Der Hinterbliebene

Bonus 3: Ausbildung

Miller saß in dem völlig überfüllten Prüfungsraum. Im Raum war es still, alles was man hörte war das klicken der Kugelschreiber, das Geräusch von Radierern oder einige Anspitzer. Es war der Tag seiner Abschlussprüfung. Lange hatte er sich auf diesen Moment vorbereitet und der Schweiß stand auf seiner Stirn. Auch Jahre danach erinnert er sich noch an diesen Moment, aber nichts war so Eindrucksvoll wie das, was ihm danach passiert ist... 

Um genau zu sein war es die Auswertung 14 Tagen später. 

"Miller, Ich habe eine Frage" sagte sein Prüfer am Ende des Gesprächs. Miller selbst war schon dabei aufzustehen. 
Der ältere Mann schaute in sein Gesicht. 
"Der Job des Polizisten scheint ihnen ohne Frage viel zu Bedeuten. Sie wollen Menschen helfen richtig?" fragte der Prüfer und schaute über seine Brille. 
"Ja Sir. Dafür bin ich hier" sagte Müller stolz. Er war ganz Euphorisch, schließlich hatte er die Prüfung bestanden. 
"Der Beruf des Polizisten bedeutet nicht immer der "Gute" zu sein..." fing der Prüfer an. 
"Wie meinen sie das?" fragte Miller verwundert. 
"Ihre Prüfung, so gut wie sie auch war, lässt darauf schließen das sie ein Idealist sind. Stehts darauf aus das beste zu erreichen und jeden Befehl klar zu befolgen" fuhr er fort, während er auf den Auswertungsbogen vor ihm schaute. 
"Genau. Ein Polizist, welcher nicht in der Lage ist auf seinen Vorgesetzten zu hören schwächt nur das Team und gefährdet jede Ermittlung" antwortete Miller. Schließlich war es das was ihm die letzten Jahre beigebracht wurde. Er wurde zunehmend misstrauisch gegenüber seinem Prüfer. 

"Lassen sie mich mal eine Geschichte erzählen" fing er nach einer kurzen Pause an. "Damals als ich frisch im Dienst war gab es diesen Fall, ich war vielleicht 20. Ein kleines Mädchen wurde von ihrem Vater misshandelt. Über Jahre hinweg. Eines Tages wurden wir gerufen. Panische Alte Nachbarin meinte, dass der Vater auf sie eingeschlagen hat. 

"..Als wir in das Haus kamen..."

"Hände hoch! Polizei!" rief er dem Mann zu, welcher mit einem Gürtel auf das vielleicht 14 Jahre alte Mädchen schlug.

"..War ich bereit den Mistkerl festzunehmen. Mehr noch, Ich wünschte mir ich hätte damals den verfluchten Abzug meiner Waffe gedrückt. Doch das habe ich nicht. Warum? Mir war es verboten. Ich hatte Angst davor. Wir haben ihn ins Revier gebracht und mein damaliger Vorgesetzter meinte er übernimmt von da an. Nicht einmal zwei Wochen später hat er ihn nach Hause geschickt. Ihm wurde ein Alkoholentzug verordnet. Nicht einmal den Umgang mit der Tochter haben sie ihm verboten. Wenige Tage später wurden wir wieder gerufen. Der kranke Bastard hat seine Tochter zu Tode Geprügelt. Einfach so. Das kleine Ding lag Tod in der Küche, während der Typ vor der Glotze saß und gesoffen hat" 

Die gesamte Geschichte über wirkte der Prüfer, welcher Langjährige Polizeierfahrung hat, abwesend. Es war wie als würde er die Erinnerung an diesen Tag noch einmal durchleben.

"... Und als ich in die ängstlichen Augen des Mädchens schaute wusste ich einfach, dass es meine Schuld war. Ich hätte schießen sollen und das Mädchen wäre heute noch am Leben"..." 

Er beendete seine Geschichte mit einem Seufzten. 
"Wissen sie Miller, in unserem Job bedeutet Menschen helfen manchmal auch Menschen zu töten. Natürlich sollten wir nicht bei jeder Gelegenheit abdrücken, aber wenn sie irgendwann einmal in eine ähnliche Lage kommen sollten... Zögern sie nicht. Es gibt Menschen, kranke Menschen, welche eine Gefahr sind. Und sobald sie zu einer Gefahr für andere werden dürfen wir nicht zögern" sagte er mahnend und schaute dem Jungen Mann tief in die Augen. 

"Entschuldige die Lebensgeschichte. Es ist nur... manchmal passieren Dinge, welche dich auch Jahre danach noch verfolgen. Manchmal entscheidet man sich falsch und bereut das dann. Auch du wirst viele Entscheidungen treffen... Denke einfach an meine Worte, falls du irgendwann einmal derjenige bist, der über Leben und Tod entscheiden darf..."

"Danke Sir" sagte Miller etwas überrascht. Eine sehr emotionale Geschichte, welche sich in seinen Kopf ein brannte. Wieso weiß er nicht, vielleicht weil das Bild, was der Prüfer ihm gab sich einfach in seinen Kopf brannte. Die ängstlichen Augen eines jungen Mädchens, welche auf Schutz angewiesen war und doch keinen bekam. 

Und auch so viele Jahre später dachte Miller an diese Geschichte. Er wusste, dass wenn irgendwann der Tag kommt, wo er über richtig und falsch entscheiden muss. Wo er entscheidet wer lebt und wer stirbt...