Flucht

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Lillys p.o.v.

Voller Entsetzen starrte ich auf meine Gedichte, die Ben in der Hand hielt.
Plötzlich waren alle Zweifel, die ich noch gehabt hatte, wie weggewischt.
Ben hatte offensichtlich meine Gedichte gelesen.
Obwohl er gewusst haben musste, dass sie mir gehörten.
Er hatte mit Damien gesprochen, obwohl er gewusst haben musste,  dass ich das nicht wollte.
Er hatte sogar seine verdammte Handynummer mit ihm getauscht!
Er hatte all dies hinter meinem Rücken getan.
Er hatte sich mit meinem schlimmsten Feind verbündet. Dabei war er mein Mate.

Ich wollte wütend sein. Wollte ihn anschreien, wüten und schimpfen.
Wollte meinen Schmerz in die Welt hinausschreien.
Wollte Ben bestrafen, ihn denselben Schmerz fühlen lassen, den ich gerade fühlte.
Aber ich tat nichts davon.

Es fühlte sich an, als würde mein Herz auseinanderbrechen. In Tausend kleine Stücke zersplittern.
Ich hatte gedacht, der Schmerz, als ich noch gezweifelt hatte, dass Ben mich so verraten hatte, wäre schlimm gewesen...
Ich hatte ja keine Ahnung gehabt.

Die Bestätigung so vor Augen geführt zu bekommen, dass er mich verraten hatte....
Die kleinen Teile meines Herzens schienen zu bluten, noch immer am Leben, aber schwach.
Sein Verrat war wie ein Messer in meiner nun leeren Brust.
Ein Messer, das Widerhaken besaß und mein Fleisch nur noch mehr verletzte, sich in mich grub und dort verharrte.
Das meinen Atem erschwerte, meine Lunge am Arbeiten hinderte.

Ich keuchte schwer. Mein Blick immer noch auf die Blätter Papier in Bens Händen gerichtet.
Doch auf einmal schienen diese Blätter vor meinem Augen zu verschwimmen. Es dauerte bis ich bemerkte, dass ich weinte.
Stumm liefen mir die Tränen über die Wangen.

Dieser Schmerz, der mich von innen heraus zu zerfetzen schien, diese unendliche Pein....
Es war zu viel.
Es war einfach zu viel.

Ich hielt es nicht aus. Hielt diese Qual in meinem Herzen nicht aus.
Ich bemerkte nicht, wie sich meine Beine bewegten und mich weg von Ben trugen, von meinem Mate.
Meinem Mate, der mich verraten hatte. Obwohl er doch die Liebe meines Lebens war. Mein Seelenverwandter.

Im Inneren taub rannte ich aus dem Haus, hörte noch, wie Ben meinen Namen schrie, verzweifelt, aber es drang nicht zu mir durch.
In mir schien sich eine Leere auszubreiten, die mich ganz gefangen nahm.
Eine Leere, die kaum zu ertragen war.
Noch immer rannen stille Tränen aus meinen Augen, wie blind rannte ich durch den Wald.
Ich hatte kein Ziel, ich wollte einfach nur weg.

Meine Beine trugen mich wie automatisch weiter in den Wald hinein.
Schneller und schneller.
Wobei das wahrscheinlich nicht nötig gewesen wäre.
Denn ich hörte keine Schritte hinter mir.
Nur der Gesang der Vögel war zu hören. Ein Gesang, der viel zu schön klang angesichts der Dunkelheit in mir.

Es zeigte mir nur zu deutlich, dass es die Welt nicht kümmerte, wie ich mich fühlte, was mit mir passierte.
Die Welt drehte sich weiter, sie würde es auch dann noch tun, wenn ich nicht mehr hier wäre.
Selbst Ben interessierte es wahrscheinlich nicht, was mit mir passierte.
Sonst würde er mir ja folgen, oder etwa nicht?
Doch er kam mir nicht nach.
Ich war ihm egal.
So wie ich bisher jedem in meinem Leben egal gewesen war.

Nur ein Mittel zum Zweck, ein Werkzeug.
Ich war es für meine Eltern gewesen, die durch mich an Achtung vor der Familie des Alphas gewonnen hatten.
Ich war es für Damien gewesen, der durch mich noch mehr Macht gewonnen hatte.
Und nun war ich es wohl für Ben, der durch mich seinen Spaß hatte.

Ich war immer schon wertlos gewesen. Was hatte mich eigentlich anders fühlen lassen?
Die Antwort war einfach. Ben.

Wieder quollen mir bei dem Gedanken an ihn heiße Tränen aus den Augen.
Ich hätte nie gedacht, dass er mich jemals so verraten würde.
Ich würde ihn so gerne deswegen hassen. Aber ich konnte es einfach nicht.
Denn wahrscheinlich war ich Schuld. War selbst daran Schuld, nun diesen Schmerz zu fühlen.
Ich war es schließlich, die ihm nichts verraten hatte.
Die sich von der Angst hatte einschüchtern lassen.
So wie immer.

I wanna be free, MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt