Wie kannst du mir das antun?

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Ich schreckte im gleichen Moment wie Theo zurück. Wir waren so verdammt nah dran gewesen. Ich schaute erschreckt zur Tür. Eine große, schlanke Frau mit strengem Gesicht schaute zu uns. Als sie mich anschaute wurde ihr Gesicht hart, abweisend und kalt. "Theodor! Erkläre mir die Anwesenheit dieses" Sie machte eine abwertende Handbewegung in meine Richtung und ihre Stimme klang als würde sie über Ungeziefer reden. Bevor sie weiter sprach warf sie mir einen wütenden Blick zu, dann sagte sie schneidend: "Slummys." 

Ich zuckte zusammen. Ich war oft Slummy genannt worden, aber es hatte noch nie so weh getan. "Mutter, was machst du hier?" Theo klang eingeschüchtert und irgendwie unterwürfig. So kannte ich ihn gar nicht. "Ich hatte dir eine Frage gestellt. Würdest du diese bitte beantworten?" So wie sie es sagte klang es eher nach einem Befehl. "Also, ich..." Theo began leise zu reden. "Du hast was? Cornelius kommst du mal bitte?" Den letzten Satz brüllte sie in den Flur hinter ihr. Wieder klang ihre Frage mehr nach einem Befehl.

Ein dicklicher Mann mit schütterem Haar und einem Monokel kam schnaufend in Theos Zimmer. "Was ist denn Rosalie, Schatz?" Er schaute zu Theo, mich bemerkte er gar nicht. "Hast du etwa etwas ausgefressen, Theo?" Rosalies schrille Stimme ließ ihn zusammenzucken. "Theodor hat diesen, diesen... Jungen" sie spuckte das "Junge" förmlich aus "mitgebracht. So wie er aussieht eine linke Bazille aus dem Slum." Autsch, ich war kaum eine Stunde in diesem Teil der Stadt und alle Vorurteile hatten sich schon als wahr erwiesen. Der einzige Mensch, der nicht hier her passte, war Theo. Der schaute seine Mutter ungläubig an und öffntete gerade seinen Mund um etwas zu erwiedern, als sein Vater donnerte: "Theodor Cornelius von Brück! Wie kannst du es nur wagen so eine Person in unser Haus zu bringen?  Und wo hast du ihn überhaupt aufgelesen?" Er sprach von mir als wäre ich irgend ein dreckiger Köter. Als er sich zu mir umdrehte wünschte ich mir, nie auf dem Markt gewesen zu sein. Ich schaute schnell zu Theo.

Er holte tief Luft und begann dann zu sprechen. Seine Stimme klang eigentlich fest, zitterte aber leicht. "Ich habe ihn auf dem Markt getroffen." Seine Eltern schauten ihn verwirrt an. "Wie kommt so eine... Kreatur auf den Schmiedemarkt hier? Wofür haben wir denn Wachen an den Toren?" Theo schaute zu Boden und erwiederte dann leise: "Nicht auf dem Schmiedemarkt Vater, auf dem Gemüsemarkt in der Mitte." Sein Vater wurde rot, seine Mutter leichenblass. Zeitgleich fingen sie an zu schreien, wobei seine Mutter deutlich lauter war. "Auf dem Gemüsemarkt? In der Mitte? Wie kannst du mir das antun? Und was wolltest du dort überhaupt?" Kaum war sie fertig schob ihr Mann noch polternd hinterher: "Und warum bringst du so einen Blutsauger von dort mit? Die arbeiten nichts, aber im Winter ernähren sie sich auf die Kosten der rechtschaffenen Bürger."

Bis zu diesem Moment hatte ich nur zugehört, aber das war zu viel. Ich sprang auf und machte einen Schritt auf Theos Eltern zu. "Jo, Nein!" Theos Ruf ignorierte ich. 

"Blutsauger? Wenn hier jemand Blut saugt, dann ja wohl ihr! Ihr lebt hier in Saus und Braus und die Menschen am anderen Ende der Stadt verhungern. Das Essen reicht hinten und vorne nicht, aber nicht weil wir nichts arbeiten, sondern weil ihr Menschen mit armen Eltern unterdrückt. Ihr gebt uns keine Chance, nicht einmal einen Ausbildungsplatz als Bauleiter bekommt man. Als billige Arbeiter taugen wir, aber sobald wir etwas erreichen wollen bekommen wir keine Unterstützung. Im Winter ist es noch härter, weil da bekommt man nicht mal billige Arbeitsplätze. Aber die Unterstützung reicht nicht. Man bräuchte auch im Sommer Essen umsonst. Wissen sie eigentlich wie viele Menschen im Slum verhungern? Aber sie hat das ja nicht zu interessieren. Sie versnobter Idiot müssen sich ja keine Sorgen um ihren Sohn machen." 

Die Gesichtsfarbe von Theos Mutter wechselte von weiß zu dunkelrot "Ich muss mir also keine Sorgen um meinen Sohn machen? Allein deine Anwesenheit beweist das Gegenteil. Und wie redest du überhaupt mit meinem Mann? Du solltest vielleicht etwas Respekt vor dem Bürgermeister haben."

Ungewollt musste ich lachen. Ich hätte fast den Sohn des Bürgermeisters geküsst. Der Bürgermeister der in der Gegend in der ich aufgewachsen war verhasst war. Dass ich lachte kam augenscheinlich nicht gut an. "Was gibt es denn da zu lachen?" keifte Theos Mutter los und kreischte dann in den Flur: "Edward, Gregor, kommt sofort her!" Theo nahm ganz kurz meine Hand und drückte sie leicht. "Ich wünschte sie wären nicht gekommen." Ich bekam eine Gänsehaut von seinem Wispern. Er lächelte mich an, scheu und flüchtig, dann schaute er wieder nach unten. 

Zwei riesige Männer betraten das Zimmer. Sie salutierten gleichzeitig und sprachen dann dröhnend: "Zu Befehl Mylady. Sie wünschen?" Ihr Gesicht war zu einer gruseligen Fratze verzogen als sie sich mir zuwendete. "Entfernt ihn." Ihre kalte Stimme lies mich schaudern. "Mutter, nein!" Theos Stimme klang schrill. "Halt den Mund, Theodor. Wir sprechen später." Mit diesen Worten rauschte diese Hexe aus dem Zimmer. Der Bürgermeister machte eine Kopfbewegung in meine Richtung und die beiden Männer packten mich je an einem Arm und zerrten mich nach draußen. Einletztes Mal drehte ich mich um und was ich sah zerbrach mein Herz. Theo saß zusammengesackt auf seinem Bett und eine einzelne Träne lief seine Wange hinab. "Jo" Sein kraftloses Flüstern lies auch mir die Tränen in die Augen steigen. 

Die beiden Männer schleppten mich eine breite Freitreppe hinunter, auf halbem Weg herrschten sie ein Dienstmädchen an und befahlen ihr das große Portal zu öffnen. Verschreckt eilte sie zum Eingang und schob die ächzende Tür auf. Sie warf mir noch einen mitleidigen Blick zu bevor sie knicksend verschwand. Die Wächter warfen mich nach draußen, sodass ich die Treppen hinunter taumelte und versuchte mein Gleichgewicht zu halten. Doch leider übersah ich die vorletzte Stufe und fiel zum zweiten Mal auf den gepflasterten Platz. Die beiden Männer schlossen hinter mir höhnisch lachend die Tür.

Während ich den Platz überquerte hielt ich den Kopf gesenkt, erst als ich die breite Straße betrat, die Theo und ich entlang gegangen waren drehte ich mich um. Er saß oben in seinem Zimmer am Fenster. Sein totenbleiches Gesicht war das letzte was ich von ihm sah. Ich drehte mich um und rannte fast zum Tor. Ich wollte nur weg von diesem trügerisch schönen Ort.

Slummy BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt