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Lea

»Du bist mir zwei Tage aus dem Weg gegangen«, werfe ich Ian traurig vor, als wir etwa die Hälfte der Strecke zurück nach Stevens Point hinter uns haben. Bis hierhin haben wir uns angeschwiegen, doch jetzt halte ich es keine Sekunde länger aus, obwohl ich es gewöhnt sein sollte, dass Ian gerne und lange schweigt. Selbst dann, wenn wir uns gerade nicht streiten. Aber heute erscheint er mir noch nachdenklicher als sonst.

Seit der Nacht, die wir gemeinsam in seinem Bett verbracht haben, verkriecht er sich in der Werkstatt bei seinem Motorrad und vermeidet jeden Kontakt mit mir. Ich verstehe, dass er erst verarbeiten muss, was er über Trevor und mich erfahren hat. Aber sein Verhalten verletzt mich auch, denn außer ihm habe ich niemanden, mit dem ich darüber reden kann oder der mir Trost spendet. Und diese letzten Nächte in seinen Armen haben mir sehr viel Trost gespendet. So viel, dass ich mir wünsche, es könnte immer so sein. Ich fühle mich, wie ein Junkie auf Entzug, der den nächsten Schuss herbeisehnt. Nur ein bisschen Ian, um mich besser zu fühlen.

»Ich musste nachdenken«, sagt er, ohne mich anzusehen. Er blickt stoisch aus dem Fenster und umklammert das Lenkrad, als hinge sein Leben davon ab, es nicht für eine Sekunde loszulassen.

»Worüber?«, hake ich nach, als wüsste ich es nicht schon längst, aber ich will, dass er mit mir redet.

Er zuckt mit den Schultern, mehr bekomme ich nicht als Antwort.

Ich seufze laut, damit er es hört und setze mich so, dass ich ihn besser ansehen kann. »Okay, du redest nicht mit mir, bist aber in den letzten zwei Nächten jede Nacht zu mir ins Bett gekommen, um bei mir zu schlafen«, werfe ich frustriert ein. Zwei Nächte, in denen ich mir so sehr gewünscht habe, dass er mir viel mehr als nur das gibt. In denen ich mich danach gesehnt habe, dass wir alles hinter uns lassen und ganz von vorne anfangen können. In denen ich verflucht habe, in was für einer Situation wir uns befinden. Und dass er so stur ist und diese Ängste in ihm stecken, die da schon so viele Jahre sind.

»Du hast gesagt, du möchtest nicht allein schlafen und ich wollte nicht, dass du das musst«, antwortet er fast trotzig. »Das ist alles, was ich dir geben kann.«

Ich stöhne genervt. »Meine Mutter hat mir gesagt, dass es in Ordnung wäre.«

Jetzt stöhnt er, vielleicht nervt ihn das Thema so sehr wie mich, denn eigentlich möchte ich nicht darüber reden müssen, warum wir beide nicht einfach unseren Gefühlen nachgeben können. »Du weißt genau, dass das keine gute Idee wäre. Ich traue mir selbst nicht über den Weg. Ich würde erst uns kaputtmachen und dann würde ich die ganze Familie kaputtmachen.«

»Beziehungen gehen kaputt, das passiert jeden Tag, man lebt sich auseinander. Man verletzt sich. Man liebt sich vielleicht nicht mehr. Aber wir beide sind jetzt erwachsen, selbst wenn wir es nicht schaffen sollten, dann können wir damit allein fertigwerden. Unsere Beziehung hat nichts mit der Ehe unserer Eltern zu tun. Wir sind alt genug, unsere Probleme unter uns zu lösen und müssen sie nicht auf unsere Eltern übertragen«, werfe ich ihm energisch vor.

Mit einer harten Bewegung lenkt Ian das Fahrzeug von der Straße auf einen Waldweg und fährt dann ein paar Meter in den Wald, bevor er den Motor ausschaltet.

»Was machst du?«, frage ich ihn erschrocken.

Er wendet sich mir zu und starrt mich sekundenlang an. Unter seinem ernsten Blick beschleunigt sich mein Puls. Habe ich etwas gesagt, das nicht richtig war? Das ihn wütend gemacht hat? Ich wappne mich gegen das, was er gleich sagen könnte, aber ich würde meine Meinung verteidigen, weil ich fest daran glaube. Und weil ich uns eine Chance geben möchte. Ich möchte nicht verschenken, was wir haben könnten. Ich will Ian. Mehr als jemals zuvor. Und ihn nicht haben zu können, ihm aber in den letzten beiden Nächten so nahe gewesen zu sein, hat mich verstört, mich in meinem Kampf aber auch entschlossener gemacht.

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt