14

1.5K 97 12
                                    


Ian

Ich mag die Familienwochenenden nicht. Argwöhnisch betrachte ich das Schauspiel, das direkt vor meiner Nase stattfindet. Mütter, die ihre erwachsenen Söhne umarmen, ihnen die Haare richten und Tränen in den Augen haben. Väter, die ihren Söhnen kühl die Schulter klopfen, sie zurechtweisen und ihnen ihre eigenen Erfolge unter die Nase reiben, während sie die Erfolge der Söhne kleinreden.

Ich lehne mit dem Rücken am Tresen, der Küche und Wohnzimmer trennt, und halte eine Flasche Cola in der Hand, die ich frustriert in einem Zug leere, dann stelle ich sie hinter mich und beobachte weiter das Treiben, das mir auch in diesem Jahr nicht sympathischer ist als im letzten Jahr. Denn meine Eltern lassen sich hier nicht blicken. Meine Mutter, bei der ich die letzten Monate meiner Highschoolzeit verbracht habe, meldet sich seither nur einmal im Monat bei mir. Unsere Beziehung hat sich durch meinen Aufenthalt in ihrer neuen Familie kaum verbessert. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit über Ärger mit ihrem neuen Mann und mit meinem kleinen Bruder verstehe ich mich auch nicht. Der Altersunterschied von zehn Jahren ist einfach zu groß.

Und mein Vater, er hat sowieso immer zu viel zu tun. Das wird sich nicht ändern. Seine Mandanten waren ihm schon immer wichtiger als die Dinge, die um ihn herum geschehen.

Ich nehme mein Handy und schreibe Lea eine Nachricht: Du fehlst mir. Sehen wir uns heute Abend?

Es dauert ein paar Minuten, in denen ich nervös auf das Display starre und mir mehr Sorgen mache mit jeder Sekunde, die verstreicht, dann antwortet sie: Meine Mom kommt, wir treffen uns zum Abendessen. 18:00 Uhr im Steakhouse?
Mir verknotet sich der Magen, als ich lese, dass ihre Mutter kommt. Sofort kriechen diese Gefühle in mir hoch, die die Erinnerungen an Pflaster auf meinen Knien, Vorlesen und Kekse auslösen. Die Gefühle, die man für eine Mutter hat. Ich hatte das verdrängt, um mich ohne schlechtes Gewissen auf Lea einlassen zu können. Doch jetzt fühle ich mich plötzlich wieder wie zwischen zwei Stühle gedrängt. Auf der einen Seite meine Gefühle für Maria, auf der anderen die für Lea.

Ich komme, antworte ich ihr mit einem Kloß in meinem Hals, so groß wie der gesamte Campus. Aber tief in mir weiß ich, ich habe mich längst für Lea entschieden. Wir führen jetzt ein Leben außerhalb von River Falls. Alles ist jetzt anders. Warum sollten unsere Gefühle füreinander jetzt noch ein Risiko für Marias Anstellung in unserem Zuhause sein?

»Ich wollte Lea gestern vom Café abholen«, sagt Ryan und bleibt mit vor der Brust verschränkten Armen vor mir stehen.

»Wolltest du?«, hake ich nach, obwohl ich es genau weiß. Ich war es, der sie hinten rausgelockt hat, so dass sie Ryan erst gar nicht zu Gesicht bekommen hat. »Sie kommt meistens ohne Auto, also nehme ich sie abends mit.«

»Ich habe sie angerufen, sie hat nicht abgenommen«, sagt er und mustert mich mit einem Blick, der mir sagen soll, dass ich längst überführt bin.

Trotzdem bleibe ich ganz locker und zucke nur mit den Schultern. »Keine Ahnung, hat sie denn nicht zurückgerufen?«

Ryan nippt an seiner Flasche Cola. »Sie hat zu viel zu tun, wegen des Elternwochenendes heute.«

Ich versteife mich innerlich, weil das ihre Antwort war und nicht: Ryan, es tut mir leid, aber Ian und ich sind zusammen. Das ist die Antwort, die ich mir gewünscht hätte. Aber habe ich auch das Recht dazu? Ich habe noch immer nicht mit Liz gesprochen. Ganz einfach, weil ich nicht am Telefon mit ihr Schluss machen will. Da aber heute wirklich jeder beschäftigt ist und es keine Sekunde gibt, in der wir nicht eingespannt sind, habe ich keine Chance, mich mit Liz zu treffen. Dabei möchte ich nichts lieber, als das hinter mich bringen, damit ich mir Lea schnappen kann, mit ihr unter unserer Weide liegen kann und all die Fantasien in die Tat umsetzen kann, die mir seit gestern nicht mehr aus dem Kopf gehen. Seit gestern! Das ist der Punkt. Denn ich will sie noch immer so sehr, wie ich sie will, seit ich sie damals am Pool gesehen habe und festgestellt habe, dass Lea nicht mehr das kleine Mädchen ist, das Zöpfe trägt und Shirts mit Ponys darauf. Und jetzt nicht bei ihr sein zu können, macht mich auf eine Art nervös, die völlig neu für mich ist. Und es macht mich wütend, mit Ryan über sie reden zu müssen, als gehöre sie nicht schon längst mir. Sie gehört mir, Arschloch.

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt