Kapitel 1

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Tunesien, Nordafrika

Ein warmer Wind kam auf. Die raren Gebüsche und Gräser tanzten in seiner Bewegung. Es war dunkel. Am Horizont ging gerade die Sonne über den Norden Afrikas, Tunesien, unter. Sie tauchte den Himmel in gelb, orange und rosa bis sie in einem unheilvollen Rot das Meer küsste.
Das Gezwitscher der Vögel verstummte langsam und kühle Stille legte sich über die Landschaft.
Khaled Alaa hob den Kopf zu dem bald mitternachtsblauen Himmel.
Ja, es war soweit. Heute Nacht würde es geschehen.
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem grausamen Lächeln. Sein Zauberstab zuckte in seine Hand. Er richtete ihn zum Himmel. Seine schwarzen Augen funkelten im Licht des Mondes und der unzähligen Sterne am Himmelszelt. Er murmelte etwas vor sich hin. Die Nacht verschluckte seine Worte in ihrer Finsternis.
Es zuckte. Grelle Blitze jagten über den Himmel, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Sie erhellten das dunkle Firmament auf grauenerregende Weise.
Sein Lächeln wurde breiter. Es hatte begonnen. Die Stämme im ganzen Land würden sich ihm entweder unterwerfen oder zugrunde gehen. Die Zeit war gekommen. Sie rieselte wie Sand zwischen den Fingern hindurch und Khaled Alaa war bereit sie zu vernichten. Genau wie er die Ketten um sein Volk sprengen würde.
Es war Zeit für die Versklavten sich zu erheben.

Nurmengard Castle, Österreich

Gellert stand unbewegt vor den großen Fenstern im Innern seines Schlosses. Der Schnee in den Bergen war zum Erliegen gekommen und glitzerte und glänzte unter den warmen Strahlen der aufsteigenden Sonne.
Wie so oft in letzter Zeit starrte er nachdenklich auf die kalte Landschaft, die sich vor ihm bis zum Horizont erstreckte.
Es würde nicht mehr lange dauern bis seine Hauselfen das Frühstück zubereitet hatten und seine Tochter aufstehen würde. Manchmal fragte er sich, ob es richtig war, seine Tochter bei sich zu behalten. Heute war wieder einer dieser Tage. Nachdenklich verschränkte er seine Arme hinter seinem Rücken.
Ob sie wohl glücklich war? Hier, alleine, in der Abgeschiedenheit von Nurmengard Castle? Nur mit ihm, seinen Hauselfen und ihren zwei engsten Vertrauten Vinda Rosier und Queenie Goldsteen.
Die zwei Frauen waren seiner Tochter eine gute Gesellschaft, doch er ahnte, dass sie sich nach der Gesellschaft eines anderen verzehrte. Einer Gesellschaft, die seine zwei Anhängerinnen ihr nie geben könnten.
Gellerts Blick wurde unweigerlich härter als er an den amerikanischen Direktor für magische Strafverfolgung dachte, der das Herz seiner Tochter gestohlen hatte.
Schweren Herzens seufzte er auf als er seine Entscheidung traf.
Es klopfte leicht.
Die Tür schwang auf.
„Linni hat das Essen vorbereitet, Meister.", piepste die Stimme seiner ältesten Hauselfin.
„Danke Linni."
Er drehte sich um und ging in den großen Salon. An dem dunklen Tisch saßen die drei Ladys schon, die er in seinem Schloss beherbergte.
„Guten Morgen!", grüßte er mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Wie erwartet gaben die drei seine Worte ehrerbietig zurück.
Gemeinsam speisten sie. Bevor Lara ihren zwei Freundinnen folgen konnte, hielt Gellert sie auf.
„Warte einen Moment, Prinzessin. Ich habe etwas mit dir zu besprechen."
Sie nickte und setzte sich wieder auf ihren Platz während Queenie und Vinda den Salon verließen.
„Was gibt es, Dad?"
„Ich habe lange nachgedacht. Du bist hier nicht glücklich, nicht wahr?"
Sie lehnte sich zurück und sah auf. Ihre Blicke begegneten sich und jetzt konnte Gellert die gesamte Traurigkeit, die sie in ihrem Innern verschloss, erkennen.
„Du kannst gehen. Wenn du möchtest, Prinzessin. Kehre zu Graves zurück, wenn er es ist, nach dem du dich sehnst."
Tränen traten ihr in die Augen und sie stand auf um ihren Vater zu umarmen.
„Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Ich wollte dich nicht verletzen, Dad!", flüsterte sie.
„Ist schon gut, meine kleine Prinzessin! Ich werde immer für dich da sein. Vergiss das niemals, wenn du in Amerika bist!"
Fest sah er ihr in die eisig blauen Augen.
Sie nickte.
Er ließ sie gehen.
Würde das der Anfang sein? Der Anfang seines Leidens nachdem er nicht nur Albus sondern nun auch Lara verloren hatte? Oder war es das Ende? Sein Ende?
Ein halbes Jahr war seit dem Vertrag vergangen. Regelmäßig fanden internationale Treffen statt, um die Beziehungen und Handelsverträge zu erneuern und zu pflegen. Doch von mehr als politischer Sentimentalität konnte nicht die Rede sein. Sie waren noch weit von einer Freundschaft oder Vertrauen entfernt.
Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in Gellert breit. Er fühlte es wie eine Welle über sich hinwegrollen. Es war eine Welle der Magie, die seine eigene in Alarmbereitschaft versetzte.
Etwas war geschehen.
Etwas Wichtiges.
Etwas Mächtiges.
Etwas Furchtbares.

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