Schutzengel

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(Zomdado)

Zufrieden schaute ich mich in der neuen Wohnung um, sie war zwar etwas kleiner als die Alte, dafür jedoch wunderschön gelegen und lichtdurchflutet. Ich hatte die letzten Tage damit verbracht die Küche und das kleine Wohnzimmer einzurichten, nun fehlte nur noch das Schlafzimmer.
Ich hatte mir vorgenommen das Bett als erstes auf zu bauen, um endlich nicht mehr auf der Matraze auf dem Boden schlafen zu müssen.
Das Bett war neu und erst heute Morgen geliefert worden und so mühte ich mich eine ganze Weile damit ab das gefühlt kreuz und quer geklebte Paketband mit einem Küchenmesser auf zu schneiden.

Das Beste an diesem Umzug war, dass ich endlich in der selben Stadt wie mein bester Freund wohnte, was wir eigentlich schon vor einem Jahr hatten hin bekommen wollen.

Die Reste des Pappkartons verbannte ich in die Ecke des Raumes und stöhnte genervt auf, als ich bemerkte, dass die Einzelteile nicht nur in Folie verpackt waren. Fest anliegend um die Luftpolster waren dicke Kunststoffstreifen gebunden, die die Bretter für den Transport wohl zusammen halten sollten. Meiner Meinung nach völlig unnötig, wozu gab es denn den Karton?

Ich hockte mich vor das Packet und wollte die Streifen durchschneiden, doch die Angelegenheit stellte sich als schwieriger heraus als ich dachte.
Ich überlegte ob ich mir nicht ein Messer mit Säge holen sollte als ich endlich den ersten Streifen durchtrennt hatte.
Also beschloss ich, dass ich den Zweiten auch noch schaffen würde und nicht extra in die Küche laufen müsste.

Genervt werkelte ich mit der Klinge an dem Band herum, es fehlte nur noch ein kleines Stück, doch die dünne Messerklinge schien zwischen den wiederspänstiegen Kunststoffsträngen fest zu hängen.
Mit der linken Hand zog ich die Bauteile näher zu mir und versuchte erfolglos das Messer hin und her zu schieben.

Mit einem plötzlichen Ruck riss das Band und das scharfe Messer schnellte nach vorne. Ich realisierte noch bevor die Klinge meine Handfläche traf was passierte und obwohl ich das Gefühl hatte die Zeit würde langsamer vergehen als normal, war ich nicht im Stande zu reagieren.
Ich spürte den Schmerz kaum, der Schock verhinderte es.

Erschrocken beobachtete ich wie Blut aus dem Schnitt quoll, ziemlich viel Blut, so dass es nur nach wenigen Sekunden auf den Boden tropfte.
Eigentlich hatte ich nie ein Problem damit gehabt Blut zu sehen doch in diesem Moment wurde mir etwas schwindelig.
Was musste ich jetzt machen?
Ich konnte kaum abschätzen wie tief die Wunde war, doch sie zog sich über die komplette Handfläche.

Den Blick starr auf die Hand gerichtet lief ich in die Küche und hielt die Wunde unter den aufgedrehten Wasserhahn. Mit der anderen Hand zog ich mein Handy aus der Hosentasche. Meine Finger zitterten stark als ich Dado anrief.
Immernoch zerrte das Schwindelgefühl an mir und die Überforderung hatte den größten Teil meines klaren Denkens lahm gelegt.

"Hey Zombey, gut angekommen?", meldete sich Maudado fröhlich.
"Ich... ich brauche hilfe Maudado.", stotterte ich.
"Was ist los?", wollte mein Freund sofort wissen und augenblicklich schwang Besorgnis in seiner Stimme mit.
"Ich...mir ist das Messer beim Paket öffnen abgerutscht.", brachte ich heraus. Sofort versicherte er: "Ich bin in drei Minuten da.", dann legte er auf.

Erschöpft ließ ich die Hand sinken, ich hatte nicht einmal richtig erzählt was los war und trotzdem konnte ich mich auf ihn verlassen. Wieder einmal stellte ich fest, dass er das Beste war was mir passieren konnte.

Es schien als hätte der Schnitt aufgehört zu bluten und ich stellte das Wasser für einen Moment ab. Die Wunde war tiefer als gedacht und mir wurde noch mulmiger zu mute als zuvor schon. Wieder begann das Blut über meine Hand zu laufen.
Vielleicht sollte ich meinen Verbandskasten suchen, doch der lag begraben von Zeug in einem der Umzugkartons.
In dem Augenblick hörte ich das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Türschloss herum drehte.
Ich hatte Maudado schon den Zweitschlüssel gegeben, als ich noch in der alten Wohnung gewohnt hatte.

"Zombey, alles in Ordnung?", rief er fragend, als er die Tür öffnete. "Mehr oder weniger.", antwortete ich zittrig. Schnell war er bei mir, nahm vorsichtig meine Hand und spühlte das Blut ab um die Wunde zu betrachten.
"Wie geht es dir?", wollte er wissen und musterte mich aufmerksam.
"Es geht so, ich hab das Gefühl meinen Körper nicht so richtig unter Kontrolle zu haben.", versuchte ich zu erklären.
Er nickte: "Das ist bestimmt der Schock. Setzt dich hin, ich kümmer mich darum.", er deutete auf meine Handfläche.
"Danke.", murmelte ich und ließ mich auf einen der Stühle am Esstisch sinken.

Ich beobachtete wie Maudado aus dem Erste-Hilfe-Paket ein Desinfektionsspray nahm und etwas davon auf den Schnitt sprühte. Sorgfältig deckte er die Wunde mit einer Kompresse ab und wickelte dann etwas unbeholfen aber vorsichtig einen Verband darum. Schließlich ließ er sich neben mir auf einen Stuhl fallen.

"Du hast mir echt einen Schrecken eingejagt als du angerufen hast.", schmunzelte er.
"Wem sagst du das.", ich lachte müde.
"Danke, dass du gekommen bist, ich hätte das alleine niemals auf die Reihe gekriegt."
Er lächelte. "Kein Problem, ich bin für dich da, so gut es geht.", er machte eine kurze Pause.
"Der Schnitt ist ziemlich tief, ich glaube wir sollten ins Krankenhaus fahren."
"Na super, dann darf ich allen von meiner Dummheit erzählen.", merkte ich an und Maudado kicherte leise als er mich zur Gaderobe zog.

Als wir im Auto saßen hatte ich endlich das Gefühl die Kontrolle über die Situation zurück zu gewinnen. Mein Herzschlag hatte sich beruhigt und das Zittern meiner Finger aufgehört.
Die Wunde hatte aufgehört zu bluten, denn die kleinen Stellen an denen sich der Verband mit dem Blut vollgesogen hatte, wurden nicht größer. Ich war Dado unendlich dankbar dafür, dass er da war und so ruhig geblieben war.

"Jetzt musst du mir erstmal von deiner Dummheit erzählen.", verlangte der Blonde. "Naja, ich wollte das Paket mit dem Bett öffnen, aber da waren so Plastikstreifen drum. Der letzte ist plötzlich durch gerissen und ich bin mit dem Messer abgerutscht."

In der Notaufnahme angekommen wurden wir in einen Warteraum geschickt, wo wir uns auf zwei der wenigen noch freien Stühle sinken ließen.
"Das könnte eine Weile dauern.", stellte ich fest.
Der Schnitt unter dem Verband hatte angefangen zu pochen, es tat nicht weh doch das Gefühl war merkwürdig.

Maudado schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben mich abzulenken und hatte mich in ein Gespräch über den Umzug verwickelt.
Ich schaute nicht wirklich auf die Uhr und konnte so nicht einschätzen wie lange wir warteten, bis eine Krankenschwester meinen Namen aufrief.
"Soll ich mitkommen?", wollte Maudado wissen und ich schüttelte grinsend der Kopf. "Alles gut, ich schaff' das schon."

Etwa eine halbe Stunde später saßen wir wieder im Auto und Dado brachte mich nach hause.
"Nochmal danke, dass du gekommen bist und mich auch noch ins Krankenhaus gebracht hast. Ich wäre alleine komplett überfordert gewesen."
"Das habe ich schon gewusst als wir telefoniert haben.", lachte er und schloss die Wohnungstür auf.
"Ich nehme mal an, du hast nicht so große Lust das Bett noch auf zu bauen?"

"Naja, ich habe noch weniger Lust immer noch auf dem Boden zu schlafen, also muss das irgendwie gehen.", grinste ich schief.
"Dann bleibe ich noch und helfe dir.", beschloss er.
"Du brauchst dir nicht noch mehr Arbeit machen Maudado, du hast doch schon...", wollte ich ihn aufhalten, doch er hob den Zeigefinger und lachte: "Keine Wiederrede, ich lasse dich doch jetzt nicht alleine Möbel zusammen bauen."

Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und spontan nahm ich ihn von hinten in den Arm. "Danke, du bist ein Engel."
Er lehnte sich sachte gegen mich und lächelte verschmitzt. "Dein Schutzengel."

OneshotzeugWo Geschichten leben. Entdecke jetzt