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Lea

Genervt gehe ich noch einmal meine Liste für das Elternwochenende durch. Ich habe im Café 100 Cupcakes und Donuts bestellt, zusätzlich werde ich noch Canapés mit den anderen Frischlingen zusammen servieren. Die werden wir am Samstagvormittag in der viel zu kleinen Küche unseres Verbindungshauses herstellen müssen. Amy macht die Bowle und Kelly sorgt für Kaffee und andere Getränke. Außerdem soll ich eine Begrüßungsrede halten, die ich noch schreiben muss. Die meisten Vorbereitungen sind zum Glück fast abgeschlossen oder zumindest schon geplant.

Ich sitze im Wohnzimmer der Verbindung auf dem geblümten Sofa von Ikea, in dessen Sitzkissen man regelrecht versinkt, und habe die Beine untergeschlagen, während ich Häkchen hinter die Aufgaben mache, die ich schon erledigt habe. Ich bin nicht glücklich damit, dass mir die Verantwortung für die Planung zugeschoben wurde, aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich aufgrund meines Jobs sonst hier in der Verbindung eher wenig bis gar nicht vorhanden bin und auch noch mit niemandem wirklich eine Bindung aufgebaut habe. Selbst Penny sehe ich eigentlich nur am Abend, kurz bevor ich erschöpft ins Bett falle. Ich fühle mich überfordert von den Kursen und den Arbeiten als Frischling und dem Job im Café, dem Training und Ian.

Unser zweites Training heute hat mir gezeigt, wie viel weiter und besser meine Schwestern sind als ich. Ich habe mich zwischen ihnen wie eine Anfängerin gefühlt. Vielleicht bin ich das im Vergleich zu ihnen auch. In den letzten Monaten vor den Sommerferien und auch in den Sommerferien habe ich meinen Sport und auch mich vernachlässigt, weil ich gedanklich viel zu sehr mit dem College und der damit verbundenen Trennung von meinem Bruder und meiner Mutter beschäftigt war. Der Gedanke, sie beide zurücklassen zu müssen, hat mir schwer zu schaffen gemacht. Zudem habe ich mich in Büchern vergraben, die mir dabei helfen sollten, die neuen Herausforderungen für mich zu bewältigen. Nach dem Vorfall mit Trevor hatte ich mich so sehr zurückgezogen, dass mir erst jetzt klar wurde, dass ich etwas dagegen unternehmen musste, wenn ich das College und den Kontakt zu fremden Menschen, insbesondere zum anderen Geschlecht, bewältigen will.

»Hey, was machst du?«

Ich schrecke zusammen und sehe auf. Vor mir steht Liz, die mich lächelnd ansieht. Und wahrscheinlich lächle ich überhaupt nicht. Ich sehe wohl eher so aus, als hätte ich einen Geist vor mir stehen. Krampfhaft zwinge ich ein Lächeln auf meine Lippen und versuche, nicht an Ians Lippen auf meinen zu denken, und was dieser Kuss mit mir angestellt hat. Aber das funktioniert nicht, denn sobald ich versuche, nicht daran zu denken, denke ich erstrecht daran. Ich spüre wieder seinen Atem auf meinen Wangen, seine Zähne, die an meinen Lippen knabbern, seine Zunge, die meine streichelt, und die heißen Funken bis tief in meinen Bauch hinein. Ich räuspere mich hastig und weiche Liz' Blick aus, klopfe mit dem Stift auf meine Notizen und kämpfe um die Kontrolle über meine Atmung. Aber das ändert nichts daran, dass ich mich schlecht fühle. Sie ist meine Verbindungsschwester und schon allein das bedeutet, dass ich Ian niemals hätte küssen dürfen. Aber sie ist auch eine der wenigen hier, die wirklich nett zu mir ist.

»Nur Vorbereitungen für das Wochenende.«

Liz setzt sich neben mich. »Nur noch diese Woche. Kommen deine Eltern?«

Ich denke an das Telefongespräch, das ich gestern vor dem Schlafen noch mit meiner Mutter und mit meinem Bruder geführt habe und nicke. »Meine Mutter kommt, meinen Vater kenne ich nicht«, gestehe ich. Ich freue mich, dass meine Mutter kommen wird, auch wenn ich ihr gesagt habe, dass sie sich das Geld lieber sparen soll, weil sie und Mario es viel nötiger brauchen. Aber sie hat nur geheimnisvoll gelacht und gemeint, um das Geld solle ich mir keine Gedanken machen.

»Meine Eltern sind auch geschieden. Ich war sechs Jahre alt. Viel weiß ich von meinem Vater also auch nicht, er reist ständig herum, lebt mal in Japan, mal in China und in England auch hin und wieder.«

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt