Der bittere Geschmack süßer Dummheit

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Kapitel 10 Der bittere Geschmack süßer Dummheit

Mit jedem Schritt, den ich mache, merke ich den Alkohol mehr. Er arbeitete sich durch meine Blutbahnen, bis er in meinen Kopf sickert, sodass ich das Gefühl habe, mein gesamtes Gehirn wäre in C2H6O eingelegt. Ich bleibe hinter dem Ausgang der Bar kurz stehen, spüre die kalte Herbstluft auf meiner Haut und frage mich, warum ich die chemische Formel von Alkohol kenne. Chemie war nie mein Fach. Meine Umgebung steht nicht still und das obwohl ich definitiv nicht mehr laufe. Ich starre auf ein Stoppschild ein paar Meter von mir entfernt. Ich versuche es zu fixieren, doch aus dem Rot und dem Weiß wird langsam, aber sicher rosa. Einatmen. Ausatmen. Aufstehen war keine gute Idee, aber ich wollte nicht bei Danny sitzen bleiben. Ich habe mich mit ihm ablenken wollen und dann reden wir über genau das Thema, was ich vermeiden wollte. Raphael. Überall ist Raphael. Danny bekam mehr mit als ich dachte. Und nun habe ich mich Danny gegenüber auch noch geoutet. Bisher sickert es nur langsam zu mir durch, aber dennoch merke ich schon jetzt den unangenehmen Kitzel der Aufregung.

Stoppschilder sind normalerweise nicht rund, oder? Ich mache einen Schritt darauf zu. Die Form bleibt verzerrt. Für einen Augenblick schließe ich die Augen und schätze sofort ein, dass das auch keine schlaue Idee ist. Ich wanke und greife an die Stange des Schildes. Warum habe ich nur so viel getrunken? Ich hätte noch etwas essen sollen. Ich könnte jetzt etwas essen. Ich drehe mich einmal um die Stange und verfluche den Tequila von neuem. Das Schild ist immer noch rund. Das kann nicht sein. Verdammter Alkohol. Warum musste Danny unbedingt nach Raphael fragen? Unbewusst hat er mir damit ein Messer in den Rücken gerammt.

Raphael. Sein Name hallt unaufhörlich durch meinen Kopf. Er ist schuld. Warum hat er mir damals auffallen müssen? Warum müssten mich ausgerechnet seine grünen Augen verzaubern? Diese vermaledeiten, verdammten, wunderschönen und so herrlichen grünen Augen. Für einen Augenblick schwelge ich dem sanften Schein seiner Iriden nach, bis mich das schlechte Gefühl zurück katapultiert. Raphael ist an allem schuld! Schuld an dem Chaos in meinem Kopf! Schuld daran, dass ich meine Schwester noch weniger leiden mag als vorher. Schuld daran, dass meine Eltern glauben, ich wäre eifersüchtig auf sie! Schuld daran, dass mich Danny vielleicht nicht mehr mag. Raphael ist eindeutig schuld daran, dass Shari mir mein Eis wegisst. Wenn schon, denn schon.

Unwillkürlich fange ich leise an zu kichern und vollführe eine weitere Runde um die Stange des Stoppschildes. Warum muss ich dauernd an ihn denken? Egal, was ich mache. Er ist da. Ich lege beide Hände an meinen Kopf und gebe ein verzweifeltes Geräusch von mir. Mein Körper lehnt sich gegen das Schild. Raphael ist schuld daran, dass ich Jake nicht so genießen kann, wie ich es sollte. Ich löse mich laut murrend von dem Schild und laufe langsam die Straße hinunter.

Eigentlich ist Maya schuld, piepst ein Stimmen in meinem Kopf, passend zu der nervigen Stimme, die meine Schwester hat. In meinem Bauch keimt Wut. Ihre überhebliche Art. Ihr perfektes Gesicht. Alles an ihrem Äußeren ist perfekt. Perfekt ist so langweilig und blöd.

„Pah, wer steht schon auf so was? ...Raphael...", rufe ich frustriert in die Nacht hinein und knurre theatralisch. Was ist es, was ihn bei ihr hält? Ist es wirklich nur der Umstand ihres Geschlechts? Weil sie ein Mädchen ist und ich nicht? Wenn dem so ist, dann ist Raphael wirklich nur feige. Doch das alles ist das Symptom einer schon immer verquerlaufenden Realität.

Maya bekam schon immer viel Aufmerksamkeit. Sie war ein verdammt süßes Baby. Kleine blonde Locken und die großen blauen Augen. In meinem Kopf hallen die Stimmen unserer Verwandten wider. Sie war ein süßes Kind und sie ist auch jetzt eine hübsche Frau. Ohne Frage, aber sie kann nichts und ist doof. Mein betrunkenes Hirn lässt mich spöttisch Kichern und bald darauf klinge ich, als hätte ich mich verschluckt. Schon damals war sie vor anderen lieblich und zu mir biestig. Maya wollte auch früher stets das, was ich wollte und das Schlimme war, dass sie es meistens auch bekam. Zu meinem Bedauern mit der Begründung, ich wäre der Ältere und sie das kleine Mädchen. Ich müsse zurückstecken. Ich würde es verstehen, sie nicht. Noch heute verwendet meine Mutter diese Worte und jedes Mal wieder beginne ich, innerlich zu brodeln. In diesem Sinn stellen wir ein absolutes Klischee da.

Doors of my Mind 2.0 - Ihr Freund. Mein GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt