Kapitel 3 - Familie

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Jeremys Stimme hallte immer noch in meinem Kopf, als ich das alte Anwesen betrat. Mein „Zuhause" war eine riesige, verwucherte Villa mitten im Nirgendwo. Kein Mensch kam freiwillig hierher und wenn er es doch tat, kam er sicher nie wieder zurück.
Als ich die massive Holztür aufschwang, kam mir auch gleich schon Jack entgegen. Jack war kaum älter als ich und doch meinte er immer, er müsste sich wie mein Vater aufspielen. Ich hatte ihn schon vor meiner Verwandlung kennengelernt und manchmal hatte ich das Gefühl, er hielt mich immer noch für das kleine, schwache Menschenmädchen von damals. Jack war sehr attraktiv. Seine kurzen, braunen Haare standen wirr um seinen Kopf und verdeckten so nicht sein markantes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den hellblauen Augen.
„Wie konntest du nur?!", stieß er mir entgegen, bevor er seine starken Arme um mich schlang. Seufzend erwiderte ich seine Umarmung.
„Ich muss auch mal raus hier", erwiderte ich, „Außerdem hat Jeremy mich darum gebeten."
„Jeremy!", knurrte Jack. Er machte keinen Hehl daraus, dass er meinen besten Freund nicht leiden konnte. Schließlich konnte er ja eine Gefahr für mich darstellen.
„Ich bin kein kleines Mädchen mehr", flüsterte ich Jack zu, während ich mich aus seiner Umarmung wand.
„Du benimmst dich aber wie eines! Wie kannst du nur in die Stadt gehen, in der sich deine Brüder und Klaus aufhalten?!"
„Du wusstest, dass er dort ist?", fragte ich leise. Das nächste Mal musste ich mir von Jer genau beschreiben lassen, welche Vampire gerade ihr Unwesen in Mystic Falls trieben. Wenn es denn ein nächstes Mal gab...
„Sieh mal einer an... die verlorene Tochter!" Kira schwang sich elegant die Treppe hinunter und bevor noch irgendjemand einen weiteren Ton sagen konnte, hatte sie ihre dunkelroten Lippen auf Jacks Mund gepresst. Ich mochte diese Vampirin nicht, auch wenn Jack sich für ein Dasein bis in die Ewigkeit mit ihr entschieden hatte. Und auch Kira konnte mich nicht leiden. Scheinbar machte ihr die Vertrautheit, die Jack und ich zueinander hatten, Angst. Schon oft hatte ich darüber nachgedacht ihr zu sagen, dass sie sich in dieser Hinsicht keinerlei Sorgen machen musste. Für mich war Jack wie ein weiterer großer Bruder und ich für ihn so etwas wie die ungezogene Tochter, auf die man jede Minute ein Auge haben musste.
„Er war schon ziemlich sauer, weil niemand wusste, wo du bist", zickte Kira in meine Richtung, während sie Jack noch enger an sich zog. Dieser hatte nichts dagegen. Er hatte mir einmal gestanden, dass er es liebte, wenn sie so eifersüchtig auf mich war. Ich stieß einen tiefen Seufzer auf.
„Ich bin freiwillig hier. Ich kann kommen und gehen, wann ich will." Kira lachte.
„Du bist Teil dieser Familie und auch du hast dich an die Regeln zu halten, Prinzesschen." Wütend ging ich einen Schritt auf Kira zu. Sie war jünger als ich und manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie ganz vergaß, dass ich sie von einer Minute auf die andere in Stücke reißen konnte. Beschwichtigend stellte Jack sich vor sie und sah mich bittend an. Er wusste, dass ich seine Gefährtin auf den Tod nicht ausstehen konnte, aber er wusste auch, dass ich ihr nichts tun würde, solange sie ihn glücklich machte. Jack hatte es verdient, glücklich zu sein, nach allem, was er wegen mir durchleiden musste. Stöhnend drehte ich mich auf dem Absatz um und schritt durch die dunklen Gänge. In diesem Gemäuer lebten so viele Vampire, dass ich sie kaum zählen konnte. Wir alle waren nach und nach hierher gelangt, weil wir ein Zuhause oder ein Versteck brauchten. Bei mir war es wohl Zweiteres und obwohl ich mich schon lange nicht mehr der Illusion hingab, dass unsere Familie wirklich zu mir stehen würde, wenn es hart auf hart kam, war ich hier. Ich wollte nicht zurück zu meinen Brüdern oder zu ... Klaus' Gesicht erschien vor meinen Augen und Vorwürfe machten sich in mir breit. Er hatte Schmerzen gehabt und ich war daran Schuld gewesen. Mit einem Kopfschütteln verwarf ich diese Gedanken wieder. Sollte er doch leiden. Was kümmerte es mich noch?
„Samantha", ertönte es hinter mir, als auch schon ein schmächtiger Vampir hinter mich trat. Ich erkannte ihn als einer der Diener, die alles taten, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Diese Vampire waren für mich die niedrigsten der niedrigen. Ohne weiter auf ihn zu achten, betrat ich den größten Raum des Anwesens. Früher war das hier sicher mal ein Tanzsaal gewesen, in dem man sich vergnügt und bis in die Nacht hinein gesungen hatte. Doch heute war dieser Raum eine bloße Erinnerung seiner selbst und beherbergte den Vampir, der für alle hier die Vaterfigur ersetzte. Für mich war er bloß noch eine Gestalt, die mich in allem hinderte, was in mir wenigstens noch den Anschein von Freiheit erweckte.
„Samantha", ertönte ein weiteres Mal mein Name, als auch schon ein Vampir vor mich trat, der vom Äußeren her nicht einmal so stark wirkte wie Jack und doch mehr als doppelt so alt war wie wir anderen alle zusammen. Seine langen, schwarzen Haare hatte er hinter seinem Kopf zusammengebunden und seine dunklen, grünen Augen wirkten wie Gift auf mich.
„Eric, du wolltest mich sehen?", fragte ich sofort. Ich wollte nicht länger als nötig bei diesem Vampir sein. Er war mir unheimlich, seit er versuchte, mich hier mit den anderen einzusperren. Früher war das Leben hier einfacher gewesen. Nicht leicht, aber einfacher.
„Ja, denn du bist einfach davongelaufen. Nicht einmal Jack vermochte es mir zu sagen, wo du warst und dabei ist er doch dein engster Vertrauter." Ich seufzte leise. Das war Jack sicherlich einmal gewesen, doch seit er lieber mit Kira statt mir mir über alles sprach und ihr alles anvertraute, was ich ihm erzählte, war unsere Beziehung nicht einmal mehr ansatzweise so eng, wie sie es einmal gewesen war.
„Ich war nur etwas unterwegs. Kaum mehr als einen Tag."
„Du weißt doch, dass sich keines meiner Kinder einfach so von der Familie entfernen soll. Auch du hast Regeln, an die du dich zu halten hast." Ich konnte meine Wut nicht mehr verbergen.
„Ich bin doch nicht deine Gefangene, Eric", brüllte ich laut auf, „Und ganz sicher auch keines deiner >Kinder<." Ohne dass ich in der Lage dazu war, zu reagieren, hatte Eric mich auch schon am Hals gepackt und drückte mich unsanft gegen eine der kalten Mauern.
„Und doch suchst du hier den Schutz der Familie. Du bist eine von uns, Samantha, also benimm dich auch so." Bevor ich etwas erwidern konnte, legte Eric seine kalten Lippen auf meine. Ich erwiderte den Kuss nicht, denn ich wusste, dass der Vampir das als eine Anerkennung meiner Unterwürfigkeit verstehen würde und ich würde mich niemals jemandem unterwerfen. Als Eric dies bemerkte, schleuderte er mich einmal durch den kompletten Saal. Hart schlug ich gegen die kalte Steinwand und stürzte zu Boden. Ein kleines Vampirmädchen – kaum älter als 7 – schrie erschrocken auf und rannte aus dem Raum.
„Du bist unerlaubt verschwunden, niemand wusste, wo du dich aufhältst, und außerdem hast du einen Urvampir verärgert! Weißt du eigentlich, in welche Gefahr du deine Familie damit bringst?!" Stöhnend rappelte ich mich auf. Was wusste Eric schon von dem, was geschehen war?
„Ich musste eine Hexe um Hilfe bitten, um dir zu helfen, und ich weiß, dass Niklaus Mikaelson das nicht so einfach auf sich beruhen lassen wird." Erics Stimme wurde wieder ruhiger, was bedeutete, dass ich wohl keine weiteren Attacken von ihm zu erwarten hatte. Ich hatte schon sooft darüber nachgedacht, diese „Familie" zu verlassen, doch wo sollte ich schon hin? Außerdem konnte ich Jack doch unmöglich verlassen.
„Du wirst Klaus um Verzeihung bitten!" Kaum dass Eric diese Worte ausgesprochen hatte, verkrampften sich alle meine Glieder.
„Du wirst zu diesem Ort – Mystic Fel – zurückkehren und Klaus für uns alle um Verzeihung bitten. Das bist du deiner Familie schuldig."
„Ich.. ich kann nicht", flüsterte ich. Ich konnte nicht einfach so wieder dorthin zurückkehren. Nie wieder wollte ich den anderen in die Augen sehen müssen. Vor allem nicht ihm.
„DU WIRST!", schrie Eric wutentbrannt auf und hatte mich in Blitzesschnelle wieder an der Kehle gepackt, „Du wirst einen Friedensvertrag für deine Familie aushandeln, um sie vor der Rache der Urvampire zu schützen. Wir müssen hier weiter in Frieden leben können. Kira wird dich begleiten." Gerade als ich wieder zu einer Bemerkung ansetzen wollte, schlug Eric mir mitten ins Gesicht, ohne mich loszulassen.
„Meine Diener berichteten mir, dass dort morgen ein Ball stattfinden wird und dort wirst du dich entschuldigen. Wenn nicht, wirst nicht nur du meine Strafe zu spüren bekommen." Mit diesen letzten Worten ließ Eric mich zu Boden gleiten. Kaum dass ich meine Freiheit wiedererlangt hatte, stürmte ich aus dem Raum. Hinaus aus diesem verfluchten Gebäude. Erst mitten im Wald blieb ich stehen. Das konnte Eric unmöglich von mir verlangen!
„VERDAMMT!", schrie ich in die Dunkelheit, während ich mich auf die Knie sinken ließ und mein Gesicht in meinen Handflächen vergrub. Ich weiß nicht, wie lange ich so dort saß, bis eine mir bekannte Stimme ertönte.
„Was ist passiert?" Jacks Frage war nur ein Flüstern.
„Ich kann das nicht", hauchte ich. Eine Antwort brauchte ich Jack nicht zu geben, denn ich wusste, dass er alles mitangehört hatte.
„Du musst." Ich erwiderte nichts. Wann hatte ich nur den alten Jack verloren? Den, der mich sofort gepackt, und mit mir ans andere Ende der Welt geflohen wäre, nur um das von mir anzuwenden, was mich nun erwartete.
„Ich weiß", murmelte ich leise und erhob mich. Wieso war alles nur so verdammt schief gegangen?

Never forget the past... (VampireDiaries - FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt