Kapitel 24 - Wo ist das Popcorn?

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"Ich habe schon vergessen wie du aussiehst.", flüstert er mir ins Ohr.

"So wie ich die letzten Tage ausgesehen habe, ist das auch gut so."

Seine Hand berührt meinen Nacken und er zieht meine Gesicht in seine Richtung.

Ein sanfter Kuss wird begleitet von einem warmen, muskulösen Arm, der meine Taille umschlingt.

"Ach ich würde dich gerne mal so sehen."

"Glaub mir, das würdest du nicht."

Er küsst mich noch einmal, diesmal ein bisschen hungriger.

"Du, Jess?", unterbreche ich den Kuss für eine Sekunde.

"Ja?"

"Was machst du in den Frühlingsferien?"

"Da habe ich eine Weltreise geplant."

Ich schubse ihn weg von mir.

"Also hast du Zeit?"

Er fängt an zu schmollen, also küsse ich ihn wieder.

"Ja."

Und schon wieder, dieser hungrige Kuss von vorher.

"Mein Bruder hat da seine Hochzeit."

"Und du brauchst eine Begleitung?"

"Siehst du, du verstehst es ja doch!"

"Da ist dir niemand Besseres eingefallen als ich?"

"Die haben alle 'nein' gesagt."

Jetzt schubst er mich weg und verdreht die Augen.

"Du bist blöd."

"Du hast angefangen."

"Also?"

"Da du so verzweifelt bist, dass du sogar mich fragst, muss ich ja fast 'ja' sagen."

Wir küssen uns ein letztes Mal und machen uns auf den Weg in Richtung Vortrag. Da dieser heute verpflichtend ist, sind schon einige Plätze besetzt.

"Ich geh noch schnell auf die Toilette, besetzt du mir einen Platz?"

Er nickt und wir verlieren uns. Am Weg zu den Toiletten sehe ich aus dem Fenster ein Mädchen mit roten Haaren den Hof entlang spazieren.

Neben ihr geht ein guter Freund von mir.

Er hält ihren Arm fest und sieht sie mit sanften Augen an. Sie reißt sich los und fängt an zur Eingangstür zu gehen.

Wo ist das Popcorn wenn man es braucht?

Gerade als ich denke, die Szene ist vorbei, sehe ich wie das rothaarige Mädchen wieder zurück geht.

Der Junge sieht sie überrascht an, ich sehe sie aus dem Fenster ein Stockwerk höher überrascht an.

Und dann küsst sie ihn einfach.

Spätestens jetzt wäre mir das Popcorn aus den Händen geflogen.

-

Die ganze Vorlesung lang fliegen verschieden Gedanken durch meinen Kopf.  Es ist eine Mischung aus den vielen Fakten, mit denen uns der Professor gerade überschüttet, die Sorge um meine große Prüfung, die ich nächste Woche habe und:

WAS ZUR HÖLLE SOLL ICH MIT MEINER NEU GEWONNENEN BEOBACHTUNG ANFANGEN?

Soll ich sie darauf ansprechen? Soll ich ihn darauf ansprechen?

Soll ich gar nichts sagen?

Immer wieder wandern meine Augen zu den Beiden. James sitzt in der ersten Reihe und ist vertieft in die vielen Worte des Professors, sein Stift ist gezückt und jederzeit bereit eine Notiz zu erstellen. Anne hat noch einen Platz in der letzen Reihe bekommen, sie plaudert gerade mit dem Mädchen neben ihr und hat nicht einmal ihren Laptop dabei.

Die beiden? Das hätte ich mir in hundert Jahren nicht gedacht. Ich dachte einfach es tut James gut, meine Freundinnen kennenzulernen.

Ich bin halt einfach Amor. Ein Amor, der durch zufall Menschen zusammenbringt.

Junia Bennet, die Liebesärztin.

Und da verschwindet meine Karriere als Starchirurgin.

Ich konzentriere mich mit viel Müh und Not auf den Vortrag und versuche alles zu verstehen.

Die letzten Minuten des ersten Semesters vergehen und ich schließe meine Augen, um das alles noch einmal zu realisieren. Ein Semester geschafft.

Ein Semester Freundschaft, Fakten, Medizin.

Kurz überkommt mich das Gefühl, dass irgendetwas nicht richtig ist.

Doch ich tue was ich am besten kann: Ich schüttle es ab.

Jess nimmt meine Hand, als sich der Professor von uns verabschiedet, uns gratuliert und uns viel Glück für die Prüfungen wünscht. Nervosität macht sich im Raum breit.

Die erste großen Prüfungen, die erste Hürde.

Die Menschenmenge verteilt sich in den verschiedenen Bibliotheken, an den Kaffeeautomaten und den To-Go-Ständen. Es folgen fünf Tage durch Bücher blättern, Textmarker leeren und Schlaf vernachlässigen.

Das Leben, wie man es sich vorgestellt hat

Und dann ist der Tag da, an dem wir uns im Hörsaal wiederfinden. Diesmal hat man einen zugeteilten Platz und sitzt mindestens zwei Sitze entfernt vom Nachbar.

Die Zettel werden ausgeteilt, ein ganzer Stapel für den man ab jetzt vier Stunden Zeit hat.

Meine Finger greifen nach meinem Kulli.

Einatmen, Ausatmen, Beruhigen.

Und es geht los. Die blaue Farbe verteilt sich über meinen Prüfungsbogen und die Zeiger der Uhr machen ihre Runden. Tik und Tok und schon sind wir an der letzten Seite angelangt.

Einen Kontrollgang später verlasse ich gemeinsam mit meinen Freunden das Gebäude. Ich spüre, wie der Adrenalinschub langsam meinen Körper verlässt und wie ich gar nicht fassen kann, was ich gerade gemacht habe. Meine erste richtige Abschlussprüfung.

Fertig.

Und es war gar nicht so schlimm.

Wir bilden einen Kreis im Innenhof und reden über die letzten vier Stunden. Ich höre nur teilweise zu, antworte Nicki und Mark auf ihre Glückwünsch-SMS und starre Jess an.

Er wirkt auch ruhig.

James stellt sich neben mich und beschwert sich über eine Aufgabe, doch auch ihm kann ich nicht folgen.

"Ich glaube ich brauche jetzt eine Nacht richtigen Schlaf."

Susan schüttelt nur ihren Kopf.

"Nichts da Junia, wir gehen heute feiern!"

"Muss das sein?"

Wieso muss ich so motivierte Freundinnen haben?

Die Neue Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt