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Ian

Ich habe heute Morgen das Bett neben Lea noch vor dem Sonnenaufgang verlassen, weil ich mir keine Sekunde länger über den Weg getraut hätte. Hat es sich anfangs noch beruhigend und wundervoll angefühlt, sie so nah bei mir zu haben, ist es später immer schwieriger geworden, nicht zu bemerken, welche Folter ihre Nähe für meinen Körper bedeutet. Während sie fast sofort eingeschlafen ist, habe ich die ganze Nacht keine Auge zugemacht. Zum Teil auch, weil ich jede Sekunde mit ihr genießen wollte.

Seit ich mein eigenes Zimmer fluchtartig verlassen habe, versuche ich verzweifelt, nicht wieder nach oben zu gehen, sie zu suchen und ihr zu sagen, dass ich mich geirrt hätte. Dass es mir egal wäre, was die Heirat aus uns gemacht hat. Aber es ist mir nicht egal. Ich hocke in der Garage und schraube an dem alten Motorrad herum, um nicht die ganze Zeit an Lea denken zu müssen, aber es funktioniert nicht. Stattdessen sitze ich hier mit ölverschmierten Händen und starre auf meine Fingerknöchel, während mir das Bild von Trevor und ihr im Poolhaus immer wieder durch den Kopf geht, und ich versuche rauszufinden, ob ich es hätte sehen müssen, dass Trevor sie vergewaltigt hat. Er hat sie vor meinen Augen vergewaltigt. Ich bekomme diesen Gedanken nicht mehr aus meinem Kopf und frage mich, wie ich mich so irren konnte. Hat meine Eifersucht mich blind gemacht?

»Ian?«

Ich zucke zusammen, sehe von meinen Händen auf und quäle mich aus der Hocke hoch. Wie lange habe ich so dagehockt? Meine Muskeln und Gelenke schmerzen, als ich mich aufrichte, meine Beine prickeln, als das Blut endlich wieder fließen kann. »Dad?«

»Ich habe dich gesucht. Und nach gestern Abend dachte ich, sehe ich mal hier nach. Du bist immer hierhergekommen, wenn dich etwas beschäftigt«, sagt er und tritt näher. Er sieht sich in dem kleinen Schuppen um, in dem nichts weiter steht als mein Motorrad, eine alte Harley, an der die meisten Teile nicht mehr original sind, und die das letzte Mal vor etlichen Jahren einen Ton von sich gegeben haben muss. Ich habe ihren Motor nie gehört. Eigentlich interessiert es mich auch nicht sonderlich, ihn jemals zu hören. Ich schraube an ihr rum, weil es mich ablenkt. Wahrscheinlich bin ich nicht einmal hier, um an der Harley zu schrauben, sondern nur, um mich vor meinen Problemen in diesem Schuppen zu verstecken.

»Geht es dir gut?«, will er wissen, nimmt einen der Schraubenschlüssel von der kleinen Werkbank, betrachtet ihn und legt ihn wieder hin.

»Warum wollen das in letzter Zeit alle von mir wissen?«, fahre ich ihn an. Ich weiß, ihm an dem, was zwischen Lea und mir nicht mehr läuft, die Schuld zu geben, ist nicht richtig. Aber es ist schwer, mir einzureden, dass er nicht schuld daran ist, denn immerhin hat er Leas Mom geheiratet.

Er seufzt. »Ich wollte nur kurz mit dir reden, weil ich denke, es ist besser, wenn du es Lea später sagst. Du und sie, ihr habt diese enge Freundschaft und wahrscheinlich ist es angenehmer für sie, wenn du es ihr sagst«, druckst er rum.

Ich verspanne mich und sehe alarmiert zu ihm auf. »Was sagen?«

»Trevor hat mich vorhin angerufen, ich bin ja sein Anwalt.«

Ich verspanne mich noch mehr, als ich den widerwilligen Gesichtsausdruck bemerke, den mein Vater aufgesetzt hat. Was auch immer er mir sagen will, wird mir nicht gefallen. »Was hat er gewollt?«, will ich mit hartem Tonfall wissen.

»Er will, dass ich ihn verteidige. Er hat sich selbst angezeigt. Wenn ich ihn verteidige, wird er vollumständlich gestehen und Lea damit eine Aussage vor Gericht ersparen.«

»Fuck«, stöhne ich auf. Mein Puls rast. Nicht aus Wut, sondern aus Panik. »Lea will nicht, dass jemand davon erfährt. Schon gar nicht ihre Mutter.«

Mein Vater nickt. »Ich weiß, deswegen habe ich auch zugesagt, Trevor zu verteidigen. Da er sich selbst angezeigt hat, kommen wir vielleicht um eine Verhandlung herum und können direkt etwas mit dem Richter aushandeln.«

Ich fahre mir zitternd mit den Händen über mein Gesicht und verschmiere wahrscheinlich alles mit Öl, aber das interessiert mich nicht. »Wenigstens hat er seine Eier noch nicht vollkommen verloren«, murmle ich, als ich wieder Luft bekomme. Weiß aber nicht, ob ich über die Entwicklung wirklich froh bin, denn ich befürchte, dass Lea diese Information nicht leicht aufnehmen wird. »Ich erzähl es ihr, fahrt in die Flitterwochen, Maria hat das verdient.« Ich presse das nur mit Mühe heraus, denn mein Verstand ist damit beschäftigt, die Wut in mir in Zaum zu halten, damit ich nicht aus diesem Schuppen stürme und nach Trevor suche.

Mein Vater presst die Lippen aufeinander, dann kommt er so nah an mich heran, dass ich die Falten sehen kann, die das Alter in sein Gesicht gegraben hat. »Du weißt, dass es in Ordnung ist, sie zu lieben, oder? Denk darüber nach«, sagt er, legt seine Hand für eine Sekunde auf meinen Oberarm und lässt mich dann stehen.

»Vielleicht«, flüstere ich. »Aber es hängt zu viel daran, dass ich es nicht versaue. Und ich würde es versauen.«


The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt