37. Kapitel

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Summer:

Ich wollte an diesem Freitag erst gar nicht aufstehen, aber der Wecker war so nervig, dass ich mich doch überwand und mich fertig machte. Der Unterricht war in Ordnung, aber Kiera und ich waren besonders gespannt auf die AG, da wir erfahren wollten, was Mr. McEvans mit dem Obolus gesehen hatte. Wir erwarteten etwas außerordentlich Spannendes oder Aufschlussreiches. Ich meine, wenn man eine Zaubermünze von einer Nymphe bekommt, ist es doch auch berechtigt, dass die Erwartungen hoch sind. Es war sowieso total aufregend, wir hatten Nylasien gesehen und einige Wesen, die dort lebten. Ich würde es gerne besuchen, aber ich wusste nicht, ob das möglich war. Und außerdem war Mr. McEvans der weiße Erzmagier! Unser Magie-Lehrer. Damit hätte wohl niemals irgendjemand gerechnet.

Jedenfalls freuten wir uns darauf, den Obolus selbst zu verwenden und die Botschaft mit eigenen Augen zu sehen. Vielleicht konnte uns Dianoia noch weitere Tipps geben, oder sollte ich mal Fortuna fragen? Es war sowieso unglaublich, dass wir den Spiegel nun benutzen konnten. Es stellte sich nur die Frage, wie lange, bis wir abermals das Blut unseres Lehrers benötigen würden. 

So waren wir noch früher als so schon immer zur AG da und warteten ungeduldig vor der Tür des Klassenzimmers. Mr. McEvans kam kurz später herbeigeeilt und schloss schnell die Tür auf. Wir folgten ihm herein und machten die Tür hinter uns zu, schließlich sollten die anderen das Gespräch nicht mitbekommen, falls sie auch etwas früher da wären. "Was haben sie gesehen?", fragte Kiera neugierig und auch ich wollte es jetzt unbedingt wissen. Mr. McEvans, der gerade einige Gegenstände aus seiner Tasche holte, erstarrte kurz. Dann räusperte er sich: „Ich hatte euch ja versprochen, dass ich euch erzähle, was ich gesehen habe…“ Ich wechselte einen beunruhigten Blick mit Kiera. Das klang ganz so, als wolle er sein Versprechen nicht halten. Er blickte auf den Boden und seufzte tief, ehe er weiter sprach: „Es tut mir wirklich sehr, sehr Leid, aber ich kann nicht. Es war etwas … Persönliches.“ 

Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, während ich mir das durch den Kopf gehen ließ. Wenn es etwas war, das nur Mr. McEvans betraf, warum hatte das die Nymphe nicht gesagt oder darauf bestanden, dass er die Münze bekam? Und außerdem: Wenn wir den Obolus diese Nacht verwenden würden, dann würden wir es doch so oder so sehen. Von daher könnte er es uns auch mitteilen. Wir sahen ihn an und gaben erst mal keine Antwort. „Es geht einfach nicht. Könnt ihr das verstehen?“, er warf uns einen schuldbewussten Blick zu. Ich nickte und auch Kiera stimmte zu: „Ja, das ist schon verständlich.“ Der Lehrer lächelte, aber es wirkte gequält. „Hier“, er hielt Kiera die Münze hin, „Vielleicht habt ihr ja mehr Glück damit…“ Während meine beste Freundin die silberne Scheibe in ihrer Tasche verschwinden ließ, übermittelte sie mir telepathisch: „Bedeutet das, dass jeder etwas anderes sieht?“ Ratlos zuckte ich mit den Schultern. Aber es musste wohl so sein, sonst wäre es ja unlogisch, dass unser Lehrer sie uns überlassen hatte.

Da kam auf einmal John wortwörtlich durch die Tür und sah uns triumphierend an. „Wusste ich‘s doch!“ „Dir auch einen guten Tag“, gab Mr. McEvans zurück, war aber sichtlich belustigt. John riss jetzt die Türe auf und rief: „Ich hab euch ja gesagt, dass sie offen ist!“ Die übrigen, die brav draußen gewartet hatten, stimmten ihm murmelnd zu und begaben sich zu ihren Plätzen. John kam auf uns zu: „Hey Kiera!“ Er grinste breit. Ich fühlte mich irgendwie ignoriert. Sein Blick fiel auf mich. „Was zu- ... Hallo Summer.“ Er trat einen Schritt zurück. „Ist irgendetwas?“, ich schaute an mir hinab. „Nein, nein, alles gut. Ich muss David noch etwas sagen…“, langsam wich er zurück und eilte zu David, der am anderen Ende des Raumes stand. „Seltsam“, sprach Kiera genau das aus, was ich dachte. 

Während sich alle allmählich einfanden, fiel mir ein, dass ich da noch etwas vergessen hatte. Ich nickte Kiera zu und an die Tür, um auf den Gang hinaus zu schauen. Keine Spur von ihm. Ungeduldig trat ich von einem Bein auf das andere. Er hatte es doch versprochen. Bestimmt würde Mr. McEvans die Stunde gleich beginnen wollen.  Gerade wollte ich ziemlich enttäuscht den Kopf zurückziehen und die Tür schließen, da kam er in Sicht. Langsam und zögerlich. Erleichtert lief ich ihm entgegen: „Da bist du ja endlich, Liam!“ Er schenkte mir ein gequältes Lächeln: „Ich sollte das nicht machen…“ Entschlossen nahm ich seine Hand und zog ihn langsam zum Klassenzimmer: „Doch. Das wird total Spaß machen. Und außerdem musst du deine Fähigkeiten doch nicht geheim  halten, oder? Das hat dein Vater nicht gesagt…“ „Ja…“, seufzte er und fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare. „Dann los!“, rief ich und zerrte ihn in den Raum. 

Midnight Academy - Spiel mit dem SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt