Der Song

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Lillys p.o.v.

Nachdem ich Damien geschrieben hatte, konnte ich eine ganze Weile lang nichts anderes tun, als still vor mich hinzubrüten.
Selbst Olivia, die das natürlich bemerkte und versuchte, mich abzulenken, gelang es nicht, mich aus dieser trüben Stimmung zu reißen.

Ich weiß, ich hätte das nicht tun müssen. Hätte nicht diesen Deal mit Damien eingehen müssen.
Wer weiß, vielleicht war das alles ja umsonst? Vielleicht hätte Damien Victoria sowieso nichts angetan.
Vielleicht hätten sie nur ein bisschen Spaß miteinander gehabt.
Aber....was, wenn nicht? Hätte ich es mir verzeihen können, wenn Damien ihr etwas angetan hätte? Wenn ich sie nicht vor ihm bewahrt hätte?
Die Antwort war klar. Nein.

Es wäre nur eine weitere Schuld, die ich mir auf meine Schultern geladen hätte.
Zusätzlich dazu, dass ich so viele andere Leute verletzt hatte, selbst meinen Mate, hätte ich dann auch noch Victoria verletzt.
Und auch wenn sie ihre Fehler hatte, verdiente sie es deswegen doch nicht, verletzt zu werden.
Ich bereute nicht, was ich getan hatte.

Nein, ich bereute nur, dass es keinen besseren Weg gegeben hatte, oder zumindest, dass ich keinen besseren gefunden hatte.
Zeit mit Damien zu verbringen....allein bei dem Gedanken graute mir schon.
Es war schon schlimm genug gewesen, dass er mich in meinen Flashbacks und Alpträumen heimsuchte, doch jetzt noch im alltäglichen Leben?
Ich wusste nicht, wie ich seine Gesellschaft so lange und oft ertragen sollte.

Nur zu leicht wäre es, dass ich wieder in alte Gewohnheiten zurückfiel.
Dass ich mich wieder von meiner Angst bezwingen ließ.
Das durfte, nein, das konnte ich nicht zulassen.

Als würde mir irgendjemand, vielleicht die Mondgöttin selbst, ein Zeichen schicken wollen, ertönte plötzlich eins meiner Lieblingslieder.

A reason to fight von Disturbed.

Dieser Song berührte mich tief im Inneren, war es doch so, als würde der Sänger mich ansprechen.
Als hätte er diesen Text für mich geschrieben. So sehr passte er.

Zuerst sang der Sänger sanft von dem Schmerz in meinen Augen und der Scham in meiner Stimme.

Und dann kam meine Lieblingsstelle:

I won't give up, so don't give in *
You've fallen down, but you will rise again,
I won't give up


Diese Strophe gab mir neuen Mut, wenn ich ganz unten lag, verschlungen von den kriegerischen Wellen des Meeres aus Angst, Schmerz und Scham über mir.
Zerdrückt von dem Gewicht der Tonnen von Wasser. Zumindest fühlte sich so mein schlechtes Gewissen an.
Wie eine schwere Last auf meiner Seele, die nie verschwinden würde.

Und doch....ich durfte nicht aufgeben.
Ich war gefallen, öfter als ich zählen konnte, doch ich würde wieder aufstehen. Würde mir den Schmutz abklopfen und das Kinn geben. Stolz. Würde meine Maske aufsetzen. Unnahbar.
In den Momenten, in denen die Kraft dieses Liedes auf mich überging, in mich einsickerte, mich ganz und gar ausfüllte, fühlte ich mich stark. Unbesiegbar.

When the demon that's inside
you is ready to begin
And it feels like a battle
That you will never win

Genau so fühlte es sich an. Der grausame Dämon in mir, der seine Klauen in mich schlug, mich mit meiner ureigensten Scham und all dem Schmerz quälte.
Und dieser ruhende Dämon, der nur darauf lauerte, mit meiner Gabe um sich zu schlagen. Der nur darauf lauerte, zu erwachen.

Es war ein ständiger Kampf mit beiden Dämonen. Und ich fragte mich, ob es jemals eine Zeit geben würde, in der ich nicht erschöpft war von dieser Schlacht mit mir selbst.
Ich fragte mich, ob es jemals eine Zeit geben würde, in der ich gänzlich aufgeben würde. Und nie wieder aufstehen würde. Doch diese Gedanken waren dunkel, düster. Ich erlaubte mir nicht, zu lange darüber nachzudenken.

Nein, viel lieber ließ ich mich in die kraftvolle Melodie des Songs sinken und mich ganz und gar von ihm durchdringen. Ließ ihn auf mich wirken, wie jedes Mal mit geschlossenen Augen.
In der Hoffnung, die Stärke, die er mir schenkte, würde auch nach seinem Ende in mir weiterleben.
In der Hoffnung, ich würde endlich den Mut und die Stärke dazu finden, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen.
Und endlich in der Gegenwart zu leben. Und nach vorne zu sehen. Zusammen mit Ben.

Ben.

Bei seinem Namen musste ich schwer schlucken. Schmerz stach in mein Herz, wollte mich auf den Grund ziehen. Ich krallte die Fingernägel in meine Handballen, drängte den Schmerz zurück.
Ich wusste immer noch nicht, was ich in Bezug auf Ben machen sollte.
Er hatte mich verletzt. Sehr. Und doch...ich hatte dasselbe mit ihm getan, indem ich nichts erzählte.
War es dann überhaupt noch berechtigt, mich verletzt zu fühlen, wenn ich doch selbst an diesem Schmerz Schuld war?
Laut Ria ja.
Aber wer sagte mir, dass sie Recht hatte?

Ich fühlte mich einerseits einfach scheiße, denn Ben hatte mir ein Loch in die Brust gerissen. Das war eine Tatsache, daran ließ sich nichts ändern, Schuld hin oder her.
Und doch hatte ich gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Ich hatte es mir quasi selbst angetan. Und ließ Ben jetzt nur noch mehr leiden.

Warum konnte es kein Handbuch für die Liebe geben?
Ich konnte jetzt dringend eins gebrauchen.....
Eins, das mir genau sagte, was ich tun sollte. Aber wahrscheinlich wäre das nicht der richtige Weg.
Letztendlich muss man selbst für seine Handlungen Verantwortung übernehmen. Man kann nicht einfach jemand oder etwas anderes für sich entscheiden lassen und demjenigen dann die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Nein, man muss selbst mit den Konsequenzen seines Handelns leben.
Das war mir bewusst. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass es leicht wäre.

Am liebsten würde ich vor all dieser Verantwortung wegrennen. Vor meinem Leben.
Aber könnte ich das? Könnte ich Ben allein lassen? Könnte ich der Sehnsucht standhalten? Könnte ich Victoria Damien überlassen? Könnte ich mein Rudel verlassen? Mein Rudel, das so viel freundlicher war als mein letztes? Könnte ich all das?

Nein.

Die Antwort schien tief aus meinem Inneren zu kommen.
Nein.
Niemals könnte ich all das. Machte mich das schwach? Wahrscheinlich. Aber vielleicht sollte ich einfach akzeptieren, dass ich so war. Schwach. Sollte es akzeptieren und lernen, damit zu leben.
Denn so wie es aussah, ließ es sich einfach nicht ändern.

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*Die Rechte gehen an Disturbed

I wanna be free, MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt