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Ian

Ich stehe gelangweilt etwas abseits des Trubels, der sich gerade in unserem Garten abspielt, und halte eine Flasche Bier in der Hand, während ich meinen Blick über die Gäste streifen lasse. Maria und mein Vater haben darauf verzichtet, aus ihrer Heirat ein riesen Spektakel zu machen, es sind nicht mehr als 50 Gäste da, die meisten Verwandte oder enge Freunde der Familie. Den ganzen Tag über war das Wetter angenehm, aber jetzt wird es langsam kühler.

Das Kleid, in dem Maria geheiratet hat, war sehr schlicht, ohne viel Drumherum, einfach nur ein cremefarbenes Kleid, das sich an ihre Kurven anschmiegt und bis zu ihren Waden reicht. Mehr braucht es auch nicht, um eine Frau wie Maria wunderschön aussehen zu lassen.

Obwohl Brautjungfernkleider immer irgendwie aussehen wie pastellfarbene Bonbons, hat Maria für Lea und ihre Freundin auf diese ärgerliche Tradition verzichtet. Beide tragen Kleider, die dem der Braut sehr ähnlich sind, dafür sind sie aber deutlich kürzer, sie reichen nur bis knapp über die Oberschenkel. Das Kleid der Frisörin ist königsblau und Leas Kleid ist smaragdgrün. Was mich wirklich sehr anspricht, denn Lea sah in grünen Sachen schon immer sehr gut aus, weil diese Farbe einen besonderen Glanz in ihre Augen zaubert. Sie sieht so wundervoll aus, dass ich den Blick kaum von ihr lassen kann. Trevor auch nicht, er schleicht um sie herum, als wäre sie die Hochzeitstorte. Was mir üble Magenschmerzen bereitet. Und Lea wohl auch, denn selbst mit mehreren Metern Abstand entgeht mir nicht, dass sie sich versteift, sobald sie ihn bemerkt, oder ihre Blicke ihn nervös verfolgen, wenn er sich in ihrer Nähe bewegt.

»Sie sieht toll aus«, stellt mein Vater fest und strahlt mich zufrieden an. Er steht neben mir, ein Glas Schampus in der Hand, die Krawatte hängt nur noch locker um seinen Hals herum.

»Ja, eine hübsche Braut«, bestätige ich gedehnt.

»Ich rede von Lea, aber natürlich hast du recht. Meine Braut sieht auch umwerfend aus.« Er lacht, ich glaube, er ist beschwipst. Wenn Alkohol und Trevors Anblick nicht so eine gefährliche Kombination für mich ergeben würden, würde ich auch gern etwas mehr trinken, aber ich will aus der Hochzeit unserer Eltern kein blutiges Schlachtfeld machen, also brauche ich jeden Funken Verstand, den ich besitze.

Lea unterhält sich mit ihrer Mutter, dann sieht sie sich suchend um. Ich weiß, dass sie nach mir sucht, denn sie sieht sich schon den ganzen Tag immer wieder nach mir um. Ständig treffen sich unsere Blicke und jedes Mal fühlt es sich an, als würde mein Herz in Flammen aufgehen. Und ich kann nicht einmal sagen, ob es zu Asche verbrennt, weil ich sie unbedingt in meine Arme reißen will, oder ob es verbrennt, weil ich sie verloren habe, noch bevor ich sie richtig gefunden habe. Wie auch immer, ich fühle mich nicht dazu in der Lage, auch nur einen Sekunde nicht zu ihr hinzusehen und ihren atemberaubenden Anblick in mich aufzusaugen. Deswegen fällt mir auch auf, dass sie verunsichert wirkt. Und ihre Verunsicherung steigt, je öfter Trevor versucht, an sie heranzukommen.

»Ja, sieht sie«, murmle ich angestrengt.

»Wusstest du, dass ich mir damals, als deine Mutter mit dir schwanger war, immer eine Tochter gewünscht habe, weil ich das Gefühl hatte, ich könnte einem Sohn nicht gerecht werden? Ich war noch nie ein Fan von Sport. Schon in jungen Jahren nicht.«

»Wusste ich nicht«, antworte ich stoisch. »Aber du hast es zumindest versucht und hast mir nicht verboten, Sport zu lieben. Und jetzt hast du eine Tochter.« Ich schlucke hart.

Er brummt leise, so wie er es immer tut, wenn er über etwas nachdenkt. »Ja, stimmt wohl.«

Lea legt eine Hand auf den Unterarm ihrer Mutter, dann wendet sie sich von ihr ab und richtet ihren Blick wieder auf mich. Und dann schwebt sie anmutig auf mich zu, wie eine Fee, wie ein Mädchen aus einem Traum. Sie kommt langsam auf die Terrasse, bleibt vor mir stehen und lächelt mich glücklich an.

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt