Wochenende

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Lillys p.o.v.

Wochenende. Das, worauf sich alle Schüler freuten. Ein paar Tage frei vom Stress der Schule, vom frühen Aufstehen. Okay, man hatte noch Hausaufgaben zu erledigen, aber wenn man Glück hatte, hatte man alle am Freitag geschafft und war dann frei.
So wie ich.

Ich war nach dem Eis essen mit Damien nach Hause gegangen und hatte mich sogleich an meine Hausaufgaben gesetzt, um dem Tosen der Gedanken in meinem Kopf zu entkommen.
Und jetzt? Jetzt starrte ich auf meine To-do-Liste, auf der alles abgehakt war.
Andere würden sich darüber freuen.

Ich war nicht wie andere.
Denn eine erledigte To-do-Liste hieß in meinem Fall, dass ich keine Ablenkung mehr besaß, dass all die Gedanken mich nun ganz einnehmen konnten.

Seufzend legte ich den Kopf auf den Schreibtisch in meinem Zimmer.
Ich hatte eingewilligt, über alles nachzudenken.
Und das würde ich auch. Aber jetzt schon?
Am liebsten würde ich jetzt schlafen, einfach alles für ein paar Stunden vergessen.
Aber das würde nichts bringen, so würde ich es nur aufschieben.

Ich hatte Ben nicht gesehen, als ich nach Hause gekommen war.
Und die Vorstellung, ihn für längere Zeit nicht mehr zu sehen, ihm für längere Zeit nicht mehr nah zu sein....das war grausam.
Wie sollte ich das aushalten?
Klar, ich wusste, dass es notwendig war, schließlich hatte er Recht, wenn er sagte, dass wir uns nur schadeten.
Aber dieses Wissen machte es dennoch nicht leichter.

Es war mehr Reflex und Verzweiflung als alles andere als ich mir ein Blatt aus einem Block riss und anfing zu schreiben.

Ich liebe dich, ich will dich
Und ich denke, du willst vielleicht auch mich,
Es könnte so einfach sein,
Aber das ist es nicht, nein,

Denn wir schaden uns nur, sagst du
Und ich kann es nicht leugnen,
Denn Recht hast du,
Also werde ich mich deiner Entscheidung beugen.

Denn du bist mein Leben,
Und wenn Abstand dein Wunsch ist, werde ich ihn dir geben,
Jetzt erkenne ich, hab dich schon zu oft verletzt,
Und du hast all den Schmerz stumm ertragen,
Ich hab dich gehetzt, hab dich auch Mal versetzt,
Doch du...du hast alles stumm ertragen....

Ich hab dich nicht verdient,
Das weiß ich und doch...
Will ich dich immer noch...
Bin vom Egoismus bedient
Kann dich nicht loslassen
Und gleichzeitig auch nicht fassen.

Sollte dich von mir erlösen,
Einmal im Leben selbstlos sein,
Damit du endlich bist frei von all dem bösen
Schmerz, der Pein
und Qual,
Die ich dir bringe, die durch mich ist dein
So habe ich ja kaum eine andere Wahl,
Liebe ich dich doch
Und werde es selbst tun nach meinem Tod noch.

Aber es ist schwer...so schwer, dich loszulassen,
Diesmal endgültig, für immer, danach gibt es kein Zurück,
Keine verbindende Brück'
Was, wenn mein Tod dich auch nicht glücklich macht?
Was, wenn es den Schmerzenscocktail nur noch entfacht?
Dann komm ich nicht mehr zurück
Und hab dich allein in all dem Elend gelassen...
Das kann und will ich nicht zulassen.

Gäbe es doch eine Garantie,
Eine, die mir sagte, dass du glücklich wirst
Mit Freude und auch selbstsüchtigem Schmerz würde ich gehen
Freude, weil ich dich würde glücklich sehen
Schmerz, weil ich dich nie mehr würde wieder sehen
Was soll ich tun? Was ist richtig?
Sag es mir, denn mein Kopf birst
Vor lauter Fragen, vor lauter Zweifeln,
Was ist richtig?
Ich weiß es nicht, weiß es nicht, nicht,
Bin am Verzweifeln...
Hoffe, meine Entscheidung wird sein richtig...

Die letzten Punkte setzte ich sorgfältig und langsam, noch ganz in dieser Verzweiflung gefangen.
Wieder betrachtete ich das fertig gestellte Gedicht.
Ich würde es zerreißen müssen. Zerreißen und verbrennen.
Ich konnte einfach nicht zulassen, dass es jemand las.

Und doch...es schmerzte mich auf eine bestimmte Weise, mein Werk zerstören zu müssen.
Das war etwas, das aus mir heraus kam, das ich zu Stande brachte.
Es war Kunst, gewissermaßen.
Es war ich.
Mein Innenleben auf schwarz und weiß.
Wenn ich es zerstörte... würde ich dann nicht auch einen Teil meiner Selbst zerstören?

Ein schwerer Seufzer entwich mir.
Ich wusste einfach nicht mehr weiter.
Was war der richtige Weg?
Warum konnte alles nicht ganz einfach sein?
Aber dieser Wunsch nach Simplizität war dumm. Nichts ist einfach im Leben. Manche denken, so wäre es wenigstens nicht langweilig.
Aber ganz ehrlich? Wenn meine Situation spannend war, dann konnte ich ganz gut auf Spannung verzichten.

Bens p.o.v.

Nachdem ich Lilly meine Entscheidung mitgeteilt hatte, bin ich nicht mehr zurück in die Schule gegangen, sondern gleich nach Hause.
Doch dort sind mir nur die Gedanken im Kopf herum gesprungen, also bin ich in den Wald gegangen und hier war ich nun.

Ich rannte nicht. Nein, ich ging gemütlich spazieren, wie in Menschengestalt.
Der Wald hatte eine besondere Wirkung auf mich, wahrscheinlich auf alle Werwölfe.
Er beruhigte mich auf eine Weise, wie es sonst nichts anderes schaffte.
So allein von der Natur umgeben, über mir ein dichtes Blätterdach, wo nur vereinzelt die Sonnenstrahlen durchdrangen und schöne Lichtmuster auf den Boden malten....da fühlte ich mich wohl.
Zu Hause.

Ich könnte tagelang so im Wald spazieren. Das Summen der Insekten, die raschelnden Blätter und das Zwitschern der Vögel vertrieben alle unangenehmen Gedanken, bis eine angenehme Ruhe in meinem Kopf herrschte.

Nun ja, zumindest war das im Normalfall so, heute hatte ich öfters damit zu kämpfen, plötzlich auftauchende Gedanken weg zu schieben.
Zweifel hatten sich mir bemächtigt, als ich nach Hause gelaufen war und sie hatten mich nicht losgelassen.
Hatten sich in mich gekrallt wie Parasiten und wollten nicht mehr weg.
War meine Entscheidung richtig?

Ich wusste gar nicht, wie ich es schaffen sollte, mich von Lilly fern zu halten.
Aber ich hatte alles versucht und nichts hatte etwas genutzt.
Dies war ein letzter Versuch, eine letzte Hoffnung.
Danach....ich wusste nicht, was ich tun sollte, wenn es nicht klappte.

Ich konnte ihr vielleicht fern bleiben, aber für wie lange?
Nicht mein ganzes Leben lang, das war klar.
Lilly gehörte zu mir, zu meinem Leben.
Wir gehörten zusammen. Ich hoffte nur, dass wir auch irgendwann wirklich zusammen kommen würden.

Unwillig schüttelte ich den Kopf und schob diese Gedanken ganz weit weg, lenkte mich mit der Schönheit des Waldes ab.
Viele Menschen nahmen sie gar nicht wahr, gingen an ihr vorbei.
Sie ließen sich nicht darauf ein. Ließen sie gar nicht wirklich auf sie wirken.
Ich glaube, das war die Kunst daran.
Die Dinge auf sich wirken lassen. Man musste sich für die Wunder der Welt öffnen, um sie wahrhaftig erkennen zu können.

Vor mir lag ein umgefallener Stamm mit vielen Ästen.
Ich blieb stehen und ließ diesen Anblick auf mich wirken.
Dieser Baumstamm....er sah aus, als hätte er sich diese Äste verzweifelt wachsen lassen, während er fiel, in dem hoffnungslosen Versuch, sich festzuhalten, bevor er in den Abgrund gestoßen wurde.
Auf eine besondere Art und Weise sah er wunderschön aus.

Desperate try

Das wäre ein passender Songtitel.
Desperate try, verzweifelter Versuch.
Ja, es war auch ein verzweifelter Versuch, das mit dem Abstand.
Verzweifelt, weil ich sonst nicht mehr weiter wusste.
Versuch, weil ich einfach nicht aufgeben konnte. Ich könnte Lilly nie aufgeben, nicht um alles in der Welt.

Ich ging weiter, ließ diesen gefallenen Baumstamm hinter mir.
Würde ich auch bald so enden?
Würde jeglicher Versuch versagen?
Ich hoffte nicht. Aber ich hatte bereits so oft gehofft und jedes Mal war meine Hoffnung zerschlagen worden.
Wie hoch war also schon die Wahrscheinlichkeit, dass es nun anders sein würde?

Wieder diese dunklen Gedanken. Ich mochte mich hier im Wald beruhigen lassen, aber immer wieder schlichen sich diese Gedanken in meinen Kopf.
Wieder sah ich mich um, um mich mit etwas abzulenken, das mich nicht auf irgendeine Weise an Lilly oder unsere Beziehung erinnerte.

Aber je länger ich so spazieren ging und mich umsah, desto mehr drängte sich mir die Frage auf, ob es überhaupt etwas gab, das mich nicht an Lilly erinnerte...

I wanna be free, MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt