18

1.5K 97 3
                                        


Lea

Ian steht auf der Veranda vor dem Verbindungshaus, als ich mit meiner Tasche herauskomme. Wahrscheinlich wollte er nicht reinkommen, um Liz nicht zu begegnen. In den letzten Tagen scheint er nicht nur mir aus dem Weg gegangen zu sein. Außer im Philosophie-Kurs, habe ich ihn seit Tagen nicht mehr gesehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das für uns beide ganz angenehm war. Zum einen, weil ich es in seiner Nähe kaum aushalte, ohne mich nach ihm zu verzehren und mir zu wünschen, dass wir nicht so tun müssten, als wären wir nicht völlig verrückt nacheinander. Zum anderen, weil mit jedem Tag, der vergeht, mein schlechtes Gewissen Liz gegenüber dahinschmilzt. Denn wenn Ian und ich nicht zusammen sind, dann tun wir ja auch nichts, das irgendjemanden verletzen könnte. Wobei Liz entweder wenig unter der Trennung leidet oder so sehr, dass sie mit ihren wechselnden Dates versucht, sich vom Schmerz abzulenken.

»Hallo«, sage ich schüchtern, als würden wir uns nicht schon seit vielen Jahren kennen. Und als hätten wir nicht das Intimste geteilt, das zwei Menschen teilen können. Als würden wir nicht, das Bedeutendste fühlen, das zwei Menschen füreinander empfinden können. »Danke, dass du mich mitnimmst.«

»Schon okay«, sagt Ian und nimmt mir meine Tasche ab, die eigentlich gar nicht schwer ist, denn wir fahren nach Hause und dort ist alles, was ich für ein paar Tage benötig, also musste ich nicht viel einpacken. Nur ein paar Sachen, von denen Penny wollte, dass ich sie mitnehme. Ein Kleid für den Tag vor der Hochzeit, eins für den Tag danach und ein paar Sachen zur Sicherheit. Ich glaube Penny weiß, was ich für Ian empfinde. Wie auch immer, aber sie scheint etwas zu ahnen. Vielleicht bin ich eine ganz schlechte Schauspielerin. Aber Penny weiß auch, dass unsere Eltern heiraten.

»Meinem Auto ist es wohl nicht bekommen, dass ich es wochenlang habe stehenlassen, dabei wollte ich es nur schonen«, sage ich zu Ian.

Ian lacht und geht neben mir her auf seinen Pick-up zu. »Man macht es immer falsch«, sagt er, hilft mir beim Einsteigen und stellt meine Tasche nach hinten auf die Rücksitzbank. Nicht ganz zwei Stunden mit Ian in diesem Auto, sage ich mir. Das werden wir wohl schaffen.

Ian setzt sich hinter das Lenkrad und startet mit gerunzelter Stirn das Auto. »Also dann, River Falls, wir kommen«, sagt er leise murmelnd und ich kann an seiner Stimme hören, dass er sich nicht sicher ist, ob er sich freuen soll oder nicht. Für ihn ist es über zwei Jahre her, wahrscheinlich sind seine Gefühle noch viel verwirrter als meine. Wahrscheinlich wäre Ian noch viel länger nicht nach Hause gefahren, wenn nicht unsere Eltern morgen heiraten würden.

Obwohl ich es jetzt schon eine Weile weiß, und meine Mutter mich täglich über ihre Hochzeitsvorbereitungen auf dem Laufenden gehalten hat, habe ich mich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, dass jetzt wirklich passiert, wovon Ian und ich als Kinder immer geträumt haben. Meine Mom, sein Dad, er und ich, und natürlich Mario, wir werden zu einer Familie. Wir wachsen zu etwas zusammen, das Ian immer vermisst hat, weil er so viele Jahre nur seinen Vater hatte, und das meine Mutter jetzt tatsächlich auch zu seiner machen wird.

»Wie geht es dir?«, frage ich ihn nach einer Weile. Ich hasse die merkwürdig gedrückte Stimmung zwischen uns. Jeder von uns gibt sich Mühe, den anderen nicht zu bemerken, nur um sich nicht mit seinen Gefühlen auseinandersetzen zu müssen. Aber das funktioniert nicht, denn ich bemerke Ian sehr wohl. Ich bemerke ihn mit jedem Atemzug, den ich mache. Ich bemerke ihn, weil mein gesamter Körper kribbelt, während er mir so nahe ist, dass ich ihn berühren könnte, es aber nicht darf. Es ist doch verrückt, so zu tun, als wäre der andere nicht da, wenn er doch genau neben einem sitzt. Ich muss aus diesem Kreislauf ausbrechen, sonst werde ich noch wahnsinnig, denn die Stille hilft mir keinesfalls, die Sehnsucht in mir zum Schweigen zu bringen.

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt