Kapitel 4 - wer braucht so einen großen Lift?

302 17 3
                                    

"Ich muss sagen, es überrascht mich nicht. Es passt irgendwie zu Jess."

2 Wochen habe ich gebraucht um diese Information zu bekommen. So wichtig war sie mir wohl nicht. Schwarze Haare, grüne Augen heißt wohl Jess. Susan und Anne kommentieren gerade meine Beobachtung am Samstag. Ich würde lieber einfach meinen Kaffee genießen.

"Wirklich? Auf mich wirkte er immer so uninteressiert in alles was weiblich ist."

"Betrunken auf einer Party ist ja etwas anderes."

Mit einem Löffel rühre ich mein Cappuccino-Herz um. In der Ferne sehe ich ein sehr lecker ausschauendes Stück Kuchen.

"Ja Susan, wie ist es so betrunken auf einer Party?"

Über ihren Fenster-Jungen haben wir heute schon ausführlich gesprochen. Kyle. Er spielt Basketball, hat ein eigenes Poolhaus und andere Vorzüge, die heute auch im Detail erörtert wurden.

"Will noch jemand ein Stück Kuchen?" Beide schütteln ihren Kopf und kehren wieder zum alten Thema zurück.

An der Kassa fühle ich eine Hand an meiner Schulter. Überrascht drehe ich mich um.

"Hi, Junia."

James steht mit einem großen Cafe latte vor mir. In der anderen Hand hat er drei Bücher, die er nur mit Not balanciert.

"Irgendwann wirst du dich verbrennen.", kommentiere ich, was ihn zum lächeln bringt.

"Bist du heute noch wo lernen?"

"Meine Mutter kommt heute mit ihren Freund auf Besuch und bringt mir meine restlichen Sachen. Aber morgen bin ich den ganzen Tag lernen."

"Sehr gut, sollen wir uns morgen am Abend abprüfen?"

"Ja, sehr gerne, obwohl du sicher viel mehr weißt als ich."

"Ach nein, wieso denn? Ich schick dir dann meine Adresse."

Er ergreift die Chance, dass die Tür gerade offen ist und balanciert seine Bücher nach draußen.

Seine Adresse?

"Seine Adresse?", fragen mich auch Susan und Anne.

"Abend ist die Bibliothek ja geschlossen."

Beide schauen mich ungläubig an, schütteln ihren Kopf und klauen ein Stück von meinem Kuchen.

"Du bist naiv. Man ist dieser Kuchen gut."

-

Meine Mutter und ihr Freund Florian läuten um Punkt acht an und unterbrechen einen Nervenzusammenbruch. In weniger als 48 Stunden habe ich mein erste Prüfung auf der Universität und ich fühle mich schlechter vorbereitet als vor drei Tagen.

Sie stellen alle meine Sachen in mein Zimmer, meine Mutter verschwindet für ein paar Minuten in mein Bad, dass danach plötzlich viel sauberer aussieht und dann laden sie mich noch auf ein Essen beim Italiener gegenüber ein. Sie sind gut gelaunt, plaudern über Arbeit, Sternat, meinen Bruder und wie einfach etwas im Haus fehlt, seit ich nicht mehr hier bin. Als Florian kurz am Klo ist fragt sie mich auch, ob es mir schon besser geht. Wegen der ganzen Sache mit du weißt schon wem.

Ich erzähle ihr von meinen neuen, tollen Freundinnen und den Massen an Fakten, die mich von Allem sehr gut ablenken. Sie wirkt erleichtert und umarmt mich zum Abschied noch einmal ganz fest.

"Wir sehen hoffentlich bald wieder, Junia."

Und schon bin ich wieder alleine mit meinen Büchern. Das wird wohl eine lange Nacht.

-

5 Kaffees, drei Vorlesungen und einer langen Bibliotheks-Session später stehe ich vor dem Gebäude von James. Die Klingel wird mit Touchscreen bedient und der Lift ist ungefähr so groß wie meine Küche. Ganz oben angekommen muss ich zuerst mal staunen.

"Du wohnst hier also alleine?"

Ein riesiges Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Fitnessraum, Schlafzimmer, zwei Bäder und eine riesige Dachterasse.

"Man sieht die ganze Stadt!" Begeistert stürme ich nach draußen.

"Dein Vater ist nicht irgendwie der Chef von Apple oderso?"

"Nein, er ist Herzchirurg."

Das erklärt Einiges.

"Wo sollen wir lernen?"

Er zeigt auf den Lernbereich im Wohnzimmer, wo schon Snacks und eine riesige Tasse Herrlichkeit bereitstehen.

"Ich weiß wie gerne du Kaffee trinkst also..."

"Ich glaube ich lerne jetzt immer hier! Du wirst mich nicht mehr los."

Wir setzen uns hin und schon beginnt die Prüferei. Wir gehen alles mehrmals durch, jeder bekommt jede Frage mindestens drei mal. Beim dritten Durchgang kann ich alles schon in und auswendig.

"Nein ich habe in einem Journal gelesen, dass es da verschiedene Varianten der Anordnung gibt.", erzähle ich ihm und kann gar nicht glauben, dass ich James gerade etwas erkläre.

"Das wird locker klappen morgen Junia, du musst dir wirklich keine Sorgen machen."

"Du auch nicht, du weißt mehr als jedes Buch!"

Er lächelt mich an. Glücklich lächle ich zurück. Endlich fühle ich mich bereit für dieses Studium.

Ich höre ein Geräusch aus der Küche und James holt eine neue Ladung Popcorn. Mein Handy leuchtet auf. Eine Nachricht von Nadine und eine von Anne.

'Junia, wir müssen unbedingt reden. Rufst du mich morgen an? Viel Glück übrigens!'

'Wie läuft dein Date? Jess hat heute nach dir gefragt.'

Nachdem ich meine Augen verdrehen antworte ich beiden. Wieso fragt Mister Unsympathisch nach mir? Und wieso ist das wichtig genug, dass sie mir deswegen schreibt? Und was will Nadine mir erzählen?

James setzt sich wieder auf den Platz neben mir und geht noch einmal alle Arterien des Armes durch, während ich nachdenklich das Popcorn esse. Mein Leben scheint wieder etwas spannender zu werden.

Nach sechs Monaten, in denen ich mich nicht wie ich selbst gefühlt habe, scheint alles wieder ein bisschen seinen Platz zu finden und es schleicht sich wieder ein bisschen gute Aufregung in mein Leben. Und ich weiß nicht, wie sehr mir das gefällt.

Ich weiß nur, dass ich morgen meinem Anatomieprofessor zeigen will, was ich kann.

"Arteria subclavia hat welche Äste, Junia?"

Nach einer weiteren Stunde lernen machen wir noch eine kurze Pause auf der Terrasse. James erzählt von seiner Familie und fragt mich ein bisschen über Sternat aus. Ich erzähle ihm nicht alles, doch ein bisschen mehr als mir lieb ist.

Irgendwann ist es spät und ich werde müde.

"Schlaf ist wohl auch wichtig.", sage ich und suche nach meiner Jacke.

"Wir sehen uns morgen."

"Ja, big day."

Und schon befinde ich mich wieder im riesigen Lift.

Nur für acht Personen?

Hier passen mindestens 20 rein.

Die Neue Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt