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Lea

»Einen Karamell-Latte mit entrahmter Milch«, zähle ich auf und stelle einen der Pappbecher, die ich auf dem Tablett auf meinem Arm balanciere vor Penny auf den Tisch. »Einen Café au lait für Lola und einen Haselnuss-Karamell-Latte für Nelly. Und der ist für mich.« Ich drücke jeder meiner Schwestern noch einen Muffin in die Hand, dann ziehe ich mir einen Stuhl am Tisch zurück und setze mich auch. Fuchs zu sein in einer Verbindung voller junger Frauen habe ich mir nicht halb so aufwendig vorgestellt, wie es sich jetzt herausstellt. Die Mädchen haben eigentlich jede Minute, in der ich nicht in einem Kurs feststecke, irgendwelche Wünsche, die ich oder einer der anderen fünf Füchse erledigen müssen.

»In 30 Minuten beginnt dein Kurs bei Mrs. Walters«, stöhnt Penny und wirft mir einen bedauernden Blick zu.

Ich habe schon einiges über meine neue Professorin gehört. Sie soll streng sein, sehr konservativ und hat sehr engstirnige Ansichten, was ihren Fachbereich betrifft. Am liebsten hätte sie es wohl, dass all ihre Studenten grundsätzlich ihrer Meinung sind. Offensichtlich gibt sie wohl nur gute Noten, wenn man ihr nach dem Mund redet. Mein Magen krampft sich schon bei der Vorstellung zusammen, ich darf Thesen nicht hinterfragen. Dabei geht es in der Philosophie doch genau darum: Man versucht die Dinge mit dem eigenen Verstand zu begreifen und sie zu hinterfragen.

Ich seufze. »Ich hoffe noch immer, dass du übertreibst.«

Penny schüttelt den Kopf. »Ich wäre fast durchgefallen, erst als ich begriffen habe, wie die Walters tickt und alles genau so wiedergegeben habe, wie sie es vorgetragen hat, konnte ich meine Note verbessern.«

»Zumindest weißt du jetzt, worauf es ankommt im Kurs«, stellt Lola fest.

Ich nicke und mustere dann nachdenklich Penny. Penny und ich teilen uns jetzt seit drei Tagen ein Zimmer im Verbindungshaus und mittlerweile habe ich auch alle anderen Mädchen kennengelernt. Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt, in einem Haus voller Mädchen zu wohnen, aber bisher fühlt es sich eher wie eine nicht enden wollende Pyjamaparty an.

Ich habe den Pakt eigentlich nie hinterfragt, aber seit ich hier auf dem College bin und er in meinem Leben keine Rolle mehr spielen sollte, denke ich oft über die Dinge nach, die die meisten von uns sich verwehrt haben. Solche Sachen wie: Kinobesuche mit Jungs, erste, zweite und dritte Dates, Fummeln in irgendwelchen dunklen Ecken. Und in meinem Leben sogar Dinge wie den ersten Kuss. Ich bin noch nie geküsst worden und weiß nicht, wie sich das anfühlt. Aber eigentlich ist der Pakt für mich nur eine willkommene Ausrede gewesen, mich eben nicht mit all diesen Dingen beschäftigen zu müssen. Mir ist die Einhaltung also leicht gefallen. Aber wie ist das für meine Freundinnen gewesen? Wie haben sie sich damit gefühlt, all das nicht haben zu können? Vielleicht haben wir uns mit dem Pakt nur selbst gegeißelt und gar nicht die Jungs, die wir damit treffen wollten.

Jetzt sehe ich jeden Tag meine Verbindungsschwestern mit ihren festen Freunden oder flüchtigen Beziehungen und werde das Gefühl nicht los, wir hätten zu viel verpasst, das eigentlich zum Leben eines jungen Menschen dazugehört. Zumindest meine Freundinnen haben zu viel verpasst. Ich habe es genau so gewollt, weil ich erst lernen musste, klarzukommen und meine Gefühle wieder in den Griff zu bekommen.

Ich trinke meinen Kaffee aus und sehe auf die Uhr an der Wand direkt hinter Lola. »Drückt mir die Daumen«, sage ich und springe mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf.

»Tun wir. Und heute Abend hilfst du uns dabei die Party vorzubereiten.«

Ich zögere mitten in der Bewegung, eben wollte ich mich nach meiner Tasche bücken, jetzt werfe ich Penny einen fragenden Blick zu. »Was für eine Party?«

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt