16. Ginnys Verlust

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Es fing langsam an zu donnern, als Ginny weinend an Hermines Schulter lag und die Welt in all ihrer Wucht und Schönheit unterzugehen schien.
,,Ginny. Ich weiß nicht, was genau in dir vorgeht, aber ich kann dir versichern dass alles gut wird.",sagte Hermine leise und legte den freien Arm um sie. Gideon schlief in ihrem anderen, der pappsatt und zufrieden im Schlaf schmatzte.
,,Ich hab das Gefühl, als wäre jeder tausende Meilen von mir entfernt, obwohl ich hier jeden Tag von Harry, Ron und Luna umzingelt bin. Und eigentlich sollte ich mittlerweile dich als meine beste Freundin nicht mehr so dringend und oft brauchen, aber- aber ich brauche dich einfach.",murmelte sie und schniefte. Hermine fuhr ihr beruhigend durch das rote Haar, wie es damals ihre Mutter bei ihr getan hatte, als sie klein war.
,,Und ich schäme mich so sehr für die Dinge die ich zu dir und Draco und über ihn selbst gesagt habe. Zwar werde ich niemals Draco als einen Freund ansehen können, aber er hat es nicht verdient von mir so behandelt zu werden. Und es wird mir hin und wieder passieren, dass ich ihn etwas zu scharf von der Seite anrede. Für Jahre hat er an Voldemort geglaubt und ihm letztlich gedient, der meinen Bruder umgebracht hat. Ich kann die Vergangenheit nicht einfach so begraben, Hermine."
In diesem Augenblick war sie wie eine welke, zarte Blume, die wehmütig vor ihrem eigenen Ende auf ihre besten Tage zurückblickte.
Fred war Ginnys Lieblingsbruder gewesen, weshalb hatte sie Hermine aber nie genau erklärt. Und nun lag sie hier, schweren Herzens und versuchte die Erinnerungen an ihn auszublenden.
,,Ich habe ihm schon vor langer Zeit vergeben. Aber ich werd's nie vergessen.",fügte sie hinzu.
,,Du wolltest mir doch etwas erklären, oder?",fragte Hermine und Ginny hob ihren Kopf.
,,Du hast ein wunderschönes Kind, Hermine. Ein noch so junges, gesundes Leben, das noch nicht weiß was dort draußen auf es wartet.",fing sie an und streichelte Gideons kleine Hand.
,,Wenn du nur wüsstest, Ginny.",dachte sich Hermine.
,,Der Grund weshalb ich hier im Bett liege und aussehe, als käme ich am Zahnfleisch dahergekrochen, ist dass vor fast einem Monat mein Baby gestorben ist. Einer meiner beiden Jungen."
Mit diesen Worten schlug Ginny die Bettdecke zur Seite. Ihr hellpinker Pyjama war von unten aufgeknöpft und gab eine deutliche Wölbung frei, die übersät mit festgeklebten Schläuchen war. Etwas unterhalb ihres Bauchnabels zog sich eine leicht entzündete Naht entlang.
,,Oh, Ginny. Ich-ich...",fing Hermine an und ihr Blick fiel auf den kleinen Plastikbeutel, der mit Pflaster an ihre Hüfte geklebt war. Eine lilafarbene Flüssigkeit schabbte darin herum, die Hermine an Frühlingsveilchen erinnerte.
,,Gibt es irgendetwas, das ich für dich tun kann?",fragte sie schließlich, als Ginny eine Träne von der Wange wischte.
,,Ich bin im siebten Monat und es ist nicht sicher ob das andere Baby es schafft. Die Operation war v-voller Komplikationen und sie hätten es fast verloren.",sagte sie und legte ihre Hand auf den Bauch, ,,Nur selten kann ich ihn strampeln fühlen. Und ich hab's schon lange nicht mehr gespürt."
Hermine drückte ihren Sohn näher an sich. Allein der Gedanke ihn zu verlieren zeriss ihr Herz in tausend Stücke. Auch wenn sie so oft Momente mit ihm durchlebte, die ihr den letzten Nerv raubten, würde sie für ihn sterben.
,,Willst du ihn einmal halten?",fragte Hermine und schluckte. Ginny sollte erfahren, dass Gideon etwas Besonderes war. Hermine konnte nicht noch ein weiteres Geheimnis bewahren.
Ihre beste Freundin nickte nur und streckte die Arme nach ihm aus.
,,Vorsichtig. Er schläft gerade so schön.",murmelte Hermine und platzierte ihn bedacht in Ginnys Arme.
Sie sah auf ihn hinab und legte die Stirn in Falten.
,,Mir wird so warm. Hermine was- warum ist es hier so warm?",fragte sie und hob den Kopf.
,,Es ist seine Aura, Ginny. Kannst du dich daran erinnern, als Professor Slughorn uns im letzten Schuljahr von einer Art Mensch erzählt hat, die tief in das Innere eines Anderen sehen und seine Seele heilen kann?"
Ihre beste Freundin schien fiebrig darüber nachzudenken, was sie meinte. Slughorn war nach dem Krieg ein ziemliches Nervenbündel geworden und plapperte ununterbrochen. Er redete so viel wirres Zeug, dass sogar Hermine irgendwann angefangen hatte gedanklich abzuschweifen.
,,Empatiker? Meinst du die?"
,,Der Begriff kommt eigentlich aus dem Lateinischen und heißt in der Mehrzahl eigentlich Empathici aber ja..."
Ginny hielt sich eine Hand vor den Mund und sog Luft ein.
,,Oh Merlin. Sag nicht dass Gideon ein Empaticus ist. Hermine, er ist doch ein Kind!",flüsterte sie zischend und strich über seine Wange.
Hermine nickte nur und beschloss zu schweigen.
,,Ist das der Grund weshalb Snape uns morgen besuchen kommt? Oh Hermine, du meine Güte. Mir fehlen die Worte.",stammelte Ginny und suchte Hermines Blick, in der ein Gefühl aus Angst und Verzweiflung brodelte.
,,Ja. Snape kennt sich angeblich damit aus und wird sich später um Gideon kümmern, wenn er in Hogwarts ist. Doch Gideon braucht auch jemanden, der für ihn da ist, sollte Draco und mir etwas zustoßen. Eigentlich wollten Draco und ich es vorhin Harry unten im Wohnzimmer erzählen, aber die blöde Posteule hat alles vermasselt. Nun ja, da Blaise nicht mehr unter uns weilt und Parkinson eine Katastrophe ist, haben wir dich und Harry zu Gideons Paten auserkoren und wollten euch fragen, ob ihr dieses Amt auch annehmen wollt.", druckste Hermine herum und knetete ihre gefalteten Hände.
,,Natürlich, Hermine. Liebend gern. Aber seit wann ist Zabini tot?"
In Spey Bay zu wohnen hatte wohl nicht gerade seine Vorteile wenn es um den neusten Stand der Dinge ging. Hermine spielte für eine Sekunde mit dem Gedanken nicht einfach ein Blatt Pergament mit den Worten ,,Zabini ist tot. Starb an einem Herzfehler. Beerdigung findet statt wenn sich seine senile Tante von der Urne trennen kann." an die Haustür zu nageln.
,,Ja, Draco hat ihn an Heiligabend tot gefunden, nur um ein wenig später nach Hause zu kommen und mich schreiend aus dem Schlafzimmer zu hören, weil ich seinen Sohn zur Welt brachte. Draco meinte er hatte einen Herzfehler. Und dass er mit ihm jeglichen Kontakt vermied, weil Zabini mich nicht akzeptiert hatte, macht es im Nachhinein nicht gerade besser. Die Beerdigung steht noch aus und Draco war schon nach der Einäscherung nervlich am Ende.",erzählte Hermine und zuckte zusammen, als es krachend donnerte. Der abendliche Horizont strahlte in einem satten lila und tauchte die grauen Gewitterwolken in ein dunkles Grau.
,,Er hatte sich komplett abgeschottet, wenn er selbst mit Zabini nichts mehr zu tun haben wollte. Wie ritterlich von ihm.",bemerkte Ginny und Hermine glaubte sogar ein Lächeln zu sehen.
,,Eher wie selbstverständlich von ihm. Immerhin saß ich damals schwanger im Manor, als Zabini ausgetickt war, weil Draco ihm die verheimlichte Beziehung mit mir und seine Vaterschaft gestand.",meinte Hermine und gähnte. Sie war mehr als todmüde und gab sich seit Tagen große Mühe ein einigermaßen glückliches Gesicht aufzusetzen und nicht überall einzuschlafen. Muttersein war hart, vor allem Nachts, wenn sie statt gesunden acht Stunden Schlaf ihre Zeit mit Stillen, Singen und Windelwickeln verbrachte. Und obwohl Draco ihr so viele Dinge abnahm und ihr half, fühlte sie sich schrecklich überfordert.
,,Draco hat dir einen ziemlichen Klunker angesteckt.",bemerkte Ginny und griff nach ihrer Hand, wo der dunkelgrüne Smaragd an ihrem Finger steckte. Silberne Rosen umrankten ihren Ringfinger und umfassten den funkelnden Stein.
,,Draco hat einen wundervollen Geschmack für Schmuck.",seufzte Ginny und beäugte den Ring fast schon sehnsüchtig, ,,Harry lässt den Antrag noch etwas warten. Die ganze Situation zur Zeit macht ihn einfach fertig."
,,War es deine Schwangerschaft geplant oder eine Überraschung gewesen? Harry klang in seinen Briefen danach, als möchte er noch etwas ruhen, bevor er sich ein Leben aufbaut und in die Geschäftswelt aufbricht. Und du hattest doch einen ausstehenden Vertrag mit den Holyhead Harpies?"
Es vergingen ein paar Sekunden, ehe Ginny antwortete. Als müsste sie erst gründlich überlegen, was sie sagen sollte.
,,Es war geplant, Hermine. Ich wollte Mutter werden. Und Harry wollte einfach eine Familie, die er nie hatte. Die Harpies haben mir angeboten nach der Elternzeit bei ihnen anzufangen. Doch ich weiß nicht, ob ich wirklich mein Leben mit einem Sport verbringen will, der mich auch auf eine gewisse Weise gefährdet, wenn Zuhause ein Kind auf mich wartet."
Früher hatte Hermine immer geglaubt Ginny würde das perfekte Vorzeigeleben bekommen. Mit einem Star der Zauberwelt als Partner an ihrer Seite, mit einer aufstrebenden Sportlerkarriere und einer glücklichen Familie, in der sie aufwachsen durfte.
Dass Ginny die wunderschöne rothaarige Sportlerin auf dem Cover der Wizarding Sports werden würde, die mit strahlendem Lächeln darin Exklusivinterviews gab.
Doch nun saß sie allein in einem engen Zimmer in einem Strandhaus mitten im Nirgendwo Schottlands und wartete darauf, dass ihre Schwangerschaft gesund vorüberging.
,,Ich glaube, du solltest Gideon Schlafen legen. In ein gemütliches Bettchen. Er sollte im Babyzimmer schlafen, das Harry und ich ursprünglich für die Zwillinge eingerichtet haben. Es liegt ein Schutz und Lärmzauber darauf, nur für alle Fälle.",meinte sie und reichte Hermine das Baby, ,,Damit du und Draco nebenan, nun ja unbesorgt eure Zweisamkeit genießen könnt. Das Haus ist rund um mit Babyphonen ausgestattet, ihr könnt Gideon also nicht überhören."
,,Bist du dir sicher? Ich- wir haben sogar ein Reisebettchen dabei."
,,Das Babybett hat uns ein Vermögen gekostet. Darin schläft Gideon so gut wie er noch nie zuvor geschlafen hat."
Hermine dachte über das Angebot nach, doch fühlte sich unwohl dabei ihren Sohn in einem Bett schlafen zu lassen, in dem eigentlich Ginnys Baby schlafen sollte.
,,Ginny, das kann ich nicht annehmen."
,,Jetzt hab dich nicht so, Hermine Granger. Außerdem nehme ich einmal an, dass du und Draco seit der Geburt keine Zeit zu zweit hattet. Lass ihn darin schlafen."

,,Und kann ich mir sicher sein, dass du heute Abend ohne mich zurecht kommst?",fragte Draco, der sich gegen die Tür des Gästenbadezimmers lehnte. Harry und Ron hatten Draco und Hermine angeboten heute Abend im Dorf auf paar Butterbier vorbeizuschauen, doch die junge Hexe hatte dankend abgelehnt. Der Gedanke, dass sie auch ein heißes Bad nehmen konnte, während der Kleine schlief, und sich für ein wenig aufs Ohr legen konnte, war um Einiges verlockender als ein paar Butterbier.
,,Ja, sei unbesorgt. Und bitte nenne Ron nicht mehr Weaselbee.",antwortete sie und schloss die Augen. Das heiße Wasser und das entspannende Schaumbad ließ in ihr eine innere Ruhe aufkommen, die sie schon seit langer Zeit nicht mehr verspürt hatte. Die Locken hatte sie unordentlich hochgesteckt und breitete sich in der großen Wanne aus.
,,Am liebsten wäre ich jetzt bei dir.",murmelte er.
Hermine konnte seinen Blick, der gierig an ihr klebte, förmlich spüren. Es war nun mehrere Wochen her, dass sie miteinander geschlafen hatten. Irgendwann hatte sie sich auf übelste Weise schwanger gefühlt und war meist zu müde für Dinge wie Sex. Und nun, drei Wochen nach der Geburt, hatte sie dass Gefühl ausgeleiert und unattraktiv zu sein. Ihr Bauch ging nur langsam zurück und hatte die Größe wie damals, als sie im sechsten Monat war.
,,Es tut dir gut einmal etwas mit Anderen außer mir zu unternehmen. Vor allem da du noch Einiges mit Harry und Ron nachzuholen hast. Begräbt endlich euer Kriegsbeil und stürzt Butterbier, was weiß ich.",sagte sie immer noch mit geschlossenen Augen.
,,Wartest du auf mich, bis ich wiederkomme? Ich bin nicht ewig mit Potter und Weasley aus.",fragte Draco.
,,Schätze schon. Vielleicht lese ich meinen Roman fertig oder döse ein bisschen vor mich hin."
,,Warten die da auch auf mich?",erkundigte sich der ehemalige Slytherin und deutete auf das schwarze Spitzenunterhöschen mit dem dazupassenden BH. Hermine öffnete ein Auge und seufzte.
,,Ich weiß nicht, Draco. Mein Körper ist nicht mehr wirklich wie früher. Und ich- ich bin noch nicht in der Form, in der ich gerne wäre."
,,Was redest du da? Du bist das Schönste, das mir je unter die Augen gekommen ist. Es ist doch vollkommen natürlich, dass dein Körper nicht sofort aus wie vor neun Monaten, nachdem du einen Menschen zur Welt gebracht hast. Ich hätte niemals einen Malfoy neun Monate mit mir herumtragen und ihn dann letztendlich unter Schmerzen herauspressen können.",sagte Draco und saß sich auf den Wannenrand.
,,Das ist lieb von dir, Draco."
,,Brauchst du noch was, bevor ich gehe? Ein Buch, Schokolade oder äh- Feuerwhisky?"
,,Sehr witzig, aber ich stille zurzeit deinen Sohn, falls es dir aufgefallen ist. Aber mit Schokolade wäre ich einverstanden."

Draco war bereits mehr als eine Stunde weg, als Hermine sich einen frischen Pyjama anzog und sich ins Bett legte. Die Petroleumlampe auf ihrem Nachttisch brannte und während sie vertieft ,,Von frühen Koboldsherrschaften" las, versuchte sie möglichst geräuschlos ein bisschen von Dracos Schokolade zu essen, die in Alufolie eingepackt war. Sie hatte Gideon letztendlich doch in das kleine Reisebett gelegt und es zum Fuße des Bettes aufgestellt, da sie ihr Neugeborenes noch bei sich im Schlafzimmer haben wollte. Egal wie nett Ginnys Angebot gewesen war, sie konnte sich nicht von ihrem Sohn trennen. Und gerade als sie das vorletzte Kapitel gelesen hatte, fing der kleine Malfoy an zu schreien.
Schnell sprang sie auf, eilte zu dem Bett und hob ihn in ihre Arme. Sie versuchte ihn zu stillen, doch er wollte nicht. Sie inspizierte seine trockene Windel und versuchte es dann mit summenden Schlafliedern, doch das klägliche Schreien wurde nur lauter.
,,Für Koliken ist er noch zu klein.",dachte sie sich und, als sie ihn ratlos wieder in sein Bettchen legte und das Kind betrachtete, welches noch immer aus vollsten Leibeskräften schrie.
Nach einer Weile zog sie ihn aus, weil sie sich völlig paranoid fragte, ob er nicht einen Ausschlag habe. Wie einen Weihnachtsbraten drehte sie das schreiende Baby zur Seite und maß sein Fieber. Nicht einmal ein Anzeichen von Ausschlag oder Fieber hatte er.
Mit frisch gewaschenem Strampler versuchte sie ihn erneut zu füttern, aber erfolglos. Der junge Malfoy schrie und schrie und bereitete der jungen Mutter nichts als Sorge.
Irgendwann griff sie nach dem Babyratgeber, den sie immer parat hatte, doch nicht einmal dieses Buch half ihr weiter. Es gab nichts auf dieser Welt, mit dem sie ihm helfen konnte. Geschweige denn hatte sie auch nur die leiseste Ahnung davon was sie noch tun konnte, damit er nicht mehr schrie.
Abermals wickelte sie das schreiende Kind in eine Decke ein und legte es in das Bettchen.
Das Blut kochte in ihren Adern und ihr war schrecklich heiß, als sie sich vor dem Bettchen auf dem Teppichboden niederließ. Ihre Finger umgriffen einen Gitterstab und als sie unermüdlich die Wiege hin und herschaukelte, brach etwas in ihr in tausend Scherben. Tränen kullerten über ihre Wangen und tropften auf ihr Pyjamaoberteil. Und als sie die Knie anzog und den Blick aus dem Fenster warf und die tiefschwarze, dunkle Nacht bewunderte, sagte sie sich immer wieder, dass sie niemals die Mutter sein konnte, die Gideon brauchte.

Saving Mr Malfoy. | Dramione Fanfiction (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt