Bonus 2: Die Nachbarin

10 1 0
                                    

"Mason, würdest du bitte einen Augenblick warten?" fragte die Nachbarin sanft, während sie auf ihren Sohn hinunterblickte. 
"Ja Mama" antwortete er und setzte sich auf die Stufe. 

Mary, welche seit Jahren die Nachbarin von Familie Winter war beilte sich. Sie huschte durch den Flur zum Küchentisch, auf welchem sie glaubte ihre Autoschlüssel zu finden, doch dort waren sie nicht. 
"Scheiße" sagte sie leise zu sich und durchsuchte ihre Tasche. Auch nicht. 
Sie ging durch ins Wohnzimmer und fand ihre Schlüssel, sowie ihr Handy dort. 
"Mein Chef..." sagte sie leise, als sie auf den Display schaute und den Anruf in Abwesenheit erkannte. 

Eilig lief sie nach draußen, nur um zu sehen wie Herr Winter mit ihrem Sohn sprach. 
"Mason!" rief sie und eilte die kleinen Stufen des Hauses hinunter. 
"Guten Abend Mary" sagte Herr Winter und grinste finster. 
"Ich habe ihnen schon einmal gesagt, dass sie meinen Sohn in Ruhe lassen sollen!" sagte die Mutter vorwurfsvoll und stellte sich vor ihren Sohn. 
"Aber warum Mama? Herr Winter ist immer nett zu mir" sagte ihr Sohn, welcher die Bedenken seiner Mutter nicht nachvollziehen konnte. 
"Geh bitte schon einmal rein Mason ja?" sagte sie, als sie sich umdrehte und sich hinhockte. 
"Aber Mama..." versuchte er zu antworten.
"Nein! Geh rein!" sagte sie ernst. 

Etwas genervt verließ der Junge das Gespräch und ging ins Haus. 
"In diesem Alter lassen sie sich noch was sagen" antworte Herr Winter darauf hin und grinste. 
"Ich sage es jetzt noch einmal in Ruhe... Lassen sie meinen Sohn in Ruhe!" sagte Mary ernst. 
"Wissen sie... Mason hat großes Potenzial... Aus ihm könnte einmal was großes werden" sagte Herr Winter unbeeindruckt. 
"Aus Kai hätte auch etwas großes werden können" antwortete die Frau und brach den Blickkontakt mit Herr Winter ab. 
"Kai... Sie kennen ihn wohl noch wie?" fragte Herr Winter. 
"Ja. Ich habe ihn nicht vergessen. Er war ein guter Junge" sagte Mary überzeugt. 
"Kai ist aber nicht hier" antwortete Herr Winter und ging einen Schritt vom Zaun zurück, an welchem er bis eben stand. 
"Tun sie nicht so wie als würde es sie interessieren. Er hat ihnen nie etwas bedeutet" warf sie vor. 
"Kai hatte immer schon mehr genommen als gegeben" sagte Herr Winter und verließ das Gespräch. 

Während Mary zurück in ihr Haus ging wurde ihr Kopf von Erinnerungen an den Jungen durchströmt...

Damals...

Mary stand in der Küche und trank eine Tasse Tee... Sie schaute aus dem Fenster hinüber zu Familie Winter. Die wütenden Rufe des Vaters hörte sie durch das angeklappte Fenster. 
"Du bist nichts! Du bist Abschaum! Verschwinde! Raus!" brüllte der Vater in einem lallenden Unterton. 
"Papa... Wo soll ich denn hin? Es tut mir leid!" antworte der Junge unsicher. 
"Du machst dich jetzt aus dem Haus raus sonst zeige ich dir gleich mal was dir leid tut!" brüllte der Vater so laut, dass Mary zusammenzuckte. 

Es war mal wieder einer dieser Nächte... Oft schrie der Vater Stundenlang auf seinen Sohn ein, bis er dann endlich Ruhe gab oder Kai das Haus verließ. 

Die Tür des Hauses öffnete sich und riss Mary aus ihren Gedanken. 

"Raus! Geh auf die Straße wo du hingehörst du Ratte!" brüllte Herr Winter und warf die Tür zu. 
Schockiert blickte die Frischgebackene Mutter hinaus. Dort stand der Junge, lediglich in einer Unterhose. Draußen war es kalt und Spätherbst. 

Empört ging sie zur Tür und ging hinaus auf die kleine Terrasse. 
"Kai?" fragte sie unsicher. 
"Oh... Hey" sagte der Junge unsicher. Wen wunderte es? Die Situation war ihm unglaublich Unangenehm. 
"Möchtest du hineinkommen?" fragte sie in weicher Stimme. 
"Es geht schon... Wir... Ich bekomme das hin wirklich" antworte er ihr unsicher, versuchte aber überzeugt zu wirken. 
Mary aber wusste es besser. 
"Bitte Kai. Ich koche dir einen Tee" sagte sie sanft. 
"Okay..." antworte der Junge dann und kam zu ihr ins Haus. 

"Das ist mir unglaublich peinlich..." gestand er ihr, als er am Küchentisch saß. Mary hatte ihm eine Decke umgelegt. 
"Du kannst ja nichts dafür Kai" antworte sie ihm und stellte eine heiße Tasse Tee direkt vor ihn. 
"Danke Frau..." 
"Mary, sage Mary zu mir" antworte sie ihm ehe er seinen Satz beenden konnte. 

Für einen kurzen Moment war es ruhig. 
"Schläft Mason schon?" fragte Kai dann und schaute sich um. 
"Ja, schon seit einer Stunde" antworte Mary und setze sich zu ihm an den Tisch. 
"Schade. Ich hoffe es geht ihm gut" sagte Kai interessiert und lächelte aufrichtig. 
"Keine Sorge es geht ihm super. Mach dir keine Gedanken um ihn" antworte die Frau und seufzte. 
"Ich mache mir mehr Gedanken um dich Kai" fügte sie dann hinzu und schaute dem Jungen ins Gesicht. 
"Das brauchen sie nicht. Ich komme zurecht" antworte Kai ihr und brachte ein kleines gequältes lächeln hervor. 
"Ich höre deinen Vater oft schreien Kai. Kannst du die Nacht nicht wo anders verbringen? Bei einem Freund oder so?" fragte sie besorgt. 
Kai schaute stutzig nach links. 
"Ich hab nicht so viele Freunde..." antwortete er bedrückt und rührte in seinem Tee. 
Mary sagte einen Moment lang gar nichts. 
"Dann bleibe doch hier" schlug sie dann vor. 

Auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, aber ihr Herz war zerfressen von Mitleid für den Armen Jungen. 

"Danke... Mary" sagte Kai aufrichtig und lächelte sanft. 
"Wissen sie... Mason hat unglaubliches Glück eine Mutter wie sie zu haben" fügte er dann hinzu. 
"Das ist lieb Kai" antworte sie, dennoch erkannte sie den Schmerz in den Worten des Jungen. 

Kai trank seinen Tee und die beiden unterhielten sich noch ein wenig. 

Kurz bevor Mary zu Bett ging sagte Kai jedoch etwas, was sie bis zum heutigen Tag verfolgte. 
"Gute Nacht Kai" sagte sie und ging in Richtung Schlafzimmer. 
"Gute Nacht Mary... kann ich dich noch etwas fragen?" sagte der Junge zögernd. 
"Natürlich Kai" antworte Mary nichtsahnend. 
"Können sie die Tür ein Stück auflassen? Ich... Ich habe schreckliche Angst alleine zu sein" sagte der Junge. Mary war überrascht, schließlich war er ja schon fast Erwachsen. 
"Wenn du das möchtest" antworte Mary aufrichtig. 

Und dennoch halten ihr die Worte im Kopf umher. 

Wenige Tage später verschwand Kai... 

Und heute... 

Wieder sitzt sie an dem Tisch, wo sie einst mit Kai gesessen hatte. Und auch wenn es schon Jahre her ist wirkt die Erinnerung immer noch so klar in ihrem Verstand...

Der HinterbliebeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt