Kapitel 70 - Ein guter Mensch

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~Was machst du denn da, du Idiot!? Willst du dich umbringen?~, fragte Catarina aufgebracht.

Sie hatte ihren Hut verloren, sodass ihr ihre langen, dunklen Haare in langen Strähnen herunterhingen. Ihre helle Bluse war ebenfalls komplett durchnässt, sodass man ihre kaffeebraune Haut darunter gut erkennen konnte und sie roch, selbst im Regen, stark nach Schwarzpulver.

Sie war wütend und mehr als angespannt, wohingegen Alec noch immer irgendwo zwischen Realität und Traum schwebte.

Sein Blick war leicht verklärt und er war so weggetreten, dass er noch nicht einmal die Nässe spürte, die ihm langsam ins Mark kroch.
Das schien Catarina furchtbar auf den Zeiger zu gehen, denn sie knurrte frustriert auf und ihre Hand knallte einmal mit voller Wucht gegen seine Wange.

Das hatte dieselbe Wirkung, wie Izzys Eimerdusche, mit der er an seinem Geburtstag immer aus dem Bett geholt wurde.

Plötzlich war er wieder hellwach und kniff erstmal die Augen zusammen, denn es war alles so laut. All die Schreie und das Krachen der Kanonen dröhnten in seinen Ohren, sodass er befürchtete, dass seine Trommelfelder bald platzen würden.

Die ganze Realität wirkte plötzlich viel intensiver auf ihn, als hätte er davor die ganze Zeit hinter einem Vorhang gestanden, der ihn vor dem Lärm und den Bildern beschützt hatte und jetzt zur Seite gezogen worden war.

~Ich ... Was ... Wo ist Izzy? Simon?~, waren seine ersten Fragen.
~Denen geht es gut, vorerst zumindest. Und jetzt hoch mit dir.~, befahl sie und erhob sich selbst wieder.

Ohne weitere Umschweife schubste sie den, mittlerweile toten, Steuermann -das faustgroße Loch in seiner Brust war kaum zu übersehen- weg und stellte sich selbst ans Ruder.

Alec folgte ihrem Befehl und vermied es, dem toten Leib zu seinen Füßen mehr Beachtung zu schenken. Ihm bekam der gefährliche Schaukelgang des Schiffes ohnehin nicht, da brauchte er nicht noch mehr Anreize, um sich zu übergeben.

~Wir müssen aus ihrem Schussfeld. Dringend. Wohin zeigt der Kompass?~, fragte Catarina knapp.

Ihr Blick war geradeaus gerichtet, als versuche sie, durch den dichten Nebel zu sehen, was eine Sache des Unmöglichen war.
Alec wollte ihr gerade sagen, dass er den Kompass bestimmt bei seinem Sturz hatte fallen lassen, als er etwas rundes Metallenes in seiner linken Handfläche spürte.

Er sah an sich hinab und erkannte doch tatsächlich Amor in seiner Hand, den er so fest umklammerte, dass ihm die filligranen Saphire unangenehm ins Fleisch stachen.
Er drehte den Kompass zu sich und sah, wie sich die kleine Nadel unschlüssig hin und her bewegte und schließlich exakt Richtung Bug der Warlock zeigte.

~Kurs halten.~, antwortete er ihr.

Wieder konzentrierte er sich ganz auf Magnus, aber dieses Mal achtete er darauf, sich nicht von dem Sog, der seine Seele auf wundersame Weise auf Reisen schickte, mitreißen zu lassen. Das hieß aber nicht, dass er nicht versuchte, alles um sich herum auszublenden, denn obwohl er äußerlich wohl sehr ruhig aussah, so zitterte er doch innerlich vor Angst.

Nach einem weiteren Krachen, gefolgt von einer Erschütterung, die so stark war, dass es Alec beinahe von den Füßen riss, sagte Catarina schnippisch ~Es geht nicht. Die Schattenjäger rupfen uns sonst, wie eine Weihnachtsgans.~
~Aber wir können nicht aufgeben.~, beharrte Alec und schwankte gefährlich, als die Warlock an einem scharfkantigen Felsen vorbeischrammte.

~Werden wir nicht~, antwortete Cat, während sie das Ruder herumriss~Viele Wege führen zur Hölle.~

Es war hart, laut und nichts für schwache Nerven, aber schlussendlich liefen sie auf einer schmalen Sandbank auf, außer Reichweite der Kanonen der Schattenjäger.

Es wurde auch höchste Zeit, denn die Warlock, der einstige Stolz jedes Hexenwesens, war nun nicht mehr als ein schimmernder Trümmerhaufen voller Leichen.
Alec wusste nicht, wie viele es noch geschafft hatten, oder wie viele gestorben waren, aber er kümmerte sich auch erstmal nicht darum.

Sobald seine Füße festen Boden unter sich spürten, rannte er los.

Er bekam auch noch nicht viel von der sagenumwobenen Insel Downworld-Island mit, denn zuerst strebte sein Mageninhalt danach, wieder ans Tageslicht zu kommen.

Er erbrach sich zitternd und würgend hinter einer Art Düne aus pechschwarzen und halb zu Glas erstarrten Sand. Das war einfach alles etwas zu viel für ihn gewesen und er war plötzlich unglaublich froh über die beinahe unheimliche Ruhe, die dieser Ort beherbergte.

Nachdem er sich seines überschüssigen Magneninhalts entledigt hatte, ließ er sich taumelnd auf dem Kamm der Düne nieder und atmete zitternd durch.

Dass die Düne von Glasscherben übersäht war, die ihm jetzt unangenehm in die Haut schnitten, war ihm egal. Er brauchte einfach nur einen kurzen Moment zum Durchatmen.

~Ist das nicht etwas unbequem?~, fragte ihn eine raue Stimme und kurz darauf saß Ragnor neben ihm.

Er trug einen langen, dunkelgrünen Mantel aus dicken Leder, der schwer an seinem hageren Leib herabhing. Allerdings schützte dieser ihn vor den Glasscherben, weshalb Alec ihn darum schier beneidete.

~Nein.~
~Stimmt. Denn nur, wenn man Schmerzen spürt, leidet ...~
~...dann kann man sich sicher sein, dass man noch existiert~, rezitierte Alec problemlos und mit einm taurigen Lächeln,~Ich, weiß, ich hab's gelesen. Auch wenn Schmerz nicht gerade meine Intension dabei war. Aber müsste das dich nicht erfreuen? Dass ich leide?~

~Sollte es mich erfreuen, dass gerade dutzende guter Schattenweltler feige von Schattenjägern niedergeschossen wurden? Nein, ich habe keinen Spaß daran.~
~Aber du hasst mich.~, warf Alec ein und erinnerte sich dabei nur zu gut daran, dass Ragnor ihm beinahe an die Gurgel gesprungen wäre. Im Zelt in der Grotte, als er erfahren hatte, dass Magnus ... wieder bei Sebastian war.

Ragnor zuckte die Schultern.
~Hassen, gut leiden, am liebsten bei der nächstbesten Gelegenheit umbringen ... Wo liegt da der Unterschied? Ich mag es nicht, dass du so einen Einfluss auf ihn hast. Ich hatte nämlich keine Lust, ihn wieder aus seinem Loch herauszuzerren. Die zehn Male davor haben mir gereicht. Ich mag es auch nicht, dass er, teilweise wegen dir, jetzt wieder bei diesem heuchlerischen Arsch ist. Und ich mag es ebenfalls nicht, dass mein Schiff, teilweise wegen dir, völlig zerbombt wurde.~, erklärte er ruhig.

~Aber?~
~Er mag dich und vertraut dir~, fuhr er nun fort und blickte dabei zu dem Ring, der an Alecs Finger glitzerte,~Und ich kann dir ansehen, dass es dir nicht anders ergeht. Ich habe es dir schonmal gesagt, ich habe kein Problem mit dir, wenn du versuchst, ihn auf Händen zu tragen. Der Versuch genügt mir bisher und außerdem hat mir Cat den Kopf gewaschen, dass Magnus mich umbringen würde, wenn ich dir auch nur ein Haar krümme.
Weiß du, warum ich dich zum Hexenmeister gemacht habe?~

~Damit ich vor allen anderen sprechen konnte und mir Gehör geschenkt wurde?~, fragte Alec. Ragnor wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.
~Auch, aber vorwiegend habe ich dich aufgenommen, weil ich etwas in der gesehen habe. Etwas, das mich an ihn erinnert hat. Es war ein ähnliches Feuer, welches, gut genutzt, viel Gutes erschaffen kann. Er hatte dasselbe, als ich ihn am Hafen gesehen habe. Vielleicht war es nur die Entscheidung eines langsam senil werdenden Manns, jedoch habe ich geglaubt, dass da etwas ganz Großes in dir steckt. Du hast das Zeug zu einem Helden, aber vor allem hast du das Zeug dazu, ein guter Mensch zu sein, der die richtigen Entscheidungen trifft. Ich glaube an dich, Alec Lightwood und wehe dir, du vermasselt das.~

Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt