlich schräg. Außerdem hatte ich mein Handy im Moment nicht mal bei mir, sodass ich ihn auch nicht anrufen könnte. Ich hatte das Ganze wohl wirklich nicht richtig durchdacht.
"Ich...", begann ich eine Antwort, überlegte es mir aber anders und sagte seufzend: "Lass uns zurückgehen..."
Ich ging mit hängenden Schultern an Nils vorbei und den Weg zurück, den wir gekommen waren. Ohne mich umdrehen zu müssen, wusste ich, dass er direkt hinter mir war. Dieser Typ war echt komisch...
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Er macht mich wahnsinnig!
RomanceAls Jax King an seine neue Schule kam, stank er nach Alkohol und Rauch. Seine Mitschüler blickten ihn nur angewidert an und fragten sich, wie dieser Typ, übersät mit Tattoos, es geschafft hatte auf ein Gymnasium zu kommen. Cleo hatte am Anfang diese...