Kapitel 9 - Meer

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Es war seltsam, als ich aus dem Haus trat und zu Klaus ins Auto stieg. Ich fühlte mich billig. Am liebsten wäre ich davon gerannt und hätte den Urvampir zurückgelassen, doch stattdessen blieb ich ruhig und sah aus dem Fenster. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Klaus wenigstens versuchen würde, ein Gespräch mit mir zu führen, aber auch er blieb still. Seine Nähe wurde mir von Minute zu Minute unangenehmer, während wir die Kilometer hinter uns ließen.Es schien Stunden zu dauern, ehe Klaus das Auto stoppte und wieder ins Freie trat. Wir waren an einen Strand gefahren. Einen Strand, der mir sehr bekannt vorkam.„Was wollen wir hier?", fragte ich monoton, als sich in das Gesicht des Urvampirs auch schon ein Grinsen legte.


Vor Schmerz verzehrte ich das Gesicht, als ich versuchte, meine Hand noch fester auf meine Hüfte drückte. Es war doch auch einfach unmöglich in diesen Kleidern zu klettern. Hätte sich der Rock nicht in dem Ast verhakt und hätte ich nicht versucht, ihn wieder zu befreien, wäre ich mit Sicherheit auch nicht von diesem verdammten Baum gefallen. Kurz besah ich mir noch einmal die Wunde. Den kleinen Ast, der in meiner Hüfte gesteckt hatte, hatte ich entfernen können, doch an die kleinen Splitter, die noch aus dem blutigen Loch ragten, kam ich nicht selbst dran. Ich brauchte Jack, doch gerade heute arbeitete dieser auf dem Feld.So leise ich konnte, humpelte ich ins Haus bis in mein Zimmer. Ich merkte, wie die Kraft mich zusammen mit meinem Blut verließ. Ich musste etwas finden, um die Blutung zu stoppen und dann musste ich schlafen. Viel schlafen. Zum Glück war auch mein Onkel mit den anderen fort und konnte mich nicht aufhalten – so wie er sonst immer tat, wenn er mich dabei erwischte, wie ich aus dem Wald kam. Eine Frau tut so was nicht. Eine Frau darf so was nicht. Für eine Frau schickt sich so etwas nicht. Dein Vater würde sich im Grabe herumdrehen. Was interessierte mich schon mein Vater? Er mochte mich zu Lebzeiten nicht, also würde er auch im Grab kein Auge auf mich haben.„Kann ich behilflich sein?" Ich drehte mich nicht herum, sondern ging einfach weiter geradeaus. Wenn ich die Stimme richtig zuordnen konnte, war das mal wieder Niklaus. Er war oft hier in letzter Zeit. Bei den Bällen tanzte er mit mir, an den Nachmittagen ging er mit mir spazieren und nachts hätte ich schwören können, ihn im Wald gesehen zu haben. Es war seltsam, aber ich mochte seine Nähe. Ich genoss es, seine fiesen Sprüche über die Gesellschaft zu hören und ihm dabei zuzusehen, wenn er malte. Doch jetzt konnte ich ihn absolut nicht gebrauchen. Eine Schwäche würde ich niemals eingestehen und vor allem nicht vor einem Mann. Plötzlich gab mein Bein nach und in einer Geschwindigkeit, die ihresgleichen suchte, hatte Niklaus mich auch schon aufgefangen.„Was ist denn passiert?" Seine Stimme klang wirklich besorgt. Manchmal fragte ich mich, ob er mich wirklich mochte oder nur mit mir spielte. Ich war nicht gerade die Art von Frau, die sich ein Mann wünschen konnte. Schwungvoll riss ich mich von dem Mann neben mir los.„Ich schaff das schon."„Liebste, du blutest." Ich wusste nicht, was mich mehr schockte. Dass das Blut schon an meinem Bein hinab auf den Boden gelaufen war oder dass dieser Mann mich „Liebste" genannt hatte.„Ein Kratzer", murmelte ich leise, als ich auch schon merkte, dass meine Sicht verschwamm. Ich musste schnellstmöglich auf mein Zimmer. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, riss Niklaus mich von meinen Beinen und nahm mich in seine Arme.„Du bist schwach. Ich werde dich auf dein Zimmer bringen und deine Wunde versorgen, Liebste." Kaum dass er diese Worte ausgesprochen hatte, standen wir auch schon in meinem Zimmer und Niklaus schloss die Tür hinter uns. Mein Zimmer war nichts Besonderes. Ein Bett, ein Tisch mit einem einzigen Stuhl und ein riesiges Fenster zeichneten es aus. Da ich die meiste Zeit des Tages sowieso nicht hier verbrachte, interessierte es mich auch herzlich wenig, wie es hier aussah. Sanft legte Niklaus mich auf mein Bett.„Wie hast du das gemacht?", fragte ich leise. Mein Zimmer war drei Gänge weiter gewesen. Innerhalb dieser kurzen Zeit konnte man es eigentlich nicht erreichen. Niklaus gab mir keine Antwort, während er mein Kleid an der Hüfte zerriss, um sich die Wunde besser ansehen zu können.„Das sieht nicht gut aus. Durch die Holzsplitter wird sich die Wunde entzünden." Ich nickte nur, anstatt zu antworteten. Alles, was ich wollte, war zu schlafen. Plötzlich vernahm ich ein Geräusch, durch das ich meine Augen noch einmal öffnete. Was ich dann sah, verschlug mir den Atem. Niklaus Augen waren dunkler geworden und unnatürlich blaue Adern verliefen plötzlich unter ihnen. Er hatte sich scheinbar mit seinen eigenen Zähnen das Handgelenk aufgerissen und hielt mir nun das blutende Etwas entgegen.„Trink." Seine Stimme war sanft, doch ich konnte einfach nur meinen Kopf zur Seite drehen.„Es wird dich heilen."„Was bist du?" Diese Frage schoss durch meinen Kopf zusammen mit tausend anderen und doch erschien es mir die wichtigste von allen zu sein. Ein Mensch konnte nicht so schnell sein. Ein Mensch konnte nicht solche Augen haben und das Handgelenk eines Menschen konnte nicht innerhalb dieser paar Sekunden schon wieder damit beginnen zu heilen. Niklaus seufzte.„Trink. Danach werde ich es dir erklären." Mein Blick fiel noch einmal auf das Handgelenk des Mannes und bevor ich reagieren konnte, hatte er es mir schon vor meinen Mund gedrückt. Ich ließ es geschehen. Zwar widerte mich die Tatsache an, Blut zu trinken, doch ich vertraute Niklaus. Mit jedem weiteren Zug merkte ich, wie ich stärker wurde. Niklaus war es, der diesen intimen Moment zerstörte, indem er sein Handgelenk wieder von mir weg zog und seine Augen langsam wieder normal wurden.„Was bist du?", wiederholte ich meine Frage leise.„Ein Vampir." Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet und doch fing ich nicht an zu lachen. Ich hatte meinen Vater und Onkel oft über diese Wesen sprechen hören, als sie dachten, ich wäre nicht mehr da. Sie hatten daran geglaubt.„Und warum bist du hier?" Ich lehnte mich zurück und merkte, dass sich mein Bett bewegte, als Niklaus sich genau neben mich setzte. Sein Grinsen war breiter als jemals zuvor.„Was?!"„Ich sage dir, dass ich ein Vampir bin und du hast nicht einmal Angst?"„Ich habe keine Angst vor dir", erklärte ich wahrheitsgemäß und fragte mich selbst, wann wir eigentlich damit begonnen hatten, nicht mehr förmlich miteinander umzugehen. War das gewesen, bevor oder nachdem ich sein Blut getrunken hatte?„Wieso nicht?" Ich wusste, dass Niklaus sich zu mir umgedreht hatte, doch mein Blick galt nur der Wand.„Wenn du mich hättest töten wollen, hättest du mir nicht gerade das Leben gerettet." Niklaus lachte laut auf und auch auf mein Gesicht legte sich unwillkürlich ein Lächeln.„Ich war tatsächlich auf der Suche nach Katherine. Sie war aber nicht meine Cousine sondern nur ein Vampir, der mich betrogen hat." Meine Gesichtszüge entgleisten. Hieß das etwa...?„Hat sie meine Brüder ermordet?" „Nein. Das war dein Vater, soviel ich gehört habe. Katherine hat sie verwandelt."„Das heißt also, dass sie noch leben?", flüsterte ich und konnte nicht verhindern, dass Tränen aus meinen Augen kullerten. Meine Brüder waren also gar nicht tot.„Mehr oder weniger", erwiderte Klaus kühl, „Katherine jedoch wurde zusammen mit den anderen unserer Art, die hier ihr Unwesen trieben, in der Kirche verbrannt."„Geschieht ihr recht", erklärte ich kalt. Diese Frau hatte meine gesamte Familie ins Unglück gestürzt. Urplötzlich war Klaus' Gesicht ganz nah vor meinem, sodass sich eine Gänsehaut über meinen Körper zog. Lag es daran, dass er ein Vampir war? Fühlte ich mich deshalb so in seiner Nähe?„Ich könnte es dich vergessen lassen. Dieses Gespräch. Die Vampire und die Bedrohung, die sie darstellen könnten. Es liegt in deiner Hand." Stumm schüttelte ich den Kopf. Ich wollte es nicht vergessen. „Meine Brüder leben, Niklaus. Ich will das nicht vergessen."„Wirst du sie suchen?" Der Vampir setzte sich so nah neben mich, dass sich unsere Arme berührten. Ich musste zugeben, dass mir seine Nähe gut tat.„Nein", murmelte ich, „Wenn sie noch die Brüder sind, die sie einmal waren, werden sie mich suchen. Sie haben schließlich immer auf mich aufgepasst. Sind sie denn nach ihrer Verwandlung noch meine Brüder?"„Das kommt ganz auf sie selbst an", erklärte Niklaus, „Es ist jedem selbst überlassen, was aus ihm wird." Ich nickte, auch wenn ich nichts von alldem verstand.„Werde ich jetzt auch ein Vampir, weil ich dein Blut getrunken habe?" Niklaus grinste wieder.„Würdest du denn gerne einer sein?" „Keine Ahnung. Ich weiß ja gar nicht, was es bedeutet", erklärte ich schulterzuckend.„Was ist es denn, was du willst?" Ich war überrascht. So eine Frage hatte mir noch nie jemand gestellt. Es hatte nie jemanden interessiert, was ich wollte.„Ich will ans Meer."„Ans Meer?" Niklaus schien überrascht zu sein. „Ja. Mutter sagte immer, dass das Meer unendliche Freiheit bedeutet und ich will nichts mehr, als einfach frei zu sein."


Stumm trat ich mit dem ersten Fuß in das kalte Wasser. Nach meiner Verwandlung hatte ich mit Klaus hier gelebt. In einer Villa am Strand. Er hatte mir meinen Wunsch erfüllt und damals war ich ihm so unendlich dankbar gewesen. Damals.„Warum sind wir hier?", fragte ich Klaus noch einmal. Seine Blicke waren mir unangenehm. Sie brannten förmlich auf meiner Haut.„Hier haben wir gelebt", erwiderte der Urvampir, während er so dicht hinter mich trat, dass kaum ein Blatt zwischen uns gepasst hätte, „Dort oben stand unsere Villa." Ich nickte. Natürlich hatte ich diesen Ort erkannt. War ich doch oft in meinen Gedanken dorthin geflohen, um allem anderen zu entkommen.„Warum hast du mich damals verlassen?" Obwohl ich gewusst hatte, dass er mir diese Frage stellen würde, wusste ich trotzdem nicht, was ich antworten sollte. Die Wahrheit würde ihm nicht gefallen.

Never forget the past... (VampireDiaries - FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt